23Bs169/25h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen Absehens vom Strafvollzug wegen Auslieferung nach § 4 StVG über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Juni 2025, GZ **-129, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der kroatische Staatsangehörige A* wurde mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. November 2021 zu AZ ** (ON 67) wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG sowie der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 und Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vom 7. September 2023 zu AZ ** (ON 86) wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter und dritter Fall StGB und nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG sowie der Geldwäscherei nach §§ 12 zweiter Fall, 165 Abs 2 und Abs 4 erster und zweiter Fall StGB idF BGBl I Nr. 117/2017 unter Bedachtnahme (§ 31 StGB) auf das erstgenannte Urteil zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Er verbüßt derzeit in der Justizanstalt ** die mit dem erstangeführten Urteil verhängte Freiheitsstrafe, im Anschluss daran wird – voraussichtlich ab 17. Mai 2026, 10.15 Uhr, - die mit dem zweitangeführten Urteil verhängte Zusatzstrafe vollzogen (ON 91).
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. März 2025 zu AZ ** (ON 113) wurde die vereinfachte Übergabe des Verurteilten aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Gespanschaftsgerichts Zagreb vom 6. Februar 2025 zur Zahl * an die kroatischen Behörden zur Strafverfolgung angeordnet, seine tatsächliche Übergabe jedoch bis zur Beendigung der Strafhaft in den beiden genannten Verfahren aufgeschoben.
Mit Schriftsatz vom 27. März 2025 (ON 114) beantragte A* das vorläufige Absehen vom Strafvollzug gemäß § 4 StVG, „um die Auslieferung nach Kroatien zu ermöglichen und eine Doppelbestrafung bzw. Schlechterstellung im Verhältnis zur hypothetischen Gesamtverurteilung durch ein österreichisches Gericht zu vermeiden.“ Sein Verhalten während der Haftzeit sei beanstandungsfrei gewesen, er habe aktiv an seiner Resozialisierung gearbeitet und liege die Durchführung des Strafverfahrens in Kroatien ebenfalls im Interesse der allgemeinen Strafverfolgung.
Die Staatsanwaltschaft Wien erhob keinen Einwand ge-
gen ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 4 StVG (ON 118).
Nach Aufhebung des Vorbeschlusses vom 14. April 2025 (ON 119) mit Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Mai 2025 zu AZ 23 Bs 134/25m (ON 127.1) und Verfahrensergänzung durch Anschluss des Aktes AZ ** der Staatsanwaltschaft Wien wurde der Antrag des Verurteilten auf Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung gemäß § 4 StVG vom Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss (ON 129) abermals aus generalpräventiven Erwägungen abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Verurteilten (ON 131), der keine Berechtigung zukommt.
Zu den Voraussetzungen eines Absehens vom Strafvollzug wegen Auslieferung gemäß § 4 StVG wird auf die ausführlichen Darlegungen des Oberlandesgerichts Wien in der zitierte Vorentscheidung zu AZ 23 Bs 134/25m verwiesen (zur Zulässigkeit vgl 12 Os 137/07z; RIS-Justiz RS0098568).
Dem nunmehr angeschlossenen Akt der Staatsanwaltschaft Wien zur Zahl ** bzw. dem (in die deutsche Sprache übersetzten) oberwähnten Europäischen Haftbefehl des Gespanschaftsgerichts in Zagreb vom 6. Februar 2025 (dort ON 2.2) ist zu entnehmen, dass ein „Strafverfahren gegen den Erstangeklagten B* und andere wegen der Straftaten der Organisation und Führung einer kriminellen Vereinigung, der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie der Fälschung öffentlicher Urkunden (Personalausweise und Reisepässe der Republik Kroatien) im Rahmen einer kriminellen Vereinigung im Zeitraum von August 2018 bis 27. November 2019 auf dem Gebiet der Republiken Kroatien und Serbien, mit dem Ziel, sich unrechtmäßigen materiellen Gewinn zu verschaffen, indem unrechtmäßige kroatische Personalausweise und Reisepässe hauptsächlich für Straftäter und Mitglieder organisierter krimineller Gruppen aus der Republik Serbien und der Republik Montenegro ermöglicht wurden, wofür diese zwischen 7.500,00 und 15.000,00 Euro zahlten“ geführt wird. Dabei wurden „75 persönliche Dokumente gefälscht, wodurch ein unrechtmäßiger Vermögensvorteil von mindestens 538.042,08 Euro erlangt wurde. Der Angeklagte A*, als achter Angeklagter, [ist] Mitglied der kriminellen Vereinigung.“
A* wird die Straftat der fortgesetzten Urkundenfälschung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gemäß Art 329 Abs 1 Punkt 2 iVm Art 278 Abs 1 und 3 sowie Art 52 des kroatischen Strafgesetzbuches (bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) zur Last gelegt, weil er „in Kenntnis des Ziels der kriminellen Vereinigung und ihrer kriminellen Aktivitäten“ „im Rahmen dieser Vereinigung gefälschte Dokumente zur Verwendung“ erwarb, „wobei die Straftat in Bezug auf öffentliche Urkunden begangen wurde“. Wie viele öffentliche Urkunden ihm konkret zur Last gelegt werden, ist dem Haftbefehl indes nicht zu entnehmen.
Entgegen dem Verständnis des Beschwerdeführers ist im Hinblick auf das Ausmaß der (im Falle seiner Verurteilung) zu erwartenden Strafe eine Prognose vorzunehmen. Eine – ohnehin nicht verlässlich mögliche – Beurteilung der Verurteilungswahrscheinlichkeit ist hingegen nicht verlangt (OLG Wien *; Pieber in WK² StVG § 4 Rz 13).
Das kroatische Strafgesetzbuch (siehe die Homepage des Obersten Gerichtshofs von Kroatien: https://www.vsrh.hr/CustomPages/Static/HRV/Files/Legislation__Criminal-Code.pdf) enthält in Art 62 iVm Art 60 Bestimmungen, die im Wesentlichen dem § 31 StGB entsprechen. Darnach ist mit Blick auf den im Haftbefehl angegebenen (vor den beiden österreichischen Verurteilungen zu fünf bzw. zwei Jahren Freiheitsstrafe gelegenen) Tatzeitraum - in Übereinstimmung mit dem Erstgericht – jedoch davon auszugehen, dass im Falle einer Verurteilung bei einem Strafrahmen von bis zu zehn Jahren mit keiner hier ins Gewicht fallenden Zusatzstrafe zu rechnen ist.
Die gegenständliche Verurteilung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe erfolgte, weil A* (zusammengefasst) als Mitglied einer auf die Ausführung von Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz und Geldwäscherei ausgerichteten kriminellen Vereinigung
I./ im Zeitraum 18. Juni 2020 bis 20. Oktober 2020 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt mehr als 16 Kilogramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinsubstanzgehalt von zumindest 67,63% Cocain in sieben Angriffen aus den Niederlanden bzw. nicht mehr feststellbaren Ländern aus- und nach Österreich eingeführt und teilweise wieder in Nachbarländer ausgeführt bzw. im Urteil angeführte Personen dazu bestimmt bzw. zur Aus- und Einfuhr durch solche beigetragen hat, indem er die Schmuggelfahrten selbst durchführte oder gemeinsam mit seinen Mittätern den Transport aus dem Ausland nach Österreich organisierte,
II./ im Zeitraum 26. August 2020 bis 21. Oktober 2020 wissentlich aus Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz stammende Vermögensbestandteile in einem 50.000 Euro übersteigenden Gesamtwert, nämlich insgesamt mehr als 278.500 Euro in drei Angriffen an sich gebracht, verwahrt und Dritten übertragen bzw. im Urteil genannte Mitglieder der kriminellen Vereinigung dazu bestimmt hat, indem er wiederholt die Erlöse aus den Suchtgiftverkäufern einsammelte und an Kuriere zur Weiterleitung an die Hintermänner übergab.
Im Hinblick auf diese konkreten Umstände haben die der gegenständlichen Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten einen sehr hohen sozialen Störwert, sodass fallbezogen generalpräventiven Aspekten tatsächlich erhebliches Gewicht zukommt, gilt es doch, potentiellen Delinquenten im Milieu und Lebenskreis des Beschwerdeführers die Untolerierbarkeit solcher, großes Leid über Suchtgiftkonsumenten und ihre Familie bringenden Taten sowie das Missverhältnis zwischen dem erwarteten kriminellen Lohn aus diesen Umtrieben und der staatlichen Reaktion im Falle der Betretung aufzuzeigen und sie von der Begehung derartiger strafbarer Handlungen abzuhalten.
Ein Vorgehen nach § 4 StVG ist daher auch mit Blick auf die im Ausland drohende Zusatzstrafe außer Reichweite.
Dieser Einschätzung vermag der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf das ihm auferlegte Aufenthaltsverbot von zehn Jahren und sein vorbildliches Verhalten in Haft, welche Umstände ausschließlich spezialpräventive Aspekte ansprechen, nichts entgegenzuhalten.
Der Beschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.