JudikaturOLG Linz

12Rs36/25p – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
07. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Franz Schwarzenberger (Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Michael Geiblinger, LL.M. (Kreis der Arbeit nehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch die Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier Mag. Manuel Vogler Rechtsanwälte und Strafverteidiger OG in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihre Angestellte Mag. B*, Landesstelle **, wegen Weitergewährung von Rehabilitationsgeld über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Februar 2025, Cgs1*-29, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 731,90 (darin EUR 121,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig

Text

Entscheidungsgründe:

Im Verfahren des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht zu Cgs2* (in der Folge: „Vorverfahren“) erkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung ab 1. November 2019 – unter anderem basierend auf einem unfallchirurgischen Gutachten – mit Vergleich vom 1. Februar 2021 an. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am selben Tag hat die Beklagte die Klägerin ausdrücklich aufgefordert, sich den im Gutachten empfohlenen Behandlungsmaßnahmen – nämlich der geplanten erneuten Operation der Lendenwirbelsäule – unverzüglich zu unterziehen.

Mit Bescheid vom 4. März 2024 hat sie der Klägerin das Rehabilitationsgeld mit 30. April 2024 entzogen und ausgesprochen, vorübergehende Invalidität liege nicht mehr vor, medizinische Maßnahmen der Rehabilitation seien nicht mehr zweckmäßig und es bestehe kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Klage mit dem Begehren auf Feststellung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld und auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation über den 30. April 2024 hinaus für die Dauer der vorübergehenden Invalidität und dem Vorbringen, der gesundheitliche Zustand der Klägerin habe sich nicht gebessert.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung der Klage und brachte zunächst vor, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich durch konservative Therapiemaßnahmen so gebessert, dass sie wieder eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben im Stande sei; zuletzt brachte sie vor, die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht der Klage Folge gegeben. Der Entscheidung liegt – zusammengefasst – folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag insgesamt 37 Monate als (ungelernte) Kellnerin, Verkäuferin, Hilfsarbeiterin und Zimmermädchen tätig.

Seit der Gewährung des Rehabilitationsgelds nimmt sie eine fachärztliche Behandlung in Anspruch. Weil durch konservative Maßnahmen eine zwischenzeitige Besserung eingetreten war, wurde die geplante Operation vorerst abgesagt. Die Beschwerdesymptomatik von Seiten der Wirbelsäule hätte im Idealfall durch einen operativen Eingriff, aber auch durch konservative Therapiemaßnahmen so weit verbessert werden können, dass nennenswerte Leistungseinschränkungen nicht mehr vorliegen. Durch die Operation hätte aber auch eine Verschlechterung des Zustands eintreten können. Aus ärztlicher Sicht wäre die Operation nach Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile zumutbar gewesen.

Seit dem Entziehungszeitpunkt kann die Klägerin mit Hebe- und Trageleistungen bis zwei Kilogramm in 10 % der Arbeitszeit verbundene Tätigkeiten im Sitzen, Gehen und Stehen bei durchschnittlichem Zeitdruck mit regelmäßigen, zumindest stündlichen kurzen Pausen zum Aufsuchen der Toilette und zur Reinigung bei Harninkontinenz verrichten, wobei einige weitere Einschränkungen bestehen: Insbesondere ist die zumutbare Arbeitszeit mit vier Stunden täglich bzw 20 Stunden wöchentlich beschränkt; Arbeiten, die erhöhte Anforderungen an die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit stellen, sind ebenso ausgeschlossen wie Kundenkontakt, einfache Auskunftstätigkeiten sind aber zumutbar. Eine Wohnsitzverlegung ist nicht zumutbar. Auch bei Einhaltung des Leistungskalküls sind leidensbedingte wiederkehrende Krankenstände im Ausmaß von sieben bis acht Wochen jährlich zu erwarten; regelmäßige Kuraufenthalte erscheinen alle zwei Jahre für zumindest drei Wochen notwendig, wobei sich in diesen Jahren die Krankenstandsprognose auf zwei Wochen pro Jahr verringert.

Eine wesentliche Verbesserung des Leistungskalküls ist in unfallchirurgisch-orthopädischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, in neurologisch-psychiatrischer Sicht nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.

In rechtlicher Beurteilung des Sachverhalts ist das Erstgericht zum Ergebnis gekommen, die Klägerin sei weiterhin invalid; sie habe die Mitwirkungspflicht nicht verletzt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.

Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die Beklagte hat die Entziehung des Rehabilitationsgelds im Bescheid (Blg ./A) und in der Klagebeantwortung (ON 3 S 3) damit begründet, dass die Klägerin aufgrund einer Besserung ihres körperlichen und geistigen Zustands durch die erfolgten konservativen Therapien seit März 2024 wieder am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei.

Aufgrund der gebesserten Krankenstandsprognose ist die Klägerin zwar nicht mehr vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, zumal – unter Berücksichtigung der jedes zweite Jahr erforderlichen Kuraufenthalte von drei Wochen und der in den Jahren der Kuraufenthalte auf zwei Wochen reduzierten Krankenstände – von regelmäßig wiederkehrenden Krankenständen von (durchschnittlich) sechs Wochen auszugehen ist (vgl OGH 10 ObS 14/15d ).

Diesen Entziehungsgrund greift die Beklagte jedoch im Berufungsverfahren nicht mehr auf, sodass er aus dem Verfahren ausgeschieden und nicht mehr zu prüfen ist.

1.2Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 99 Abs 1a ASVG ist der Anspruchsberechtigten das Rehabilitationsgeld zu entziehen, wenn sie sich nach Hinweis auf diese Rechtsfolge weigert, an den ihr zumutbaren medizinischen Maßnahmen mitzuwirken.

Maßgeblich für die Entziehung ist in diesem Fall der Zeitpunkt der Verweigerung der Mitwirkung an der Rehabilitationsmaßnahme und nicht (erst) jener, in dem bei Durchführung der Maßnahme eine kalkülsrelevante Besserung zu erwarten gewesen wäre (vgl Atria in Sonntag, ASVG 15 § 99 Rz 22; Schrammin SV-Komm § 99 ASVG [289. Lfg] Rz 12/3).

Zumal eine Entziehung aus diesem Grund die Aufforderung voraussetzt, zu einem konkreten Zeitpunkt eine konkrete Rehabilitationsmaßnahme anzutreten bzw durchzuführen (vgl abermals Atria in Sonntag, ASVG 15 § 99 Rz 22), hat sich die Beklagte im Verfahren erster Instanz zu Recht nicht darauf berufen.

1.3 Sie stützt sich vielmehr auf eine Verletzung der – aus den allgemein bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Schadensminderungspflicht abgeleiteten – allgemeinen Mitwirkungspflicht (vgl grundlegend OGH 10 ObS 40/90 mwN; zur Anwendbarkeit dieses Entziehungsgrunds vgl Schrammin SV-Komm § 99 ASVG Rz 12/4). Danach ist die Versicherte verpflichtet, sich einer zumutbaren Heilbehandlung zu unterziehen, durch die ihre Arbeitsfähigkeit soweit gebessert werden könnte, dass Invalidität nicht mehr vorliegen würde.

1.3.1 Ob eine Heilbehandlung zumutbar ist, hängt insbesondere von den damit verbundenen Gefahren, der Schwere des Eingriffs und seinen Folgen unter Berücksichtigung auch einer erforderlichen Nachbehandlung sowie den damit verbundenen Schmerzen ab (vgl etwa RIS-Justiz RS0084353 ); von besonderer Bedeutung ist, ob mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Heilbehandlung die Arbeitsfähigkeit soweit bessert, dass Invalidität nicht mehr vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0084876 [T12]).

1.3.2 Nur eine schuldhafte – also zumindest leicht fahrlässige – Verletzung der Mitwirkungspflicht führt zum Verlust des Anspruchs (vgl RIS-Justiz RS0084341 [T6]).

2 In der Mängelrüge kritisiert die Beklagte das Unterbleiben der Feststellung, dass die Klägerin die Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt hat.

Ob die Klägerin eine Mitwirkungspflicht getroffen hat – weil ihr eine (dritte) Bandscheibenoperation zumutbar war – und ob sie diese schuldhaft verletzt hat, sind keine Tatsachenfragen, sondern aufgrund entsprechender Tatsachenfeststellungen zu lösende Fragen der rechtlichen Beurteilung. Darauf weist die Beklagte selbst eingangs der Rechtsrüge zutreffend hin.

3 Mit der Tatsachenrüge wendet sie sich gegen die kursiv dargestellten Feststellungen.

3.1 Sie bestreitet dabei jedoch weder – wie im ersten Satz festgestellt – inhaltlich, dass die Klägerin seit dem Gewährungszeitpunkt eine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat, noch begehrt sie eine abweichende Feststellung.

In diesem Umfang ist die Tatsachenrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl nur RIS-Justiz RS0041835 , insb [T3, T4, T5]).

3.2 Zur Begründung der gewünschten Ersatzfeststellung, durch einen operativen Eingriff hätten sich die Beschwerden der Klägerin so weit verbessert, dass nennenswerte Leistungseinschränkungen nicht mehr vorliegen würden, verweist die Beklagte zwar auf das unfallchirurgische Gutachten (ON 9) samt dessen Ergänzung (ON 23), übergeht letztere jedoch:

Der Sachverständige hat zwar – ebenso wie bereits in seinem im Vorverfahren erstatteten Gutachten (dort ON 4 S 15, freilich ohne Ausführungen zur Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein „idealer Verlauf“ zu erwarten war) – darauf hingewiesen, dass „im Idealfall eine Verbesserung eintreten“ hätte können; die Fragen beider Streitteile, ob bzw inwieweit es bei Durchführung der Operation an der Lendenwirbelsäule zu einer kalkülsrelevanten Besserung gekommen wäre, konnte er jedoch nicht mit der nötigen Sicherheit beantworten und hat in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, „auch ein unverändertes Beschwerdebild oder eine Verschlechterung wären möglich gewesen“ (ON 23 S 3, 4).

Die angestrebte Ersatzfeststellung scheidet daher aus.

3.3 Ob – wie vom Erstgericht festgestellt und von der Beklagte wortgleich festzustellen begehrt – die Operation „aus ärztlicher Sicht zumutbar“ gewesen wäre, ist irrelevant. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Klägerin diese Operation „aus rechtlicher Sicht“ zumutbar ist.

4 In der Rechtsrüge stützt sich die Beklagte weiterhin auf die Rechtsansicht, die Klägerin habe (a) eine Mitwirkungspflicht getroffen, die sie (b) schuldhaft verletzt habe. Soweit sie davon ausgeht, dass bei Durchführung der Operation keine nennenswerten Leistungseinschränkungen mehr vorliegen würden und die Klägerin wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar wäre, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab, sodass die Berufung auch insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (vgl RIS-Justiz RS0043603 , insb [T2, T8]).

4.1 Maßgeblich ist ausschließlich der im vorliegenden Verfahren festgestellte Sachverhalt.

4.1.1 Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung verletzt eine Versicherte ihre Mitwirkungspflicht solange nicht, als sie sich einer ärztlichen Behandlung unterzieht, die angeordnete Therapie durchführt und auf deren Zweckmäßigkeit aus ärztlicher Sicht vertraut (RIS-Justiz RS0085035 ).

Es steht zwar fest, dass die Klägerin „eine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen“ hat, nicht aber, welche Therapien angeordnet wurden und ob sich die Klägerin den Anordnungen entsprechend verhalten hat. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an.

4.1.2 Auch wenn die zur Beantwortung der Frage, ob eine Mitwirkungspflicht bestanden hat, erforderlichen Tatsachengrundlagen – insbesondere zu den mit der Operation verbundenen Risiken und Schmerzen (vgl dazu oben Pkt 1.3.1) – im angefochtenen Urteil weitgehend fehlen und auch den im Vorverfahren und in diesem Verfahren erstatteten Gutachten nicht entnommen werden können, steht doch fest, dass durch einen operativen Eingriff – ebenso wie durch konservative Therapiemaßnahmen – zwar „im Idealfall“ eine Verbesserung eintreten hätte können, aber auch eine Verschlechterung möglich gewesen zwar und eine Verbesserung der Krankenstandsprognose nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einschätzbar ist (letzteres disloziert in der rechtlichen Beurteilung, Urteil S 9 Abs 2).

4.2 Auf dieser Grundlage hat das Erstgericht eine Mitwirkungspflicht in dem von der Beklagten angestrebten Sinn (im Ergebnis) zu Recht verneint.

Der Klägerin kann aber auch nicht vorgeworfen werden, sie hätte die mangelnde Eignung der gesetzten Maßnahmen erkennen müssen:

Die Beklagte hat noch im März 2023 – also zwei Jahre nach Abschluss des Vergleichs und obwohl die Klägerin die geplante Operation nicht hatte durchführen lassen – trotz unveränderten Leistungskalküls keine Verletzung der Mitwirkungspflicht angenommen und als medizinische Maßnahme der Rehabilitation ausschließlich angeführt, es sei „das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten“ (vgl ihr Schreiben vom 23. März 2023, Blg ./C S 3). In der Klagebeantwortung ist sie dann davon ausgegangen, dass durch die durchgeführten konservativen Therapiemaßnahmen auch ohne einen operativen Eingriff tatsächlich eine maßgebliche Verbesserung des Leistungskalküls eingetreten ist.

5 Der Berufung musste daher insgesamt der Erfolg versagt bleiben.

6Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a in Verbindung mit Abs 2 ASGG.

7Die ordentliche Revision ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu lösen war (vgl RIS-Justiz RS0084353 ).