Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag. a Berzkovics (Vorsitz), den Richter Mag. Obmann, LL.M. und die Richterin Mag a . Kohlroser in der Strafvollzugssache des A*wegen § 4 StVG über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Leoben gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 15. September 2025, GZ **-366, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehobenund der Antrag des A* auf Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung nach § 4 StVG abgewiesen .
Gegen diese Entscheidung steht kein weiterer Rechtszug zu.
Begründung:
Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 16. Mai 2024, GZ **-297a, wurde – soweit hier relevant - der am ** geborene albanische Staatsangehörige A* des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 2 Z 1, 130 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 3 (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) StGB, teils iVm § 15 Abs 1 StGB und des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach § 130 Abs 3 StGB unter Anrechnung der Vorhaft nach § 38 Abs 1 Z 1 StGB von 27. Jänner 2024, 10.23 Uhr bis 16. Mai 2024, 16.38 Uhr zur Freiheitsstrafe von 45 Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch wegen des Verbrechens lagen im Zeitraum Juli 2023 bis Jänner 2024 mit Mittätern begangene Einbrüche (überwiegend) in Wohnstätten zugrunde, wobei die Bewohner großteils zu Hause waren und schliefen und es nur zufällig zu keiner Konfrontation mit den Einbrechern kam. Der Wert der Diebsbeute betrug über EUR 553.000,00 (zum Sachverhalt siehe Urteilsausfertigung ON 297a).
Die Hälfte der Strafe wird am 12. Dezember 2025 vollzogen sein (ON 365).
Mit dem rechtskräftigen Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 7. August 2024, AZ ** (ON 350), wurde aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts Northeim vom 12. Juni 2024, AZ **, die Übergabe des A* an die deutschen Justizbehörden zur Strafverfolgung nach § 21 Abs 1 EU-JZG angeordnet (I.) und die Übergabe nach § 25 Abs 1 Z 6 EU-JZG bis zu seiner Entlassung aus der mit Urteil des Landesgerichts Leoben zu AZ ** verhängten Freiheitsstrafe von 45 Monaten aufgeschoben (II.).
Dem Europäischen Haftbefehl zufolge soll A* das Verbrechen des Wohnungseinbruchsdiebstahls nach §§ 242, 244 Abs 1 Nr 3, Abs 4, 53 des deutschen Strafgesetzbuches begangen haben, indem er zwischen (richtig:) 30. März 2023 und 2. April 2023 entsprechend eines vorgefassten Tatplans mit dem gesondert verfolgten B* in den Bereich ** fuhr, um dort Fenster oder Türen an Häusern und dauerhaft genutzten Privatwohnungen mittels Kittfalzstich durch B* öffnen zu lassen, worauf sie die Wohnräume betraten und nach stehlenswerten Gegenständen durchsuchten, in weiterer Folge das Diebsgut in einem Pkw transportierten und anschließend verwerteten, dies im Bewusstsein, keinen Anspruch auf die Gegenstände oder Geldbeträge zu haben, und zwar
1. zwischen 30. März 2023 und 2. April 2023 durch Wegnahme von drei Einweckgläsern mit Deckeln mit jeweils gesammelten Münzen, einer schwarzen Damenhandtasche aus Glattleder und einer orangen Steppweste (Gesamtschaden ca EUR 200,00),
2. von 1. April 2023 bis 2. April 2023 durch Wegnahme von EUR 4.800,00 und einer Schmuckschatulle mit drei oder vier silbernen Halsketten (Gesamtschaden ca EUR 5.000,00) und
3. am 1. April 2023 durch Wegnahme von mindestens elf Goldketten, zwei Silberketten, zwei Armbändern in Gold, mindestens 20 Ringen sowie zwei Paar Goldohrringen, einem Paar Korallenohrringen und einem Paar silbernen Ohrringen mit Bernstein (Gesamtschaden ca EUR 5.000,00).
Das Verbrechen ist in Deutschland mit einer Höchstdauer von zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht.
Mit dem beim Landesgericht Leoben am 22. August 2025 eingelangten Schreiben vom 19. August 2025 beantragte A* „§ 4 StVG“, da er nach Strafende ohnehin an die deutschen Behörden ausgeliefert werden solle (ON 358.1).
Die Staatsanwaltschaft Leoben trat einem Absehen vom Strafvollzug nach § 4 StVG „bereits nach der Hälfte der Strafzeit“ entgegen (ON 363).
Mit dem angefochtenen Beschluss sah das Erstgericht vom weiteren Vollzug der über A* mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 22. Mai 2024, AZ **, verhängten Freiheitsstrafe nach § 4 StVG wegen der Auslieferung des Genannten an die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland ab der tatsächlichen Übergabe des Verurteilten an die deutschen Strafverfolgungsbehörden, frühestens jedoch nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe, sohin zum 12. Dezember 2025 vorläufig ab. Begründend führte das Erstgericht aus, dass in Deutschland im Fall einer Verurteilung des A* eine Strafe zu erwarten sei, deren Ausmaß zumindest der im Inland noch nicht vollzogenen Freiheitsstrafe entspreche oder sie sogar übersteige. Weiters stünden weder die Art der Tat, noch deren Begehung oder das Ausmaß der verhängten und noch zu vollziehenden (Rest-)Strafe dem vorläufigen Absehen des Strafvollzugs infolge Auslieferung des A* an die deutschen Strafverfolgungsbehörden entgegen (ON 366).
Mit ihrer Beschwerde strebt die Staatsanwaltschaft Leoben die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Abweisung des Antrags auf Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung zum Hälftestichtag an (ON 367). A* sei besonders schwerer, mehrfach qualifizierter und wiederholter im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangener Straftaten verurteilt worden, sodass besondere generalpräventive Aspekte gegeben seien, die den weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich machen würden. Es habe sich bei ihm um ein führendes Mitglied der kriminellen Organisation gehandelt und würden Einbruchsserien, wie die vorliegende, den sozialen Frieden nachhaltig und empfindlich stören, weil es sich um eine massive Form des Kriminaltourismus mit Einbrüchen in Wohnstätten in einer Vielzahl von Angriffen über einen langen Tatzeitraum handle und auch keine Rücksicht darauf genommen worden sei, welcher massive über den materiellen Schaden hinausgehende immaterielle Nachteil den in den Wohnstätten teils anwesenden, großteils schlafenden Opfern zugefügt wird. In Anbetracht des planvollen Vorgehens der Organisation und der Streuung der Tatorte über beinahe das gesamte österreichische Bundesgebiet seien Polizeiermittler, Staatsanwaltschaft und Haft- und Rechtsschutzrichter auch lange und intensiv mit der umfassenden und akribischen Ermittlung befasst gewesen (tituliertes Großverfahren). Ungeachtet der Strafdrohung von zehn Jahren sei nicht zuletzt mit Blick auf das Zusatzstrafenverhältnis nicht zu erwarten, dass über den Verurteilten in der Bundesrepublik Deutschland eine empfindliche (Zusatz-)Strafe verhängt werde, zumal ihm dort lediglich drei Angriffe innerhalb einer einzigen Nacht vorgeworfen werden, sondern sei vielmehr von einer zu vernachlässigenden Zusatzstrafe in geringem Ausmaß auszugehen. Aufgrund der Schwere der Tat und des massiven Störwertes bedürfe es des weiteren Vollzugs, um der verwerflichen Tathandlung mit einer entsprechenden Abschreckung zu begegnen (ON 367).
Die Beschwerde ist berechtigt.
Wird ein Verurteilter an eine ausländische Behörde ausgeliefert, so ist gemäß § 4 StVG vom Vollzug einer über ihn verhängten Freiheitsstrafe vorläufig abzusehen, es sei denn, dass es aus besonderen Gründen des unverzüglichen Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
§ 4 StVG stellt weder darauf ab, ob der Rechtsbrecher bereits einen bestimmten Teil der über ihn verhängten zeitlichen Freiheitsstrafe verbüßt hat, noch darauf, ob nach seiner Person, seinem Vorleben, seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen oder seiner Aufführung während der Vollstreckung anzunehmen ist, dass er in Freiheit keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde. Vielmehr liegt der angeführten Bestimmung der Gedanke zugrunde, den österreichischen Strafvollzug nur in dem aus generalpräventiven Erfordernissen unerlässlichen Ausmaß mit Vollzügen an Ausländern zu belasten, die - sei es zur Strafverfolgung, sei es zur Strafvollstreckung - an eine ausländische Behörde auszuliefern sind, weshalb nur ausnahmsweise auf generalpräventive Gesichtspunkte Bedacht zu nehmen ist. In Betracht kommen primär hohe Freiheitsstrafen wegen schwerer Straftaten, durch die der Rechtsfrieden besonders empfindlich und nachhaltig gestört wurde, die besonderes Aufsehen erregt oder die die Behörden besonders lange und intensiv auf den Plan gerufen haben ( Pieber,WK² StVG § 4 Rz 12).
Im vorliegenden Fall ist das der österreichischen Verurteilung zugrundeliegende Verbrechen der Schwerkriminalität zuzurechnen und durch einen sehr hohen sozialen Störwert gekennzeichnet. Dieser basiert insbesondere auf der Vielzahl der Angriffe (über 100), dem hohen Beutewert (über EUR 550,000,00), der mehrfachen Qualifikation des Delikts und der Gleichgültigkeit der Täter gegenüber der Möglichkeit, die Einbruchsopfer zu wecken und eine Konfrontation hervorzurufen, wodurch die Gefährlichkeit der Taten erheblich gesteigert war.
Demgegenüber fallen die A* im Europäischen Haftbefehl zur Last gelegten drei Einbrüche in Einfamilienhäuser mit einem Schaden von insgesamt ca EUR 10.200,00 - im Fall der Verurteilung - nicht ins Gewicht, weshalb höchstens mit einer geringen (Zusatz-)Freiheitsstrafe zu rechnen ist (zur Abwägung zwischen der im Inland verhängten Freiheitsstrafe und der zu erwartenden Strafe im Ausland vgl Pieber aaO, § 4 Rz 13; OLG Wien, AZ mwN).
Somit bedarf es wegen der Schwere des hier abgeurteilten Verbrechens und der Prognose in Bezug auf die in Deutschland zu erwartende Strafe des weiteren Vollzugs der Freiheitsstrafe, um potentiellen Delinquenten mit entsprechender Abschreckung zu begegnen und sie von der Begehung derartiger strafbarer Handlungen wirksam abzuhalten.
Der Rechtsmittelausschluss gründet auf § 89 Abs 6 StPO iVm § 7 Abs 2 erster Satz StVG.
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