11Bs197/25w – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 14.07.2025, GZ **-12, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss a u f g e h o b e n und dem Landesgericht Innsbruck die Anordnung der Hauptverhandlung a u f g e t r a g e n .
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
BEGRÜNDUNG:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck legt A* mit Strafantrag vom 09.07.2025 als dem Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (zu I.), den Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (zu II.) sowie jeweils einem Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (zu III.), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (zu IV. 1.) und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (zu IV. 2.) subsumierte Taten zur Last (ON 11).
Danach habe er „ in ** B*
zu einem unerhobenen Zeitpunkt im Frühjahr/Sommer 2023 mit Gewalt zu einer Handlung genötigt, nämlich zur Überlassung des Wohnungsschlüssels, indem er ihr diesen aus der Hand riss und knapp unter ihr linkes Auge schlug;
jeweils am Körper verletzt bzw. an der Gesundheit geschädigt, und zwar
1. zu einem unerhobenen Zeitpunkt im November 2022, indem er sie an den Schultern erfasste und schüttelte, ihr eine Ohrfeige auf ihre linke Gesichtshälfte versetzte und sie gegen einen Heizkörper schubste, wodurch sie ein Hämatom im Bereich der linken Wange/des linken Unterkiefers sowie zumindest eine Prellung im Bereich der Rippen erlitt;
2. zu einem unerhobenen Zeitpunkt im Frühjahr/Sommer 2023 durch die unter Punkt I. beschriebene Gewalt, wodurch B* in diesem Bereich Hämatome und eine blutende Wunde erlitt;
3. in der Nacht vom 31.12.2023 auf den 01.01.2024, indem er ihr mehrere Schläge ins Gesicht versetzte, woraufhin sie stürzte und gegen einen Heizkörper prallte, wodurch sie zumindest jeweils starke Schwellungen sowie Hämatome im Bereich ihrer Augen erlitt;
4. in der Nacht vom 08.01. auf den 09.01.2025, indem er sie aus dem Bett schubste und ihr sodann eine volle Mineralwasserflasche (Plastikflasche, 1 Liter) ins Gesicht warf, wodurch sie eine im Zweifel unverschobenen Nasenbeinfraktur sowie über die körperliche Einwirkung hinaus starke Schmerzen erlitt;
5. am 12.02.2025, indem er sie zunächst mit dem Rücken gegen den Heizkörper stieß und ihr in weiterer Folge einen Faustschlag gegen ihr linkes Auge sowie Tritte gegen ihre linke Körperseite und ihr linkes Knie versetzte, wodurch sie eine Schädel- und eine Brustkorbprellung sowie eine Prellung des linken Oberschenkels und des linken Knies samt Monokelhämatom, ein Hämatom über dem Kinn linksseitig, ein faustgroßes Hämatom an der linken Oberschenkelaußenseite, Hämatome an der Rumpfaußenseite, am rechten Knie und auf Höhe des rechten Schulterblattes erlitt;
III.
zu einem unerhobenen Zeitpunkt im Sommer 2024 gefährlich mit der Zufügung einer Körperverletzung bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr eine aufgeklappte Schere gegen den Hals drückte;
IV.
zu einem unerhobenen Zeitpunkt im Frühjahr/Sommer 2023
1. eine fremde Sache beschädigt, nämlich eine Winterjacke der C*, indem er den rechten Ärmel der Jacke abschnitt, wodurch B* ein Schaden unerhobenen, jedenfalls EUR 5.000,-- nicht übersteigenden Wertes entstand;
2. eine Urkunde über die er nicht verfügen durfte, nämlich das VVT-Ticket der B*, beschädigt, mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass es im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, nämlich das Recht der C* die öffentlichen Verkehrsmittel innerhalb des Verkehrsverbundes Tirol zu nutzen, gebraucht werde, indem er das VVT-Ticket in 8 kleine Teile zerschnitt.“
Im Zuge amtswegiger Prüfung dieses Strafantrages sprach das Landesgericht Innsbruck mit dem nunmehr bekämpften Beschluss aus, dass nach § 485 Abs 1 Z 1 iVm § 450 StPO die Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck für die Entscheidung in der gegenständlichen Strafsache sachlich unzuständig sei. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich im Hinblick auf den Vorfall vom 12.02.2025 (II. 5. des Strafantrags) aus den Angaben des Opfers zur Art und Schwere der zugefügten Tätlichkeiten, in Verbindung mit den Lichtbildern sowie den Aussagen der unbeteiligten Zeugen D* und E*, eine besondere Brutalität des Angeklagten gegenüber dem Opfer ableiten lasse. Dies ergebe sich insbesondere aus den Schilderungen des Opfers, wonach der Angeklagte neben einem heftigen Faustschlag ins Gesicht auch mehrere Fußtritte gegen die linke Körperhälfte und das Knie ausgeführt habe. In Zusammenschau mit dem medizinischen Gutachten des nstituts für gerichtliche Medizin zu den erlittenen Verletzungen, die nicht auf ein einmaliges Sturzereignis zurückzuführen seien, ergebe sich jedenfalls ein Tatverdacht gegen den Angeklagten gemäß §§ 15, 87 Abs 1 StGB, zumal auch Faustschläge und Tritte die auf subjektiver Seite vom Täter erforderte Absicht auf Erfolgsherbeiführung begründen könnten.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck mit dem zusammengefassten Vorbringen, dass im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 12.05.2025 (gemeint: 12.02.2025) keine Beweisergebnisse für eine besondere Brutalität des Angeklagten vorlägen. Vielmehr sei derzeit von einem Tatverdacht nach § 83 Abs 1 StGB auszugehen, da nach Schilderungen des Opfers – wobei das Verletzungsbild mit diesen Angaben einwandfrei in Einklang zu bringen sei – der Angeklagte sie zunächst nach hinten gegen den Heizkörper geschubst, ihr sodann mit der Faust gegen das linke Auge geschlagen und mit seinem Fuß gegen ihre linke Körperseite (linker Oberschenkel) sowie auf ihr Knie getreten habe. Mangels Angaben zur Intensität der Tritte sei in Zusammenschau mit den erlittenen Verletzungen in Form von Hämatomen und Prellungen von einem zumindest bedingten Verletzungsvorsatz auszugehen, wofür auch die Lokalität (linker Oberschenkel und linkes Knie) der gesetzten Tritte spreche. Ob allenfalls der Tatbestand des §§ 15, 84 Abs 4 StGB erfüllt sei, werde nach konkreter Befragung in der Hauptverhandlung zu beurteilen sein. Auch würden die weiteren Schilderungen des Opfers zu den vorangegangenen Tätlichkeiten sowie die Angaben der einvernommen Zeugen hinsichtlich der von ihnen beim Opfer wahrgenommenen Verletzungen keinen Vorsatz nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB zulassen, weshalb die Zurückweisung des Strafantrags insgesamt nicht zu Recht erfolgt sei (ON 13).
Der Angeklagte äußerte sich innerhalb offenstehender Frist zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt, ist berechtigt.
Nach § 485 Abs 1 Z 1 StPO hat das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit gemäß § 450 StPO (beschlussförmiger Ausspruch der Unzuständigkeit) vorzugehen.
Bezugspunkte für die Prüfung der (auch sachlichen) Zuständigkeit durch ein über die Rechtswirksamkeit einer Anklage entscheidendes Gericht ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand. Bei dieser Prüfung hat das Gericht die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts selbstständig anhand der Verdachtslage (im Sinne eines Anschuldigungsbeweises) vorzunehmen, wie sie sich aus dem Strafakt ergibt. Eine Bindung an die Subsumtion in der Anklage besteht nicht ( Bauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 450 Rz 2 mwN).
Für den Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit genügt jedenfalls die Verdachtsdichte, die den Ankläger zur Erhebung einer Anklage berechtigt (Anschuldigungsbeweis). Ein dringender Verdacht, wie er für die Untersuchungshaft verlangt wird, ist nicht erforderlich. Es reicht, wenn sich aus dem Anklagevorbringen in Verbindung mit dem Akteninhalt ein Verdacht ergibt, der inkriminierte Sachverhalt wäre im Fall eines Schuldspruchs als ein in die Zuständigkeit eines höheren Gerichts fallende strafbare Handlung zu beurteilen (RIS Justiz RS0124012).
Von einem Anschuldigungsbeweis kann erst gesprochen werden, wenn Verfahrensergebnisse bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs die Annahme der Erfüllung aller Merkmale eines bestimmten Straftatbestandes als naheliegend erkennen lassen. Ob eine angeklagte Tat nach § 83 Abs 1 StGB, §§ 15, 84 Abs 4 StGB oder nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB zu beurteilen ist, hängt allein von der inneren Tatseite des Täters ab. Wenn die äußeren Begleitumstände einen Tatentschluss in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung zulassen, liegen nach dem Gesagten die Voraussetzungen für eine Unzuständigkeitsentscheidung vor (vgl RIS Justiz RS0107021 [T1]).
B* schilderte zum Vorfall vom 12.02.2025, dass sie der Angeklagte mit dem Rücken gegen den Heizkörper geschubst habe. Sie sei wieder aufgestanden, da habe sie eine Faust ins linke Auge bekommen und in weiterer Folge habe der Angeklagte mit seinem Fuß in ihre linke Körperseite und auf das Knie getreten. Sie habe geschaut, dass sie schnell aus der Wohnung komme, habe noch ein paar Sachen gepackt und sei raus gegangen. Danach sei sie mit dem Taxi zu E* gefahren (ON 2.8, S 7f). Im Rahmen der Befragung und der körperlichen Untersuchung beim Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität ** vom 10.06.2025 gab B* an, dass A* durchgedreht sei, sie geschupft habe und sie anschließend mit der linken Seite (mit den Rippen) gegen den Heizkörper gefallen sei. Zudem habe er mit den Füßen gegen ihren linken Oberschenkel getreten und er habe ihr auch mit der Faust ins Gesicht geschlagen (ON 8, S 8).
Demgegenüber zeigte sich A* nicht geständig und gab zum Geschehen am 12.02.2025 im Wesentlichen an, dass B* mit einem Tetrapack Weißwein ins Schlafzimmer gehen habe wollen. Er habe ihr diesen sofort weggenommen und versucht, den Wein auszuleeren. B* habe versucht, ihn zu stoppen und habe von der linken Seite immer wieder nach dem Tetrapack gegriffen. Er habe versucht, sich zu schützen, indem er seinen Ellbogen ausgestreckt habe, wobei er nicht glaube, dass er B* dabei mit dem Ellbogen getroffen habe. In weiterer Folge sei es zu weiteren Streitgesprächen gekommen und B* habe ihm gedroht. Zudem habe sie nach einem Messer gegriffen. Er habe sie sofort abgewehrt und habe versucht zu verhindern, dass sie das Messer bekomme. Es könne sein, dass er sie dabei am Körper getroffen oder sie geschlagen habe, dies sei aber nicht mit Absicht gewesen. Die Situation hätte sich dann beruhigt. Am Weg zum Schlafzimmer sei B* über eine Kiste Bier gestolpert und gestürzt. Er glaube, dass sie sich dabei an der Seite des Oberkörpers verletzt habe, da sie immer wieder auf diese Seite getastet habe (ON 2.5, S 6f).
Der Zeuge E* führte aus, dass B* ihn am 12.02.2025 gegen 22:00 Uhr angerufen und sehr ängstlich gewirkt habe. Er habe am Telefon gehört, dass B* geschrien habe: „Aua, bitte schlag mich nicht mehr und lass mich in Ruhe.“ Im Hintergrund habe er eine männliche Stimme gehört, wobei er sogleich erkannt habe, dass es sich dabei um A* handle. B* habe am Telefon noch gesagt, dass sie schnell ihre Sachen zusammenpacken und dann mit dem Taxi zu ihm kommen werde. Als B* bei ihm angekommen sei, habe er sofort die große Schwellung an der linken Gesichtshälfte, die starke Anschwellung am linken Oberschenkel sowie weitere Hämatome wahrgenommen. Sie habe gesagt, sie sei von A* geschlagen worden. Sodann seien sie mit dem Taxi ins Bezirkskrankenhaus ** gefahren. B* habe ihm bereits in der Vergangenheit mitgeteilt, dass A* sie öfters schlagen würde (ON 2.7).
Die weiters vernommenen Zeugen D* (ON 2.6), F* (ON 7.6), G* (ON 7.7) sowie Dr. H* (ON 7.8) haben keinerlei (auch nicht mittelbare) Wahrnehmungen zum Tatgeschehen vom 12.02.2025.
Aus dem Sachverständigengutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität ** ergibt sich, dass B* durch den Vorfall am 12.02.2025 eine Schädelprellung, eine Brustkorbprellung, eine Oberschenkelprellung sowie eine Knieprellung erlitt. Weiters wurde ein Monokelhämatom links, ein Hämatom über dem Kinn linksseitig, ein faustgroßes Hämatom an der linken Oberschenkelaußenseite sowie Hämatome an der Rumpfaußenseite, am rechten Knie und auf Höhe des rechten Schulterblatts dokumentiert. Die Sachverständige kam zum Schluss, dass es sich um eine medizinisch an sich leichte Körperverletzung mit einer damit einhergehenden relevanten Gesundheitsschädigung bzw Berufsunfähigkeit von weniger als 24 Tagen handelt. Zudem geht aus dem Gutachten hervor, dass das Verletzungsbild mit den Angaben der B* in Einklang zu bringen ist, hingegen ein einmaliges Sturzgeschehen das Verletzungsbild nicht erkläre (ON 8, S 12).
Bei ausschließlicher Zugrundelegung der Angaben des Opfers – welche im Übrigen mit dem festgestellten Verletzungsbild in Einklang stehen – ergibt sich, dass der Angeklagte sie zunächst gegen einen Heizkörper gestoßen habe, sie sodann wieder aufgestanden sei und der Angeklagte ihr in der Folge einen Faustschlag ins linke Auge versetzt sowie sie gegen ihre linke Körperhälfte und ihr Knie getreten habe.
Soweit das Erstgericht im angefochtenen Beschluss ausführt, der Angeklagte habe dem Opfer mehrere Fußtritte gegen ihre linke Körperhälfte und ihr Knie versetzt und insbesondere deshalb von einer besonderen Brutalität auszugehen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass sich dies derzeit weder aus den Angaben des Opfers selbst noch aus dem übrigen Akteninhalt ergibt. Vielmehr fehlen konkrete Angaben zur Anzahl, Art und Intensität der behaupteten Fußtritte, wenn auch anhand der vorliegenden Lichtbilder (ON 2.15) von einer gewissen Heftigkeit der Schläge auszugehen ist.
Auch das vorliegende medizinische Sachverständigengutachten enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass – gestützt auf das Verletzungsbild – von einem außergewöhnlich hohen Ausmaß an Gewalt oder einer Mehrzahl von Tritten auszugehen wäre. Vielmehr stehen die Schilderungen des Opfers mit dem festgestellten Verletzungsbild im Einklang, ohne dass daraus auf eine besondere Brutalität geschlossen werden könnte.
Folglich legt die sich aus dem Strafantrag in Verbindung mit dem Inhalt des Ermittlungsaktes ergebende Verdachtslage bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes die Annahme, es sei dem Angeklagten gerade darauf angekommen, seinem Opfer eine schwere Körperverletzung zuzufügen (Absichtlichkeit im Sinn des § 5 Abs 2 StGB), und damit eines Tatentschlusses in Richtung des in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallenden Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB, derzeit nicht nahe. Es fehlt daher aufgrund der aktuellen Verfahrenslage eine die sachliche Unzuständigkeit der Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck rechtfertigende Verdachtsdichte im Sinne eines Anschuldigungsbeweises.
Die Voraussetzungen nach § 485 Abs 1 Z 1 (§ 450) StPO liegen somit nicht vor, weshalb die angefochtene Entscheidung aufgrund der berechtigten Beschwerde aufzuheben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung nach § 485 Abs 1 Z 4 StPO aufzutragen war.