Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofräte Dr. Annerl und Dr. Vollmaier sowie die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Z*, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger, Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 3, 11, 1030 Wien, Karl Borromäus Platz 3, Vater: H*, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. April 2025, GZ 45 R 174/25h (Spruchpunkt 2.), womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Februar 2025, GZ 83 Pu 46/20i 64, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] H* ist seit 2020 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an seine minderjährige Tochter Z* in Höhe von 135 EUR pro Monat verpflichtet.
[2] Vom 25. 12. 2024 bis 5. 3. 2025 verbüßte er in der Justizanstalt * wegen eines Finanzstrafvergehens eine Ersatzfreiheitsstrafe.
[3] Der Vater beantragte am 15. 1. 2025, von der Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt während seiner „Strafhaft“ entbunden zu werden.
[4] Die Minderjährigebeantragte daraufhin die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG in Höhe der Richtsätze nach § 6 Abs 2 UVG und erklärte, der Enthebung für die Zeit zuzustimmen, in welcher diese Haftvorschüsse gewährt würden.
[5] Das Erstgerichtwies den Antrag der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG ebenso wie den Enthebungsantrag des Vaters ab. Der Vater sei nicht aufgrund eines strafgerichtlichen, sondern aufgrund eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens in Haft. Diese dauere nicht einmal drei Monate. Zudem sei der Vater laut Hauptverbandsauszug weiterhin beschäftigt.
[6] Infolge Rekurses des Vaters bestätigte das Rekursgericht die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Richtsatzvorschüssen (Spruchpunkt 1. zu AZ 45 R 175/25f) – dies blieb unangefochten – und änderte in Spruchpunkt 2. die Entscheidung über den Antrag des Vaters auf Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung dahin ab, dass es ihm von 1. 1. 2025 bis 5. 3. 2025 Folge gab. Der Vater habe während seiner „Finanzstrafhaft“ kein Einkommen bezogen und sei daher mangels Leistungsfähigkeit in dieser Zeit nicht unterhaltspflichtig gewesen. Vorbringen, dass der Unterhaltsschuldner ein Einkommen ins Verdienen hätte bringen bzw für den Zeitraum der Haft durch Rücklagen Vorsorge hätte treffen können, sei von der Minderjährigen weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Rekursbeantwortung erstattet worden. Davon sei aufgrund der bewilligten Verfahrenshilfe auch nicht auszugehen.
[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung zur Frage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen bei einer „Finanzstrafhaft“ in der Dauer von zweieinhalb Monaten die Unterhaltsverpflichtung bestehe, wegfalle oder herabzusetzen sei.
[8] Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Minderjährige, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen.
[9] Der Vater erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.
[10] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt .
[11] 1.Vorauszuschicken ist, dass es sich nach der Aktenlage bei der vom Vater verbüßten „Finanzstrafhaft“ um eine verwaltungsbehördliche Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne des § 20 FinStrG handelte.
[12] 2.Eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf tatsächlich nicht erzieltes, aber erzielbares Einkommen hat zu erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er – anders als ein pflichtgetreuer Elternteil (vgl RS0047421) – keine seinen persönlichen Fähigkeiten und seiner Arbeitskraft entsprechende Erwerbstätigkeit ausübt (vgl RS0047495; RS0047686; RS0047511).
[13]Zwar findet bei Verbüßung einer (wie hier nicht nur ganz kurzfristigen) Haft der Anspannungsgrundsatz keine Anwendung (RS0047622; RS0111945; vgl auch RS0095108), sofern ein Einkommenserwerb wegen der Haft unmöglich und kein Vermögen des Unterhaltsschuldners vorhanden ist, das zur Deckung des angemessenen Unterhalts anzugreifen wäre (3 Ob 65/15b mwN; 8 Ob 78/15a; vgl auch RS0047414, RS0113786 [T3]).
[14] Ob diese Negativvoraussetzungen vorliegen, kann im Anlassfall noch nicht beurteilt werden.
[15] 3.Nach § 179 Abs 1 FinStrG gelten die Bestimmungen für den Vollzug von Freiheitsstrafen auch für den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen. Nach § 179 Abs 3 FinStrG hat der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zu unterbleiben, wenn der Bestrafte in seinerFreizeit gemeinnützige Leistungen (§ 3a StVG) bei einer geeigneten Einrichtung (§ 202 StPO) erbringt, mit der er das Einvernehmen herzustellen hat, wobei der Zeitraum für die Erbringung dieser Leistungen nicht länger bemessen werden darf, als der Verurteilte bei wöchentlich zehn Arbeitsstunden benötigen würde; vier Stunden gemeinnütziger Leistungen entsprechen dabei einem Tag der Freiheitsstrafe (vgl § 3a Abs 1 StVG). Über diese Möglichkeit ist der Bestrafte in der Aufforderung zum Strafantritt zu informieren, wobei ihm auch das Ausmaß der zu erbringenden gemeinnützigen Leistungen mitzuteilen ist. § 3a Abs 1 bis 4 StVG und § 29b BewHG sind mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass anstelle des Gerichts die Finanzstrafbehörde tritt (§ 179 Abs 3 FinStrG).
[16] 4.1. Der vom Vater als einziger ins Treffen geführte, seiner Unterhaltserbringung entgegenstehende Umstand der Verbüßung einer finanzbehördlichen Ersatzfreiheitsstrafe lässt für sich noch nicht erkennen, ob er unverschuldet nicht in der Lage gewesen wäre, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen.
[17] Zwar lässt der Umstand, dass ihm eine Ersatzfreiheitsstrafe auferlegt wurde, den Schluss zu, dass die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe feststand oder zumindest äußerst wahrscheinlich war. Dies setzt die vorangehende Klärung durch Vollstreckungsversuch oder Erhebungen der Behörde voraus, dass der Bestrafte zur Leistung der Geldstrafe wirtschaftlich außer Stande war ( Schmitt in Köck/Judmaier/Kalcher/Schmitt, FinStrG I 6 [2024] § 20 Rz 6 ; Judmaier in Köck/Judmaier/Kalcher/Schmitt, FinStrG II 5 [2021] § 179 Rz 7 ; Sautter in Althuber/Spornberger, FinStrG § 20 [2023] Rz 15 ; Seiler/Seiler, FinStrG 6 [2024] § 20 Rz 2 und § 179 Rz 3 ; alle mwN).
[18] Allerdings hätte das Gesetz dem Vater die Möglichkeit eingeräumt, den Strafvollzug zu vermeiden, indem er in seiner Freizeit gemeinnützige Leistungen für zehn Stunden pro Woche – für eine Dauer von 28 Wochen – erbringen, so weiter eine Erwerbstätigkeit ausüben und seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen hätte können.
[19] 4.2. Nach § 14 AußStrGsind die Bestimmungen der ZPO über die Anleitungs und Belehrungspflicht anzuwenden. Darüber hinaus hat das Gericht die Parteien, die nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind, über die bei dem Gegenstand des Verfahrens in Betracht kommenden besonderen Vorbringen und Beweisanbote zu belehren, die der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienen können, und sie zur Vornahme der sich anbietenden derartigen Verfahrenshandlungen anzuleiten. Dies ist hier unterblieben.
[20] 5.Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen war daher unvermeidlich. Das Erstgericht wird Erörterungen zu pflegen und ausreichende Feststellungen zur Frage zu treffen haben, ob der Vater trotz Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe auf ein Einkommen anzuspannen gewesen wäre, das ihm die Leistung von Unterhalt an die Minderjährige ermöglicht hätte (vgl 8 Ob 104/25i).
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