7Bs142/25v – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Grosser und Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A* und eine andere Person wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 28. Juli 2025, GZ Hv*-87, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 2 StPO fallen dem Beschwerdeführer die durch sein erfolgloses Begehren auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens verursachten Kosten zur Last.
Text
BEGRÜNDUNG:
Mit Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 27. Jänner 2025 (ON 57) wurde A* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB sowie des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.
Nach dem Schuldspruch hat A*
I.) am 30. Oktober 2024 in B* C* D* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich dadurch zuzufügen versucht, dass er ihm einen wuchtigen Schlag mit einer nahezu vollen 0,33 Liter Bierflasche ins Gesicht und einen Fußtritt versetzte, wodurch D* zu Boden ging, wo er ihm noch weitere Faustschläge und zumindest einen weiteren heftigen Fußtritt gegen den Kopf versetzte, wodurch C* D* eine Fraktur des Nasenbeins, eine Kopfprellung und Hämatome erlitt;
II.) am 2. Oktober 2024 in B* versucht, eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Schutzfolie für ein Smartphone im Wert von EUR 24,99 Verfügungsberechtigten der Firma E* mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Der Zweitangeklagte C* D* wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB verurteilt. Nach dem Schuldspruch hat er am 30. Oktober 2024 in B* A* vor dem unter Punkt I.) beschriebenen Tatgeschehen durch Versetzen eines Faustschlages ins Gesicht vorsätzlich in Form von Schmerzen zumindest in diesem Bereich am Körper verletzt.
A* hat in der Hauptverhandlung einen Rechtsmittelverzicht erklärt (ON 56). Die in weiterer Folge angemeldeten Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wurden zurückgewiesen (ON 60, 78, 82). Das Urteil ist seit 27. Jänner 2025 rechtskräftig.
Mit Eingabe vom 4. April 2025 (ON 67) beantragte A* die Wiederaufnahme des Verfahrens. Begründend führte er aus, es habe weder ein Krankenhausbericht zu seinen Verletzungen vorgelegen, noch sei eine vorhandene Verletzungsfotografie dem Gericht übermittelt worden. Diese würde beweisen, dass die Objektivität für die Beurteilung seines Nachteils zum Verhandlungszeitpunkt stark getrübt gewesen sei. Zudem sei Notwehr im Sinne des § 3 Abs 2 StGB vorgelegen, weshalb er „ wenn überhaupt“ nach § 88 Abs 1 bzw Abs 3 StGB zu verurteilen gewesen wäre. Weiters habe eine – durch einen Drogentest nachgewiesene – Berauschung im Sinne des § 35 StGB zu seiner Handlung beigetragen. Überdies seien die besonderen Milderungsgründe, welche er in seiner Eingabe vom 8. Februar 2025 angeführt habe (vgl S 1 in ON 50 - § 34 Z 3, 4, 9, 11 und 17 und § 35 StGB) nicht berücksichtigt worden. Schließlich sei er bei der Urteilsverkündung nicht über das Recht auf eine dreitägige Bedenkzeit aufgeklärt worden.
Mit einem weiteren Schreiben vom 6. Mai 2025 (ON 69) übermittelte er eine Seite des Anhalteprotokolls vom 30. Oktober 2024 (ON 69, S 2) und ein Lichtbild seiner Verletzung am Arm (ON 69, S 3). Aus dem polizeiamtsärztlichen Befund ergebe sich, dass seine Beeinträchtigung zum Tatzeitpunkt größer gewesen sei, als die des C* D*. Zum Lichtbild brachte er (erneut) vor, dass sich daraus erschließe, dass „ die Objektivität zur Beurteilung [s]eines Nachteils zum Verhandlungszeitpunkt stark getrübt “ gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. Juli 2025 (ON 87) wies das Erstgericht den Antrag des A* kostenpflichtig ab. Dazu führte es zusammengefasst aus, dass das Argument der Notwehr bereits in der Hauptverhandlung thematisiert und im Urteil behandelt worden sei, sodass es sich um keine neue Tatsache handle. Das vorgelegte Lichtbild zu den Verletzungsfolgen sei in der Hauptverhandlung zwar nicht vorgekommen und daher als neues Beweismittel zu qualifizieren, jedoch vermöge es die Tatsachengrundlagen des Ersturteils nicht zu erschüttern und zu einer anderen Lösung der Beweisfrage zu führen. Zur Berauschung wurde festgehalten, dass Umstände, die bloß eine mildere Strafzumessung begründen können, zur Wiederaufnahme nicht hinreichen würden. Zudem sei das Anhalteprotokoll schon zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung Gegenstand des Verfahrens gewesen und in der Hauptverhandlung vorgekommen. Dieses Beweismittel sei daher auch nicht neu. Schließlich stelle eine allfällig unterbliebene oder unrichtige Rechtsmittelbelehrung keinen Grund für eine Wiederaufnahme dar.
Die dagegen von A* erhobene rechtzeitige Beschwerde (ON 90), zu der die Oberstaatsanwaltschaft keine Stellungnahme abgegeben hat, ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 353 Z 2 StPO (die in Z 1 und 3 leg cit angeführten Gründe [als Spezialfälle der Z 2, vgl Lewisch in WK-StPO § 353 Rz 1] stehen hier unzweifelhaft nicht zur Diskussion) kann der rechtskräftig Verurteilte die Wiederaufnahme des Strafverfahrens selbst nach vollzogener Strafe verlangen, wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen.
Tatsachen im Sinne des § 353 Z 2 StPO bezeichnen strafbarkeitsrelevante reale Umstände ( Lewisch aaO § 353 Rz 34). Beweismittel ist alles, was die Wahrheit im Strafprozess zu ergründen geeignet ist. Es gilt der allgemeine strafprozessuale Beweismittelbegriff ( Lewisch aaO § 353 Rz 47).
Tatsachen oder Beweismittel sind neu, wenn das Gericht von ihnen nicht zu einem Zeitpunkt Kenntnis erlangt hat, zu dem ihre Verwertung noch möglich war ( Lewisch aaO § 353 Rz 24; Soyerin LiK-StPO § 353 Rz 8; RIS-Justiz RS0101229). Sie dürfen demnach in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sein ( Lewisch aaO § 353 Rz 30, Soyerin LiK-StPO § 353 Rz 8). Andernfalls gelten sie nicht mehr als neu (vgl OLG Linz 7 Bs 150/24v). Neue Tatsachen oder neue Beweismittel sind dann im Sinne des § 353 Z 2 StPO geeignet, wenn durch sie die Möglichkeit besteht, die Tatsachengrundlagen des Ersturteils (im Hinblick auf das Wiederaufnahmeziel des § 353 StPO) zu erschüttern und zu einer anderen Lösung der Beweisfrage zu gelangen (vgl OLG Linz 9 Bs 46/25s).
Wie das Erstgericht richtig erkannte, gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 353 StPO aufzuzeigen, wobei zur Begründung (grundsätzlich) auf die zutreffenden Erwägungen im bekämpften Beschluss verwiesen wird (RIS-Justiz RS0115236 [T 1], RS0124017 [insb T2]).
So bietet insbesondere die bloße Wiederholung seiner bereits im Erkenntnisverfahren vorgebrachten und dort als widerlegt angesehenen Verantwortung, C* D* sei niemals mit der Bierflasche in Berührung gekommen, er habe diesen nicht (schwer) verletzen wollen und überhaupt sei eine Notwehrsituation vorgelegen, weil er vergeblich versucht habe, vor C* D*, der immer wieder auf ihn zugerannt sei, zu flüchten, keinen Grund für eine Wiederaufnahme. Sofern der Beschwerdeführer ferner ausführt, die Anzahl der Krankenstandstage des C* D* weise nicht ansatzweise auf eine schwere Körperverletzung hin, ist anzumerken, dass das Erstgericht ohnedies nur leichte Verletzungsfolgen bei C* D* angenommen hat und er infolgedessen (lediglich) des Versuchs, absichtlich eine schwere Körperverletzung herbeizuführen, schuldig erkannt wurde.
Auch zur mangelnden Eignung des mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegten – als neues Beweismittel zu wertenden – Lichtbildes ON 69, S 3 (betreffend die Verletzung des Beschwerdeführers am Arm), die Beweisgrundlagen zu ändern, kann auf die zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts (ON 87, S 3 f), die vom Beschwerdegericht inhaltlich geteilt werden, verwiesen werden. Insoweit mit dem Vorbringen, diese nicht identifizierte Verletzung würde „seinen Nachteil grundsätzlich ändern“, eine Verurteilung des Mitangeklagten C* D* nach einem strengeren Strafsatz wie etwa § 84 Abs 4 StGB angestrebt werden sollte, wäre dem zu entgegnen, dass eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens zum Nachteil des C* D* gemäß § 356 StPO nur von der Staatsanwaltschaft beantragt werden könnte.
Abgesehen davon, dass das Anhalteprotokoll, aus welchem sich neben einer Alkoholisierung des Beschwerdeführers von 0,14 ‰ um ca. 20:00 Uhr ergibt, dass er positiv auf Kokain und Cannabis getestet wurde, in der Hauptverhandlung parteieneinverständlich verlesen wurde, sodass es sich hierbei um kein neues Beweismittel iSd § 353 Z 2 StPO handelt, stellen der Milderungsgrund der Berauschung nach § 35 StGB – wie alle weiteren allenfalls nicht berücksichtigten Milderungsgründe – für die Schuld- oder Subsumtionsfrage nicht entscheidende Tatsachen dar, welche – wie das Erstgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – nicht Gegenstand einer Wiederaufnahme sein können ( Kirchbacher, StPO 15 § 353 Rz 1/1; Lewisch aaO § 353 Rz 8).
Indem der Beschwerdeführer schließlich ausführt, die unterbliebene oder unrichtige Rechtsmittelbelehrung habe sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt, wird ein – im Weg der Wiederaufnahme nicht bekämpfbarer ( Kirchbacher aaO Vor § 352 Rz 6; Lewisch aaO Vor §§ 352-363 Rz 63; Soyer aaO Vor §§ 352 bis 363 Rz 17 f; Rohregger in Kier/Wess , HB Strafverteidigung 2 Rz 19.7) – Rechtsfehler des Erstgerichts behauptet.
Der Beschwerde des Beschwerdeführers war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet auf der angeführten Gesetzesstelle.
RECHTSMITTELBELEHRUNG:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).