JudikaturOLG Linz

9Bs46/25s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
18. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A* wegen Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 28. Jänner 2025, Hv*-158, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 2 StPO fallen dem Wiederaufnahmewerber die durch sein erfolgloses Begehren auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens verursachten Kosten zur Last.

Text

Begründung:

Der ** geborene Ägypter A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 11. März 2024 (ON 119) der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB (A./), der Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 15 Abs 1 StGB (B./), des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 StGB (C./), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (D./), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (E./II./), der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (E./I./ und II./) sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach §§ 15 Abs 1, 125 StGB (F./) schuldig erkannt und unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 3 StGB nach § 84 Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Unter einem wurde aufgrund mehrerer Anlasstaten (A./, C./, D./ und E./III./) seine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 2 StGB iVm § 434 StPO angeordnet.

Nach dem Schuldspruch hat A*

A./ am 15. Mai 2023 in B* nachgenannte Personen teils unter Verwendung einer Waffe am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt und dadurch eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB) herbeigeführt, wobei es jeweils beim Versuch blieb, und zwar

I./ C* durch einen Schlag mit einer zerbrochenen Glasflasche;

II./ D* durch Versetzen zumindest eines Faustschlages in dessen rechten Lippenbereich, wodurch dieser eine Schwellung im Lippenbereich erlitt;

III./ E* durch Versetzen eines Faustschlages, wodurch dieser aus der Nase geblutet hat sowie durch Versetzen eines Stiches mit einer zerbrochenen Glasflasche in dessen Bauchbereich;

B./ in B* und anderenorts zu nachgenannten Zeiten nachgenannte Personen am Körper verletzt, und zwar

I./ am 30. März 2023 in F* G* durch Bewerfen mit einem Glas in Richtung der Hände, wodurch dieser Schnittwunden am rechten Handrücken und am Zeigefinger der rechten Hand erlitten hat;

II./ am 7. Mai 2023 H* durch Versetzen zumindest eines Schlages in dessen Gesichtsbereich, wobei es beim Versuch blieb;

III./ am 20. Mai 2023 I* durch Nachwerfen mehrerer „Leibwächter“- und einer Bierflasche, wobei es beim Versuch blieb;

C./ am 30. März 2023 in J* den Polizeibeamten Insp. K* mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Vorführung gemäß § 9 Abs 2 UbG, zu hindern versucht, indem er diesen gezielt gegen den Oberkörper zu treten versuchte;

D./ am 30. März 2023 in J* durch die unter Punkt C./ geschilderte Tat Insp. K*, sohin einen Beamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben und Erfüllung seiner Pflichten, vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht;

E./ in B* und anderenorts zu nachfolgend genannten Zeiten nachgenannte Personen teils unter Verwendung einer Waffe gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

I./ am 30. März 2023 in ** die beiden Polizeibeamten Insp. K* und RI L* mit zumindest einer Verletzung am Körper, indem er ihnen gegenüber äußerte: „When I come back to the camp, I‘ll hunt you and I will kill you!“ (zu Deutsch: Wenn ich zurück in die Flüchtlingsunterkunft komme, werde ich euch jagen und euch töten!“);

II./ am 22. Juni 2023 M* durch Zugehen auf diesen mit einem Messer, wobei die Klinge in Richtung des M* gerichtet war, mit der Zufügung von zumindest einer Verletzung am Körper;

III./ am 22. Juni 2023 eine unbekannte Person durch Tätigen von zumindest fünf Stichbewegungen in deren Richtung mit einem Messer, sowie in weiterer Folge durch die Andeutung, diese Person von unten nach oben zu schneiden, mit dem Tode;

F./ am 30. März 2023 in F* eine fremde Sache, nämlich den Haftbus der Landespolizeidirektion N*, zu beschädigen versucht, indem er gezielt gegen die Scheibe des Haftbusses trat.

Die Freiheitsstrafe wurde bis 22. Dezember 2024 vollzogen; seither befindet sich A* noch im Maßnahmenvollzug in einem forensisch-therapeutischen Zentrum (ON 148).

Beginnend mit einer beim Oberlandesgericht Linz am 12. Dezember 2024 eingelangten Eingabe (ON 146 iVm ON 150) beantragte A* in der Folge mehrfach erkennbar die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 149 ON 151; Übersetzungen ON 150, ON 155) sowie die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (vgl Übersetzung ON 150.5).

Die Staatsanwaltschaft verzichtete am 8. Jänner 2025 auf eine Gegenäußerung zum Wiederaufnahmeantrag (ON 1.92).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 158) wurde der Antrag auf Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers (1./) und auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (2./) kostenpflichtig (3./) abgewiesen und der Vollzug der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nicht gehemmt (4./).

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers (ON 165), mit der er zusammengefasst nach wie vor die Wiederaufnahme anstrebt und einen Verfahrenshilfeanwalt sowie einen Dolmetscher für die ägyptische Sprache beantragt.

Die Beschwerde, zu der die Oberstaatsanwaltschaft nicht Stellung genommen hat, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat das Gericht auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil (§ 393 Abs 1a StPO) zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist (§ 61 Abs 2 StPO). Jedenfalls erforderlich ist in dem Sinn die Beigebung eines Verteidigers (ua), wenn der Beschuldigte schutzbedürftig ist, weil er an einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfähigkeit leidet, und deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen (Z 2 lit b) oder bei schwieriger Sach- oder Rechtslage (Z 4 leg cit).

Eine solche kann bei (Antragstellung auf) Wiederaufnahme eines Verfahrens zu bejahen sein. Das Gericht hat eine Einzelfallabwägung vorzunehmen (vgl Soyer/Schumann in Fuchs/Ratz , WK StPO § 61 Rz 66; Rohregger in Kier/Wess , HB Strafverteidigung² Rz 19.44).

Der rechtskräftig Verurteilte kann die Wiederaufnahme des Strafverfahrens selbst nach vollzogener Strafe verlangen, wenn (soweit hier interessierend, § 353 Z 1 oder Z 2 StPO) dargetan ist, dass seine Verurteilung durch Urkundenfälschung oder durch falsche Beweisaussage, Bestechung oder eine sonstige Straftat einer dritten Person veranlasst worden ist oder wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen.

Neue Tatsachen oder neue Beweismittel sind geeignet, wenn durch sie die Möglichkeit besteht, die Tatsachengrundlagen des Ersturteils (im Hinblick auf das Wiederaufnahmeziel des § 353 StPO) zu erschüttern und zu einer anderen Lösung der Beweisfrage zu gelangen. Die Rechtsprechung nimmt die – komplexe – Eignungsprüfung im Sinne der Relevanzprüfung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung (vgl § 281 Abs 1 Z 4 StPO) vor. Einem Wiederaufnahmeantrag ist dann stattzugeben, wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass man auf Grundlage der neu beigebrachten Tatsachen oder Beweise (allein oder in der Zusammenschau mit den sonstigen Beweisergebnissen) zu einer anderen Beurteilung der Beweisfrage gelangt (RIS-Justiz RS0099446; Lewisch in Fuchs/Ratz , WK StPO § 353 Rz 60ff mwN).

Mit einer Wiederaufnahme nach Maßgabe neuer Tatsachen oder Beweise lassen sich allerdings lediglich Fehler auf der Tatsachenebene korrigieren, nicht aber Rechtsfehler des erkennenden Gerichts (vgl dazu Lewisch in Fuchs/Ratz, WK StPO Vor §§ 352 bis 363 Rz 6 und Rz 63 sowie § 353 Rz 4).

Wie vom Erstgericht zutreffend dargelegt (S 5 in ON 158), bringt A* im Sinne dieser Kriterien keine wiederaufnahmetauglichen Neuerungen vor.

Soweit er in seiner Beschwerde (unter anderem) die Wiederaufnahme im Zusammenhang mit einem physischen Angriff der Justizwachebeamten in der Justizanstalt B* am 17. Juli begehrt, genügt der Hinweis darauf, dass es sich dabei um keinem in diesem Verfahren zu beurteilenden Sachverhalt handelt. Unter Wiederaufnahmekriterien unbeachtlich kritisiert er weiters den Umstand, dass ihm erstmalig vier Monate nach dem Urteil Dokumente übersetzt worden seien, er demnach erst zu diesem Zeitpunkt erfahren habe, worum es im Urteil ginge. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass er im Erkenntnisverfahren ohnehin durch einen Verfahrenshilfeverteidiger vertreten war und ein Dolmetscher der Hauptverhandlung beigezogen wurde (vgl ON 118, 1). Im Wiederaufnahmeverfahren wurde zudem durch die Übersetzung seiner Eingaben entsprechend Übersetzungshilfe (§ 56 StPO) geleistet (vgl RIS-Justiz RS0124386; Soyer/Schumann in Fuchs/Ratz , WK StPO § 61 Rz 61).

Mit seinem pauschalen Einwand der Unwahrheit infolge falscher Aussagen vernommener Personen bezogen auf die Vorfälle am 15. Mai 2023 (A./), 30. März 2023 (B./I./ und III./, C./ und D./), 7. Mai 2023 (B./II./), 20. Mai 2023 (B./III./) und am 7. Mai 2023 (B./II./) ist für den Wiederaufnahmewerber bei der hier anzustellenden Bewertung ebenfalls noch nichts gewonnen. Das Beschwerdevorbringen zu E./III./, wonach ihm mittlerweile der Name der laut Urteil unbekannten Person bekannt sei, dieser amtsbekannt als Dealer sei und mit der Frau arbeite, die am 15. Mai 2023 (A./) einvernommen worden sei, diese Fälle also zusammenhingen, reicht nicht aus um darzutun, dass seine Verurteilung durch (im konkreten Fall mehrere) falsche Beweisaussagen veranlasst worden sei. Durch den bloßen Hinweis auf den ihm angeblich mittlerweile bekannten Namen des bis dato unbekannten Opfers werden aber auch keine neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erschienen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen.

Zusammengefasst bringt der Wiederaufnahmewerber daher mit seiner erkennbaren Kritik an der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts und dem Hinweis auf seiner Meinung nach vorliegende Verfahrensmängel noch keine überzeugenden Argumente für eine Wiederaufnahme vor.

Der Grund für diese eng umgrenzte Möglichkeit, eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzustreben, liegt darin, dass die Strafsache bereits einmal (auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten eines Rechtsmittelverfahrens) rechtskräftig erledigt wurde und das Wiederaufnahmeverfahren nicht dazu dient, die bereits im durchgeführten Verfahren erörterten Beweismittel einer neuen Würdigung zu unterziehen.

Da sich die angestrebte Wiederaufnahme damit als aussichtslos erweist, ist auch die Beigebung eines Verfahrenshelfers nicht im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich. Die festgestellte psychische Erkrankung (US 9 f) ist in Übereinstimmung mit dem Erstgericht nicht derart ausgeprägt, dass er nicht in der Lage wäre, sich selbst zu verteidigen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).