6Ra24/25h – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier und den Richter Mag. Schweiger sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , Slowenien, **, vertreten durch Mag. Michael Hirth, Rechtsanwalt in Graz, als bestellter Verfahrenshilfevertreter, gegen die beklagte Partei B*-Aktiengesellschaft , **, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, wegen Kündigungsanfechtung, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. November 2024, **-17, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Revision ist nichtnach § 502 Abs 1 ZPO zulässig .
Text
Entscheidungsgründe:
Die am ** geborene, zum Kündigungszeitpunkt daher 51-jährige Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Universitätsdiplomwirtschaftswissenschafterin. Im Zeitraum von 1999 bis 2014 war sie in ** und ** sowie in Slowenien als Angestellte in diversen Funktionen im Verkauf, im Marketing und Bankwesenbereich sowie in einem Reisebüro tätig. In Österreich war sie als Verkaufsmitarbeiterin in zwei Unternehmen tätig. Sie besitzt einen Führerschein der Klasse B und verfügt neben Sprachkenntnissen in kroatisch, slowenisch und englisch auch über ausreichende Deutschkenntnisse, um in Österreich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder als Einzelhandelskauffrau oder Kassiererin eingesetzt werden zu können.
Die Klägerin war seit 6. Dezember 2021 im Unternehmen der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde mit Schreiben der Beklagten vom 7. Juni 2024, das der Klägerin am selben Tag zuging, zum 15. August 2024 gekündigt. Der im Betrieb der Beklagten errichtete Angestelltenbetriebsrat wurde von der Kündigungsabsicht verständigt, gab jedoch keine Stellungnahme ab. Auf das Dienstverhältnis fand der Kollektivvertrag der Handelsangestellten Anwendung.
Die Klägerin erzielte ein monatliches Bruttoeinkommen von EUR 2.124,00. Sie hat Unterhaltspflichten für einen 14-jährigen Sohn und ihren Ehemann, der eine Pension von monatlich EUR 828,00 bezieht. Gemeinsam mit ihrem Ehemann trägt die Klägerin monatliche (vom Erstgericht detailliert festgestellte [US 2 erster Absatz]) Fixkosten von insgesamt EUR 1.291,66.
Die Arbeitsmarktlage für die von der Klägerin bei der Beklagten ausgeübte Beschäftigung ist gut. Zum Stichtag 25. September 2024 waren im Raum **, C* und C*-Umgebung 112 Vollzeitstellen für Einzelhandelskaufleute/Verkaufsmitarbeiter:innen und 47 Vollzeitstellen für Kassierer:innen im Handel als Dauerbeschäftigung ausgeschrieben.
Unter Berücksichtigung der Berufsbiographie und des Alters der Klägerin sowie der dargestellten Arbeitsmarktsituation wird die Klägerin im Großraum C*, insbesondere südlich von C*, mit hoher Wahrscheinlichkeit nach intensiver Stellensuche innerhalb von drei bis vier Monaten einen neuen - ihrer zuletzt bei der Beklagten ausgeübten Tätigkeit einer Einzelhandelskauffrau oder Kassiererin gleichwertigen - Arbeitsplatz finden und diesfalls keine Einkommenseinbußen im Vergleich zum bei der Beklagten zuletzt bezogenen Gehalt erleiden.
Mit ihrer am 19. Juni 2024 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die mit Schreiben vom 7. Juni 2024 ausgesprochene Kündigung des Dienstverhältnisses für rechtsunwirksam zu erklären. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie befinde sich im 52. Lebensjahr und es werde ihr sicher nicht mehr gelingen, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu erlangen. Es bestünden gesetzliche Unterhaltspflichten gegenüber ihrem Sohn und ihrem Ehemann. Sie müsse erhebliche monatliche Rückzahlungsraten für bestehende Kredite leisten.
Umstände, die in der Person der Klägerin gelegen seien und die betrieblichen Interessen nachteilig berührten, lägen nicht vor. Betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstünden, existierten nicht.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Die Kündigung sei nicht sozial ungerechtfertigt. Die Klägerin habe das 52. Lebensjahr noch nicht vollendet und sei daher - bezogen auf den Arbeitsmarkt - „noch nicht wirklich“ als ältere Dienstnehmerin zu bezeichnen. Derzeit bestehe eine rege Nachfrage nach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass die Klägerin in absehbarer Zeit in der Lage sein werde, einen vergleichbaren Arbeitsplatz zu finden.
Im Übrigen lägen auch personenbezogene Kündigungsgründe vor.
Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren auf Grundlage des eingangs dargestellten und unstrittigen Sachverhalts ab. In rechtlicher Hinsicht vertritt es den Standpunkt, dass die Kündigung die wesentlichen Interessen der Klägerin nicht beeinträchtige. Es würde ihr gelingen, bereits nach drei bis vier Monaten einen gleichwertigen neuen Arbeitsplatz zu finden. Es sei feststellungsgemäß mit keinen Einkommenseinbußen zu rechnen. Im Hinblick auf die bisherige Beschäftigungsdauer der Klägerin von beinahe zwei Jahren und acht Monaten (zum Kündigungstermin), unter Berücksichtigung ihrer gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, insbesondere unter Bedachtnahme auf die Unterhaltspflichten für ihren 14-jährigen Sohn und ihren Ehemann, der selbst eine Pension von EUR 828,00 beziehe und der gemeinsam bestrittenen monatlichen Fixkosten reiche die zu erwartete Arbeitslosigkeit von drei bis vier Monaten nicht aus, um die Beeinträchtigung wesentlicher Interessen zu rechtfertigen.
Da bereits eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung der Klägerin zu verneinen sei, erübrige sich die Prüfung allenfalls vorliegender subjektiver oder objektiver Rechtfertigungsgründe für die Kündigung ebenso wie die Vornahme einer Interessenabwägung.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Da das Berufungsgericht die Berufungsausführungen für nicht stichhältig, die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hingegen für zutreffend erachtet, reicht es aus, auf deren Richtigkeit hinzuweisen und sie - bezugnehmend auf die Argumentation der Klägerin - wie folgt kurz zu ergänzen (§ 500a ZPO):
Die Klägerin meint, dass das Erstgericht ihre festgestellten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit nicht ausreichend berücksichtigt habe. Dazu führt sie nach Zitierung von zum Thema „Sozialwidrigkeit einer Kündigung“ bestehender Rechtsprechung ins Treffen, dass, weil stets eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen sei, es nicht das einzige Beurteilungskriterium sein dürfe, dass sie bereits nach drei bis vier Monaten einen vergleichbaren Arbeitsplatz finden könne. Eine im Sinne der oberstgerichtlichen Rechtsprechung vorzunehmende Gesamtbetrachtung ergäbe - insbesondere unter Berücksichtigung ihres Alters, ihrer mehrjährigen Dienstzugehörigkeit und ihrer Unterhaltspflichten -, dass die Kündigung wesentliche Interessen der Klägerin beeinträchtige. Die potentielle Arbeitslosigkeit von drei bis vier Monaten stelle eine massive und unzumutbare Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Lage dar.
Diese Kritik ist unberechtigt.
Bei der Beurteilung des Anfechtungsgrundes des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist unter Anlegung eines objektiven Maßstabes primär zu prüfen, ob wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt sind. Für diese Umstände ist der anfechtende Kläger behauptungs- und beweispflichtig (RS0051746). Gelingt dem Arbeitnehmer der ihm obliegende Nachweis einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung nicht, ist das Klagebegehren abzuweisen, ohne dass es einer Prüfung der weiteren Anfechtungsvoraussetzungen bedarf (RS0051640 [T 4]).
Bei der Untersuchung, ob durch die Kündigung eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen eintritt, ist auf die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes und in diesem Zusammenhang auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers, den Verlust allfälliger dienstzeitabhängiger Ansprüche sowie der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Vorteile abzustellen; darüber hinaus sind aber auch die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers einzubeziehen, wie Einkommen, Vermögen, auf Gesetz, Vertrag oder sittlichen Verpflichtungen beruhende Sorgepflichten, das Einkommen des Ehegatten und der anderen erwerbstätigen Familienmitglieder sowie Schulden, soweit deren Entstehungsgrund berücksichtigungswürdig ist (RS0051703).
Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist nur dann erfüllt, wenn die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne dass aber eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung eintreten müsste (RS0051753). Da jede Kündigung die Interessen eines Dienstnehmers beeinträchtigt und damit soziale Nachteile verbunden sind, müssen Umstände vorliegen, die über das normale Maß hinaus eine Kündigung für den Arbeitnehmer nachteilig machen (RS0051753 [T 5]). Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss nämlich jeder Arbeitnehmer im Lauf seines Arbeitslebens hinnehmen (RS0051727 [T 2]).
Bei den Einkommenseinbußen ist nicht auf starre Prozentsätze abzustellen (RS0051727 [T 10]).
Im Hinblick auf die zumutbare Dauer der zu erwartenden Arbeitslosigkeit wurde unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Einzelfall einerseits einer Dauer von etwa neun, zehn oder zwölf Monaten als Beeinträchtigung wesentlicher Arbeitnehmerinteressen qualifiziert, andererseits jedoch bei prognostizierten sechs bis acht Monaten oder sechs bis zwölf Monaten und zu erwartendem Fix-Einkommen etwa in der bisherigen Größenordnung ebenso vermeint wie bei innerhalb von neun bis zwölf Monaten ab Ausspruch der Kündigung erwartbarer, ungefähr gleich dotierter Vollzeitbeschäftigung (8 ObA 38/24g mwN).
Die soziale Lage des Arbeitnehmers nach der Kündigung hängt in erster Linie davon ab, ob er nach der Kündigung seine bisherige Lebensführung im Wesentlichen aufrecht erhalten kann oder erhebliche Nachteil ein Kauf nehmen muss. Ist der Arbeitnehmer zur Bestreitung seines Lebensunterhalts im Wesentlichen darauf angewiesen, Einkommen aus Erwerbsarbeit zu beziehen, so sind seine Arbeitsmarktchancen nach der Kündigung das wesentlichste Element für die Beurteilung der Frage, ob die Kündigung die Interessen des Arbeitnehmers nachteilig berührt oder nicht ( Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 3 6§ 105 ArbVG Rz 98). Kann ein Arbeitnehmer innerhalb von drei bis vier Monaten mit einem vergleichbaren Posten rechnen, so besteht keine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen (9 ObA 73/24m, 9 ObA 49/13s, 9 ObA 148/12y, 8 ObA 12/07h).
Hier steht fest, dass die Klägerin - auch unter Berücksichtigung ihres Alters - nach einer Arbeitsplatzsuche von drei bis vier Monaten einen gleichwertigen Arbeitsplatz finden wird und keine Einkommenseinbuße zu erwarten ist. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, wonach keine Sozialwidrigkeit vorliegt, ist somit zutreffend, sodass der Berufung nicht Folge zu geben ist.
Gemäß §§ 58 Abs 1 iVm § 50 Abs 2 ASGG steht in Kündigungsanfechtungsverfahren ein Kostenersatzanspruch nur in Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zu. In Übereinstimmung damit haben die Parteien keine Kosten verzeichnet, sodass eine Kostenentscheidung entfällt.
Die ordentliche Revision ist nicht zuzulassen. Ob die Sozialwidrigkeit der Kündigung nachgewiesen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (8 ObA 38/24g, 9 ObA 73/24m, RS0051640 [T 5], RS0051741 [T 3]).