JudikaturOGH

10ObS102/25k – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Christoph Arnold, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Entziehung des Rehabilitationsgeldes, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2025, GZ 25 Rs 30/25k 92, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Entziehung des dem Kläger seit 1. 12. 2021 gewährten Rehabilitationsgeldes durch die beklagte Pensionsversicherungsanstalt infolge Verbesserung seines Gesundheitszustands zu Recht erfolgte.

[2] Der 1964 geborene Kläger genießt unstrittig keinen Berufsschutz.

[3] Der Kläger war zum Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgeldes in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und konnte insbesondere keine Arbeiten durchführen, die eine besondere Konzentrationsfähigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg erfordern.

[4] Mit Bescheid vom 7. 3. 2022 sprach die Beklagte unter anderem aus, dass beim Kläger ab 1. 12. 2021 vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliege und der Kläger Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung habe, weil er aufgrund einer rezidiven depressiven Störung gegenwärtig nicht imstande sei, eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

[5] Der Gesundheitszustand des Klägers hat sich seit dem Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgeldes dahin verbessert, dass er nunmehr, jedenfalls seit dem 1. 3. 2023, wieder Arbeiten durchführen kann, die eine besondere Konzentrationsfähigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg erfordern.

[6] Der Kläger ist aufgrund dieses Leistungskalküls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch auf zahlreiche Hilfsarbeitertätigkeiten, zum Beispiel als Geschirrabräumer verweisbar, bei denen bundesweit mehr als 100 Arbeitsstellen existieren.

[7] Mit Bescheid vom 19. 1. 2023 sprach die Beklagte aus, dass vorübergehende Invalidität nicht mehr vorliege, und entzog dem Kläger mit 28. 2. 2023 das Rehabilitationsgeld. Weiters sprach sie aus, dass medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nicht mehr zweckmäßig seien und kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.

[8] Die Vorinstanzen wiesen das auf Feststellung des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung über den 28. 2. 2023 hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Bei Nichtvorliegen vorübergehender Invalidität sei eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes auch dann gerechtfertigt, wenn bei irrtümlicher Annahme des Vorliegens vorübergehender Invalidität im Gewährungszeitpunkt eine – wenn auch nur geringfügige – Verbesserung des körperlichen oder geistigen Zustands der versicherten Person im Entziehungszeitpunkt feststellbar sei und sich diese Verbesserung auf ursprünglich bestehende Beeinträchtigungen beziehe, die die (unrichtige) Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität begründet hätten. Das Leistungskalkül des Klägers habe sich hinsichtlich der reduzierten Konzentrationsleistung gebessert, die die unrichtige Einschätzung vorübergehender Invalidität zumindest mitbegründet habe . Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu .

Rechtliche Beurteilung

[9] Die dagegen erhobene außerordentliche Revisiondes Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[10] 1.1.Nach § 99 Abs 1 ASVG kann eine Leistung nur entzogen werden, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben; die Änderung kann im Fall einer Leistung aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit etwa in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustands des Versicherten oder in der Wiederherstellung oder Besserung seiner Arbeitsfähigkeit infolge Gewöhnung und Anpassung an die Leiden bestehen (RS0083884; 10 ObS 65/18h Pkt 2.3 ).

[11] 1.2. Haben die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung hingegen keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen; an einer solchen Änderung fehlt es regelmäßig dann, wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen gar nie vorhanden waren ( RS0106704 ; RS0133202 ). Die nachträgliche Erkenntnis, dass die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch zur Zeit der Zuerkennung nicht vorhanden waren, rechtfertigt die Entziehung der Leistung daher nicht ( RS0083941 ).

[12] 1.3.Ist jedoch im Fall eines aufgrund der irrtümlichen Annahme des Vorliegens vorübergehender Invalidität im Sinn des § 255b ASVG zuerkannten Rehabilitationsgeldes eine – wenn auch nur geringfügige – Verbesserung des körperlichen oder geistigen Zustands der versicherten Person im Entziehungszeitpunkt feststellbar und bezieht sich diese Verbesserung auf ursprünglich bestehende Beeinträchtigungen, die die (unrichtige) Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität im Sinn des § 255b ASVG begründet haben, so ist eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes gemäß § 99 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 lit b sublit aa ASVG dann gerechtfertigt, wenn im Entziehungszeitpunkt vorübergehende Invalidität nicht vorliegt ( RS0133202 ).

[13] 1.4. Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Überlegung, dass in diesen Fällen kein schutzwürdiges Vertrauen des Leistungsempfängers auf die Weitergewährung der Leistung vorliegt, weil eine vergleichbare Änderung zur Entziehung einer ursprünglich zu Recht zuerkannten Leistung führen hätte können (grundlegend dazu 10 ObS 40/20k Pkt 6.4 und 8.5; zuletzt u a 10 ObS 30/25x Rz 14).

[14] 2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts findet in dieser Rechtsprechung Deckung.

[15] 2.1. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers kam es im vorliegenden Fall ausgehend von den Urteilsfeststellungen sehr wohl zu einer (geringfügigen) Verbesserung seines Gesundheitszustands, weil er – anders als im Zeitpunkt der Gewährung des Rehabilitationsgeldes – nunmehr wieder Arbeiten durchführen kann, die eine besondere Konzentrationsfähigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg erfordern. Der in diesem Zusammenhang gerügte sekundäre Feststellungsmangel liegt daher nicht vor ( RS0053317 [T1]).

[16] 2.2.Diese Änderung im Gesundheitszustand des Klägers mag zwar keine wesentliche sein, weil aufgrund des tatsächlich bestandenen Leistungskalküls zum 1. 12. 2021 eine Verweisbarkeit des Klägers auf Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden hätte. Zu einer wesentlichen, also entscheidungsrelevanten Änderung der objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung muss es jedoch unter Bedachtnahme auf die zuvor dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze im Fall einer irrtümlichen Annahme des Vorliegens vorübergehender Invalidität gemäß § 255b ASVG gerade nicht gekommen sein. Es reicht aus, dass sich die Verbesserung, wie im vorliegenden Fall, auf ursprünglich bestehende Einschränkungen (hier: hinsichtlich Arbeiten, die eine besondere Konzentrationsfähigkeit erfordern) bezieht, die die Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität im Sinn des § 255b ASVG (mit-)begründet haben.