6Bs150/25x – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Friedrich als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Klammer und den Richter Mag. Melichar als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB über die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 12.11.2024, GZ ** 77, nach der am 30.7.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Rp Mag. Hosp, des Oberstaatsanwaltes Mag. Willam und des Verteidigers RA Mag. Holzmann, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird n i c h t Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten, gemäß § 366 Abs 2 erster Satz iVm § 369 StPO zur Zahlung eines Schadenersatzbetrages in Höhe von EUR 2.000,-- an den Privatbeteiligten B* binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Urteils und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wurde die Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 7.2.2024, 17:23 Uhr, bis 26.2.2024, 16:40 Uhr, auf die verhängte Strafe angerechnet. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 366 Abs 2 StGB wurde der Privatbeteiligte B* mit seinem Mehrbegehren auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Nach dem Schuldspruch hat A*am 4.2.2024 in ** B* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem er ihn unvermittelt von hinten zu Boden riss, mit dem rechten Fuß einen wuchtigen Fußtritt gegen den Kopf versetzte und ihm in Folge am Boden liegend in die Nase biss, wodurch Teile der Haut und des Unterhautgewebes abgebissen wurden, die Nasenknorpel frei lagen und das Opfer somit eine Verletzung mit einer Gesundheitsschädigung, aufgrund der Notwendigkeit eines plastisch-chirurgischen Eingriffs mit Hautlappentransplantation, von mehr als 24 Tagen erlitt .
Die gegen dieses Urteil gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wurde vom Obersten Gerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss vom 7.5.2025, GZ 12 Os 28/25x 4, zurückgewiesen und der Akt zur Entscheidung über die Berufungen dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet (ON 88.3).
Die Berufung des Angeklagten mündet in die Anträge, das Urteil im Strafausspruch aufzuheben und das Ausmaß der Strafe schuld- und tatangemessen herabzusetzen bzw gänzlich bedingt nachzusehen und den Zuspruch an den Privatbeteiligten ersatzlos aufzuheben (ON 80.2). In der Berufung der Staatsanwaltschaft wird unter Hinweis auf die besondere Brutalität der Tat beantragt, die verhängte Strafe auf ein schuld- und tatangemessenes Maß zu erhöhen (ON 79.3). In seiner Gegenausführung beantragt der Angeklagte, der Berufung der Staatsanwaltschaft einen Erfolg zu versagen (ON 82.2). Der Privatbeteiligte beantragt in seiner Gegenausführung, der Berufung des Angeklagten nicht Folge zu geben (ON 83.2). Die Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wurde in der Berufungsverhandlung ausdrücklich zurückgezogen.
Die Oberstaatsanwaltschaft vertrat in einer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme den Standpunkt, dass die vom Angeklagten in der Berufung genannten Milderungsgründe nicht vorliegen und auch keine längeren Zeiten behördlicher Inaktivität im Sinn des § 34 Abs 2 StGB vorlägen. Gegen die Höhe des Privatbeteiligtenzuspruchs bestünden auf Basis der Urteilskonstatierungen weder dem Grunde noch der Höhe nach Bedenken. Von den beiden Berufungen werde daher nur jener der Staatsanwaltschaft Folge zu geben sein.
Rechtliche Beurteilung
Den Berufungen kommt keine Berechtigung zu.
Das Erstgericht ist von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Als mildernd wurde der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und die Tatsache, dass die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, die teilweise Schadensgutmachung und die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit aufgrund der Alkoholisierung berücksichtigt. Weiters wurde die „grundsätzliche Verantwortungsübernahme des Angeklagten für die Verletzung des Opfers“ sowie die Verletzung, die der Angeklagte selbst im Rahmen des Vorfalles erlitten hat, und die Tatsache, dass der Angeklagte aufgrund des Vorfalls seine berufliche Position verlor, mildernd gewertet. Besondere Erschwerungsgründe lägen keine vor.
Der vom Angeklagten reklamierte Milderungsgrund nach § 34 Abs 2 StGB liegt nicht vor. Demnach ist es mildernd, wenn das gegen den Angeklagten geführte Verfahren aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat. Eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer von insgesamt ca. eineinhalb Jahren bis zum rechtskräftigen Abschluss (einschließlich Rechtsmittelverfahren vor dem OGH und dem Oberlandesgericht) liegt nicht vor.
Eine längere Zeit behördlicher Inaktivität im Ermittlungs-, Einspruchs- und Hauptverfahren ist dem Akt nicht zu entnehmen. Die vom Angeklagten im Rechtsmittel besonders hervorgehobene Frist zwischen Einlangen des Ergänzungsgutachtens beim Erstgericht (17.5.2024) und dem Hauptverhandlungstermin am 11.9.2024 ist mit Blick auf die im Schriftsatz ON 53.2 genannten Tage, an welchen der Angeklagte und die Verteidiger für eine Hauptverhandlung nicht zur Verfügung standen (in der Zeit zwischen 27.6. und dem ersten Hauptverhandlungstermin am 11.9.2024 insgesamt 40 Arbeitstage), nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung, dass in dem genannten Zeitraum somit lediglich 12 Arbeitstage für eine allfällige Hauptverhandlung zur Verfügung standen und zudem der Termin auch mit dem Sachverständigen zu koordinieren war, kann in diesem Zusammenhang keine behördliche Inaktivität über einen längeren Zeitraum festgestellt werden. Auch die Dauer der schriftlichen Urteilsausfertigung (vom 12.11.2024 bis 28.12.2024) ist nicht als unverhältnismäßig lange zu beurteilen.
Der Milderungsgrund der Unbesonnenheit (§ 34 Abs 1 Z 7 StGB) liegt ebenfalls nicht vor. Dass der Angeklagte in einer – ohnehin bereits aufgeheizten – Ausnahmesituation dem spontanen Willensimpuls, seinen Freund C* zu beschützen und von dem sich auf ihn zu bewegenden B* zu befreien, gehandelt habe und dem Angeklagten zu diesem Zeitpunkt ruhiges Denken nicht mehr möglich gewesen sei, kann den Urteilskonstatierungen (US 3) nicht entnommen werden und kann die Berufung auch nicht nachvollziehbar dartun. Gegenteiliges ergibt sich nicht zuletzt auch aus der rücksichtslosen Vorgehensweise des Angeklagten, welcher dem von ihm zu Boden gebrachten B* zuerst einen wuchtigen Fußtritt gegen den Kopf versetzte und erst später selbst am Boden liegend in die Nase biss.
Auch eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung beim Angeklagten (§ 34 Abs 1 Z 8 StGB) kann die Berufung nicht nachvollziehbar dartun. Die allgemeine Begreiflichkeit ist vom Standpunkt eines maßstabsgerechten Durchschnittsmenschen zu beurteilen und daher zu verneinen, wenn dem Täter ein sittlicher Vorwurf zu machen ist, in diesen psychischen Ausnahmezustand geraten zu sein ( Riffel in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 34 Rz 20). Aus den Urteilskonstatierungen ergibt sich, dass der Angeklagte gemeinsam mit C* die Gruppe um das spätere Opfer B* zunächst verfolgte und dann, ohne dass er selbst oder C* durch B* angegriffen wurden, oder ein unmittelbar drohender Angriff desselben auf ihn selbst oder C* bevorstand und ohne dass der Angeklagte annahm, er selbst oder C* werden bzw würden unmittelbar drohend von B* angegriffen werden, den B* unvermittelt von hinten zu Boden riss und die oben beschriebenen Tätlichkeiten setzte (US 3). Diese Vorgehensweise schließt im Sinne obiger Ausführungen eine allgemeine Begreiflichkeit aus.
Ausgehend von den Urteilskonstatierungen, wonach der Angeklagte vier bis sechs große Bier konsumiert hatte (US 4) sowie seiner eigenen Verantwortung, wonach er zum Tatzeitpunkt „nur wenig betrunken“ gewesen sei (ON 67 Seite 8), kann ein Zustand, der einem Schuldausschließungsgrund (§ 34 Abs 1 Z 11 StGB) nahekäme oder ein sehr hoher Grad verminderter Zurechnungsfähigkeit nicht angenommen werden. Der Schöffensenat hat zudem eine Notwehrsituation des Angeklagten ausgeschlossen (US 3). Eine eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit aufgrund der Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt wurde vom Erstgericht im Rahmen der Strafzumessung ohnehin mildernd berücksichtigt.
Der vom Erstgericht bereits angenommene Milderungsgrund der teilweisen Schadensgutmachung wird durch die weitere Zahlung von EUR 5.395,90 im Berufungsverfahren (PB-Zuspruch laut Ersturteil iHv EUR 2.000,-- sowie EUR 3.395,90 Kosten, s. ON 8) verstärkt.
Der vom Angeklagten reklamierte Milderungsgrund des teilweisen Geständnisses (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) kommt nicht zur Anwendung, da dieser Milderungsgrund ein reumütiges Geständnis oder einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung voraussetzt. Der Angeklagte hat jedoch mit seiner Aussage nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen und kein die wesentlichen Schuldelemente umfassendes Geständnis abgelegt. Seine Erklärung, die volle Verantwortung zu übernehmen für das, was er gemacht habe und dass ihm dies unendlich leid tue und er sich dafür zutiefst schäme und entschuldige, ist zwar als reumütig zu beurteilen, nicht jedoch als Geständnis zumal der Angeklagte sowohl ein Zubeißen als auch Absichtlichkeit nie eingeräumt hat.
Dass der Angeklagte selbst im Rahmen des Vorfalles eine Verletzung erlitten und seine berufliche Position verloren habe, stellt den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 19 StGB nicht dar. Diese Bestimmung verlangt, dass der Täter unmittelbar durch seine Tat selbst verletzt wurde („durch die Tat oder als deren Folge“; RISJustiz RS0132073), was hier aber gerade nicht der Fall war, zumal sich der Angeklagte seine Verletzungen erst im Zuge der nachfolgenden Auseinandersetzung zugezogen hat (US 4 zweiter Absatz). Auch der vom Erstgericht im Rahmen der allgemeinen Strafbemessungsgrundsätze des § 32 StGB genannte Milderungsgrund, dass der Angeklagte aufgrund des Vorfalles seine berufliche Position verlor, hat zu entfallen. Auch hier müsste sich der Nachteil unmittelbar aus der Tat selbst ergeben. Der Angeklagte führte dazu explizit aus, dass er aufgrund des gegenständlichen Verfahrens seine Position aufgeben und kündigen musste (ON 67 Seite 2). Mit dem Strafverfahren verbundene Nachteile (wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes) sind vom Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 19 StGB nicht umfasst (idS RISJustiz RS0130394).
Zum ergänzenden Vorbringen in der Berufungsverhandlung, dass für den Angeklagten als Drittstaatsangehöriger keine Möglichkeit auf elektronisch überwachten Hausarrest besteht, ist anzumerken, dass dies kein Kriterium der Strafzumessung ist.
Dem Einwand der Staatsanwaltschaft in ihrer Berufungsschrift, wonach „das Erstgericht die besondere Brutalität bei Begehung der Tat nicht erfasst“ habe und daher eine zu milde Sanktion verhängt habe, ist zu entgegnen, dass der Erschwerungsgrund des § 33 Abs 2 Z 5 StGB trotz der äußerst rücksichtslosen Vorgehensweise des Angeklagten durch einen wuchtigen Fußtritt gegen den Kopf und einen Biss in die Nase des Opfers noch nicht erfüllt ist.
Der Strafrahmen des § 87 Abs 1 StGB reicht von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Im Hinblick auf die personale Täterschuld, den Unrechtsgehalt der Tat, die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung nach § 32 StGB und die Strafzumessungsgründe ist die innerhalb dieses Strafrahmens bemessene Strafe schuld- und tatangemessen. Sie wird sowohl spezial- als auch generalpräventiven Erwägungen gerecht, sodass sie weder einer Herabsetzung noch einer Erhöhung zugänglich ist. Zutreffend wurde vom Erstgericht auch ein Teil der verhängten Strafe in Anwendung des § 43a Abs 3 StGB von zwei Drittel bedingt nachgesehen. Damit wird sowohl spezial- als auch generalpräventiven Überlegungen Genüge getan. Eine gänzlich bedingte Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB oder die Anwendung des § 43a Abs 2 StGB kommt im Hinblick auf die rücksichtslose und mehrphasige Tatausführung (im Sinne der Urteilskonstatierungen US 3 vorletzter Absatz) aus spezialpräventiven Gründen nicht in Betracht.
Insgesamt war daher den Berufungen nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch angeführte Gesetzesstelle.