10Bs44/25h – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. Wieland und Mag a . Tröster in der Strafsache gegen A* B* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen nach öffentlicher Verhandlung am 16. Juli 2025 in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Liensberger, LL.M., des Privatbeteiligtenvertreters Rechtsanwalt Mag. Taumberger (für C* B*) und des Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Schweighofer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Graz gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 12. Dezember 2024, GZ **-19, zu Recht erkannt :
Spruch
Auf die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit wird keine Rücksicht genommen.
Seiner Berufung und der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht Folge gegeben.
Der weiteren Berufung des Angeklagten wird dahin Folge gegeben , dass über A* B* die für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt und der Privatbeteiligtenzuspruch an C* B* aufgehoben und sie mit ihren Ansprüchen zur Gänze auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird.
Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer weiteren Berufung darauf verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
gründe:
Mit dem angefochtenen auch einen Freispruch enthaltenden Urteil wurde der am ** geborene kosovarische Staatsangehörige A* B* je eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt, in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 105 Abs 1 StGB zur gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Verfahrenskostenersatz verpflichtet. Ferner wurde er schuldig erkannt, gemäß § 369 Abs 1 StPO der Privatbeteiligten C* B*, die mit ihrer darüber hinausgehenden Forderung auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde, 300,00 Euro Schmerzengeld zu bezahlen.
Dem Schuldspruch zufolge hat A* B*
I. C* B* am 21. September 2023
1. mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von ihrem Vorhaben, die Wohnung zu verlassen, genötigt, indem er sie, als sie das Schlafzimmer verlassen wollte, zunächst an beiden Unterarmen packte, in Richtung Wohnzimmer zerrte, an den Armen erfasste und zu Boden schleuderte, wodurch sie sich den rechten Ellbogen prellte, sowie
2. durch die zu 1. näher bezeichnete Tat vorsätzlich am Körper verletzt (Prellung des Ellbogens).
Von den weiteren gegen ihn erhobenen Vorwürfen, er habe C* B*
1. am 1. Dezember 2022 vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr einen Schlag in das Gesicht versetzte, wodurch sie eine Rötung im Gesicht erlitt sowie
2. am 21. September 2023 im Anschluss an die zu Punkt I.1. und 2. geschilderten Handlungen C* B* mit einer Verletzung am Körper durch das Zufügen von zumindest Hämatomen gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er zu ihr sagte: „Ich werde dir beide Hände brechen, dass du dich nicht um die Kinder kümmer kannst.“
wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Gegen das verurteilende Erkenntnis richtet sich die „volle“ (siehe ON 18, 12), in der Folge nur wegen der Aussprüche über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche ausgeführte Berufung des Angeklagten, mit der er - allenfalls nach Beweiswiederholung - seinen Freispruch, in eventu die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Strafsache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung, zumindest jedoch die Herabsetzung der Strafe und Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg anstrebt (ON 21).
Die Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten ausgeführten Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe allenfalls nach Beweiswiederholung die Aufhebung des Urteils in seinem freisprechenden Punkt II.2. und den Schuldspruch des Angeklagten auch wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB sowie in der Folge eine tat- und schuldangemessen höhere Freiheitsstrafe an (ON 20.1).
Die Oberstaatsanwaltschaft trat in ihrer Stellungnahme vom 24. Februar 2025 der Berufung des Angeklagten entgegen, hingegen der Berufung der Staatsanwaltschaft bei.
Nur die Berufung des Angeklagten hat im spruchgemäßen Umfang Erfolg.
Zur Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld:
Weil der Angeklagte A* B* weder bei der Anmeldung der Berufung noch in der Berufungsschrift ausdrücklich erklärte, welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen wolle, ist auf seine Berufung wegen Nichtigkeit keine Rücksicht zu nehmen (§§ 467 Abs 2 iVm 489 Abs 1 StPO).
Rechtliche Beurteilung
Seine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld reüssiert nicht.
Gegen die auf einer lebensnahen Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen zur jeweiligen objektiven und subjektiven Tatseite bestehen keine Bedenken (§§ 489 Abs 1 iVm 473 Abs 2 StPO).
Das Erstgericht hat alle relevanten Beweismittel vollständig ausgeschöpft und eine an allgemeinen Erfahrungssätzen und den Denkgesetzen der Logik orientierte Beweiswürdigung (US 4ff) vorgenommen.
Die Sachverhaltsannahmen zum objektiven Tatgeschehen zu I.1. und 2. stützte es überzeugend auf die in diesem Umfang mit den objektiven Beweisergebnissen, und zwar dem ambulanten Befund des Klinikums D* vom 21. September 2023 (ON 9.2: „rücklings gestürzt“) und dem in der Hauptverhandlung vorgezeigten, mit Zeitstempel versehenen und die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort zeigenden Video (ON 18,8) im Einklang stehenden Angaben des Opfers C* B*, wobei es nachvollziehbar davon ausging, dass die in der Hauptverhandlung vom Opfer konkretisierte Tathandlung (Zu-Boden-Werfen) mit der objektivierten Verletzung (Prellung des Ellbogens) gut in Einklang zu bringen ist.
Überzeugend ist fallbezogen auch die Ableitung der subjektiven Tatseite jeweils aus dem objektiven Tatgeschehen (in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung), wonach der Einsatz von Gewalt zur Erreichung eines Nötigungsziels durchaus gebräuchlich ist und zu I.2. Zu-Boden-Werfern Verletzungsfolgen nach sich ziehen kann.
Daran Bedenken zu wecken, gelingt dem Berufungswerber mit seiner Kritik, das Erstgericht sei ausschließlich den in diesem Umfang widersprüchlichen Angaben der Zeugin C* B* gefolgt, obwohl diese erst in der Hauptverhandlung - nachdem sie vor der Polizei noch davon gesprochen habe, der Angeklagte habe sie zu Boden gedrückt - aussagte, sie sei vom Angeklagten zu Boden geworfen worden (ON 18, 7), nicht, da die Zeugin gleichbleibend, nur mit anderen Worten schilderte, vom Angeklagten (gewaltsam) zu Boden gebracht worden zu sein, was verletzungsmechanisch mit der Entstehung der Prellung des rechten Ellbogens gut in Einklang zu bringen ist. Auch die im ambulanten Befund des Klinikums D* festgehaltene Erklärung der Zeugin zur Verletzungsentstehung, sie wäre mit dem rechten Ellbogen auf dem Fliesenboden aufgeschlagen (ON 9.2), steht dazu nicht in Widerspruch. Unverständlich ist, warum der (mehrere Monate nach der Tat liegende) Zeitpunkt der polizeilichen Einvernahme der Zeugin, das Fehlen der Uhrzeit der am Tattag erfolgten ärztlichen Versorgung der Zeugin im Klinikum D* und der Umstand, dass die Zeugin statt der im Behandlungsplan genannten Ellbogen-Kork-Schiene einen Gipsverband am verletzen Arm erhielt, die erstgerichtliche Beweiswürdigung in Zweifel ziehen soll.
Wenn in der Berufung argumentiert wird, das Lichtbild (ON 2.10, Bild 5) würde den eingegipsten linken Arm der Zeugin zeigen, verkennt sie, dass die Zeugin sich selbst fotografierte und dabei das Telefon mit der Kamera ersichtlich in der linken Hand hielt, weshalb die weiteren Spekulationen im Rechtsmittel, welcher Arm verletzt wurde und zum Zeitpunkt der Entstehung der Verletzung ins Leere gehen.
Die Argumentation, das Erstgericht hätte seiner Feststellung, dass die Zeugin C* B* Situationen leicht abweichend und tendenziell schlimmer darstellt, folgend, den Angaben der Zeugin (überhaupt) keinen Glauben schenken dürfen und den Angeklagten (auch in diesen Punkten) freisprechen müssen, übersieht, dass der Grundsatz „in dubio pro reo“ (nur) bedeutet, dass bei wertender Betrachtung aller Beweise in ihrer Gesamtheit Zweifel an der Schuld des Angeklagten nicht bestehen dürfen (RIS-Justiz RS0098532). Hingegen sagt er nichts darüber aus, wie sich das Gericht seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu verschaffen habe, noch darüber, unter welchen Voraussetzungen ein für die Schuldfrage entscheidender Umstand als erwiesen anzunehmen sei. Er stellt daher keine Einschränkung oder Abänderung des in § 258 Abs 2 StPO normierten Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung dar (RIS-Justiz RS0098253, RS0098478), sodass der Aussage der Zeugin auch nur in einem durch objektive Beweise (hier: Verletzung) bestätigten Umfang Glaubhaftigkeit zuerkannt werden kann.
Ausgehend davon erfolgte die Subsumtion unter die Tatbestände der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB rechtskonform.
Zur Schuldberufung der Staatsanwaltschaft:
Das Erstgericht konnte - soweit für die Behandlung des Rechtsmittels relevant - nicht feststellen, dass der Angeklagte im Anschluss an die Nötigung und Körperverletzung seine (Noch-)Ehefrau C* B* mit den Worten: „Ich werde dir beide Hände brechen, dass du dich nicht um die Kinder kümmern kannst“, bedroht hat. Beweiswürdigend gründete es diese Konstatierung auf die leugnenden Einlassung des Angeklagten und bezog bei der Aussage der Zeugin C* B* mit ein, dass sie den Eindruck vermittelte, tendenziell zu übertreiben, weshalb die Angaben der Zeugin (allein) in diesem Umfang nicht überzeugten und im Gegensatz zur unter einem abgeurteilten Nötigung und der damit im Zusammenhang stehenden Körperverletzung keine darüber hinausgehenden objektiven Beweismittel vorlagen.
Die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld bleibt erfolglos, zumal gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen keine Bedenken bestehen (zum Prüfungsumfang des Berufungsgerichtes RIS-Justiz RS0132299).
Das Erstgericht setzte sich mit den Details der Angaben des Angeklagten und der Zeugin sowie deren Beziehungssituation nachvollziehbar auseinander und erklärte schlüssig, warum es aus einer Gesamtschau dieser Faktoren zu einer Verneinung bereits der objektiven Tatseite der gefährlichen Drohung gelangte. Insbesondere ist darauf zu verweisen, dass sich der Erstrichter einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten und der Zeugin verschaffen konnte und diesen im Urteil anschaulich beschrieben und verwertet hat. Dabei hat er sich eingehend mit dem Aussageverhalten des Angeklagten und der Zeugin C* B* auseinandergesetzt und überzeugend dargelegt, warum er nur die Angaben der Zeugin zur Körperverletzung und der damit im Zusammenhang stehenden Nötigung für überzeugend erachtete. Das Argument im Rechtsmittel, dass es sich aus Opfersicht um ein einheitliches Tatgeschehen gehandelt habe, weshalb nicht nachvollziehbar sei, warum C* B* nur hinsichtlich der Nötigung und der Körperverletzung die Wahrheit gesagt haben soll und die Bezugnahme auf nicht anklagegegenständliche Äußerungen des Angeklagten sind daher – gerade auch vor dem Hintergrund der zeugenschaftlichen Angaben von E* B* (ON 2.6, 4) und F* (ON 2.9), die ebenfalls für Übertreibungen des Opfers sprechen – nicht geeignet, die ausgewogene und intersubjektiv überzeugende Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erschüttern.
Zu den Strafberufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft:
Nur die Strafberufung des Angeklagten ist in dem spruchgemäßen Umfang erfolgreich.
Strafbestimmend ist - in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB - § 105 Abs 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen. Erschwerend ist, dass der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben und verschiedenen Art (und vorsätzliche strafbare Handlungen nach dem ersten und dritten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB unter Anwendung von Gewalt gegen seine Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Kinder und somit Angehörige im Sinn des § 72 StGB [§ 33 Abs 2 Z 2 StGB]) begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB). Unbesonnenheit kann nicht angenommen werden.
Mildernd ist sein bisher ordentlicher Lebenswandel, mit dem die Taten in auffallendem Widerspruch stehen (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB).
Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich die (weiterhin bedingt nachgesehene) Freiheitsstrafe von drei Monaten als tat- und schuldangemessen und hinreichend um spezial- und generalpräventiven Erfordernissen Genüge zu tun.
Im Ergebnis berechtigt ist auch die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche.
Beruhen die privatrechtlichen Ansprüche auf verschiedenen tatsächlichen Voraussetzungen und Rechtsgründen, so muss die (hier:) Privatbeteiligte ihr Begehren spezifizieren bzw individualisieren. Nur wenn eine entsprechende Aufgliederung erfolgt, kann in einem Folgeprozess die der Zulässigkeit einer weiteren Sachentscheidung allenfalls entgegenstehende materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung beurteilt werden ( Spenling in WK StPO Vor §§ 366– 379 Rz 52 mwN; Korn/Zöchbauer in WK StPO § 67 Rz 10; Kirchbacher, StPO 15 § 69 Rz 3; zum Bestimmtheitsgebot des § 226 ZPO s. RIS-Justiz RS0031014). Globale Geltendmachung genügt daher in einem solchen Fall nicht. Die Aufteilung eines insgesamt pauschal begehrten Betrags auf Einzelforderungen kann auch nicht – wie hier (US 8) – dem Gericht überlassen werden (vgl. RIS-Justiz RS0031014 [T35], RS0025188 [T4]).
Die pauschal geltend gemachte Forderung der Privatbeteiligten C* B* nach einem Teilschmerzengeld von 2000,00 EUR „für beide Vorfälle“ (HV-Prot. ON 18, S 8 und 10), lässt offen, in welcher Höhe die Schmerzengeldansprüche auf die jeweilige strafbare Handlung am 1. Dezember 2022 und 21. September 2023 konkret gestützt werden, wobei der Angeklagte von der Tat am 1. Dezember 2022 freigesprochen wurde. Konsequenz des nicht aufgegliederten Begehrens ist die Kassation des Adhäsionserkenntnisses und die Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.