JudikaturOLG Linz

10Bs277/24t – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
08. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Salzburg gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 9. Dezember 2024, GZ*, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg die Anordnung der Hauptverhandlung aufgetragen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft Salzburg legt A* mit Strafantrag vom 26. November 2024 (ON 3) das Vergehen des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB (I.) und das Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II.) zur Last.

Danach habe A* am 17. November 2024 in S*

I. Verfügungsberechtigten der B*-AG fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

A. um 22:13 Uhr, Lebensmittel im Wert von EUR 20,30;

B. um 22:17 Uhr, Lebensmittel im Wert von EUR 25,80, wobei er vom Ladendetektiv C* auf frischer Tat betreten wurde, weshalb die Tat beim Versuch blieb;

II. C* mit Gewalt, indem er versuchte, sich von der Anhaltung mit Körperkraft loßzureißen und C* am Hals packte, zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung, nämlich zur Abstandnahme der allgemeinen Anhaltung gemäß § 80 Abs 2 StPO zu nötigen versucht.

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts Salzburg gemäß § 485 Abs 1 Z 1 zweiter Fall iVm § 450 erster Satz StPO ihre sachliche Unzuständigkeit aus, weil in rechtlicher Hinsicht nicht von den angelasteten Vergehen, sondern von dem - die Zuständigkeit des Schöffengerichts begründenden - Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach § 131 StGB auszugehen sei.

Die dagegen erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 7) ist berechtigt.

Da das Einzelrichterverfahren keinen Einspruch gegen den Strafantrag kennt, ist zur Wahrung der Interessen des Angeklagten in Fortführung der im Ermittlungsverfahren in § 108 StPO geregelten Möglichkeit des Antrags auf Einstellung des Verfahrens mit Beginn des Hauptverfahrens (§ 210 Abs 2 StPO) die amtswegige Überprüfung des Strafantrags vorgesehen (vgl Bauer in Fuchs/Ratz,WK StPO § 485 Rz 1). Gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO hat das Gericht im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit gemäß § 450 StPO vorzugehen, demnach vor Anordnung der Hauptverhandlung seine örtliche oder sachliche Unzuständigkeit mit Beschluss auszusprechen.

Die Überprüfung der sachlichen Zuständigkeit erfolgt nicht bloß anhand des Strafantrags, sondern (auch) nach der Aktenlage, wobei Bezugspunkt der Prüfung stets der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand – dh die „der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgekommenen Umständen“, also Modifikationen des Anklagesachverhalts ohne Änderung des Prozessgegenstands – ist. Dabei hat das Gericht die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts selbstständig anhand der Verdachtslage – im Sinn eines Anschuldigungsbeweises – vorzunehmen, wie sie sich aus dem Strafakt ergibt. Eine Bindung an die Subsumtion in der Anklage besteht somit nicht. Der Prüfungsmaßstab hat sich an jenem des Unzuständigkeitsurteils zu orientieren; danach ist für die Annahme einer in die Zuständigkeit des (hier:) Schöffengerichts fallenden Straftat kein voller Schuldbeweis erforderlich, ein bloßer Anschuldigungsbeweis genügt (vgl dazu Bauer aaO § 485 Rz 3 iVm § 450 Rz 2 mwN). Es kommt somit nicht auf die abstrakte Möglichkeit der Verwirklichung einer in die Zuständigkeit des (hier:) Schöffengerichts fallenden Straftat an, sondern darauf, dass sich diese Möglichkeit im Lichte der konkretem Umstände bei lebensnaher (ungekünstelter) Betrachtung als sachlich indiziert erweist ( Lewisch in Fuchs/Ratz,WK StPO § 261 Rz 10).

Die bisherigen Ermittlungsergebnisse, insbesondere die vorliegenden Videoaufzeichnung des inkriminierten Vorfalls (ON 6) indizieren, dass der Angeklagte, der das Geschäft bereits verlassen hatte, von C* zurück gezogen wurde, woraufhin er mit beiden Händen C* (teils im Halsbereich) erfasste und wegstieß. Seinen daraufhin ausgeführten Versuch, das Geschäft zu verlassen, gab er widerstandslos auf, nachdem ihn C* an der Jacke zurückgezogen hatte.

Der Angeklagte gab in seiner Vernehmung vor der Polizei an, bewusst den Diebstahl begangen zu haben und begründete dies mit seiner Alkoholisierung (AS 3 in ON 2.5). Tatsächlich ergab ein ca. 45 Minuten nach dem Vorfall durchgeführter Alkovortest ein Ergebnis von 1.06 Milligramm Alkohol pro Liter Atemluft (AS 2 in ON 2.2). Die zeugenschaftliche Auskunft von C* reduzierte sich auf ein vor der Polizei ausgefülltes Formblatt (ON 2.6).

Die Annahme der Qualifikation des § 131 erster Fall StGB setzt in subjektiver Hinsicht – soweit hier wesentlich – die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Täters voraus, sich oder einem Dritten eine weggenommene Sache durch Gewaltanwendung oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zu erhalten. Kommt es dem Täter aber nur darauf an zu fliehen, scheidet § 131 StGB aus (vgl dazu Stricker in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 131 Rz  Rz 43f mwN; RIS-Justiz RS0093586).

Wenngleich selbst eine erhebliche Alkoholisierung grundsätzlich absichtliches Handeln nicht ausschließt (RIS-Justiz RS0089301), reichen vor dem Hintergrund der aktuellen Beweisergebnisse und unter Beachtung des Umstands, dass der Angeklagte das Diebsgut in seiner Jacke (und nicht - wie im angefochtenen Beschluss angeführt - teilweise in der Hand) verwahrte, die Ermittlungsergebnisse bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes im konkreten Fall nicht aus, um daraus den für den Tatbestand des § 131 StGB erforderlichen erweiterten Vorsatz im Sinn eines Anschuldigungsbeweises abzuleiten.

Es war daher in Stattgabe der Beschwerde der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung aufzutragen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).