JudikaturOGH

9ObA44/25y – OGH Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
26. August 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stiefsohn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. Mag. (FH) D* (5 Cga 19/24s – führendes Verfahren) und 2. B* (25 Cga 17/24v), beide vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Krüger/Bauer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 25.450,73 EUR brutto sA (Erstklägerin) und 21.019,39 EUR brutto sA (Zweitklägerin), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Mai 2025, GZ 11 Ra 14/25w 23, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. November 2024, GZ 5 Cga 19/24s-19, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei die mit 1.613,22 EUR (darin 268,87 EUR USt) und der zweitklagenden Partei die mit 1.319,90 EUR (darin 219,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Am 3. 9. 2021 vereinbarten der Betriebsausschuss der Beklagten und die Beklagte einen Sozialplan. Dieser lautete auszugsweise wie folgt:

Präambel

Zweck dieser Vereinbarung ist der Ausgleich bzw die Milderung allfällig auftretender sozialer Härten, die im Zuge der Restrukturierung und Neuorganisation des Werkes entstehen können. Der gegenständliche Sozialplan stützt somit die Absenkung des Personalstandes von 1.904 Stammmitarbeitern (exkl. 55 Befristete, Leiharbeitnehmer und Lehrlinge) per 31. Dezember 2020 auf einen Zielstand von 1.250 Beschäftig[t]en zuzüglich 150 Beschäftigten in einer noch zu errichtenden Forschungs GmbH, sowie Lehrlingen nach bedarfsbezogenen Ausbildungskriterien zum 31. Mai 2023. Unter Berücksichtigung benötigter Zugänge wird von einem Bruttoabbau von rund 620 Mitarbeitern ausgegangen. (…)

1. Geltungsbereich

Der Sozialplan tritt frühestens mit dem vollzogenen Closing in Kraft und bezieht sich auf alle unbefristeten Dienstverträge, die durch einvernehmliche Auflösungen bis spätestens 31. Mai 2024 beendet werden sowie auf alle Mitarbeiter, die eine Altersteilzeitvereinbarung auf Grundlage dieses Sozialplanes abschließen. Im Zuge des Ausspruches von Dienstgeberkündigungen, werden keine Sozialplanleistungen ausbezahlt.

[2] Bis 28. 9. 2023 wurden aufgrund der Unternehmensrestrukturierung 632 Mitarbeiter abgebaut, denen Leistungen aus dem Sozialplan gewährt wurden. Die Klägerinnen wurden zum 31. 1. 2024 bzw 29. 2. 2024 betriebsbedingt gekündigt. Sie erhielten keine Leistungen aus dem Sozialplan.

[3] Die Klägerinnen machen Ansprüche auf Basis des Sozialplans geltend.

[4] Die Beklagte bestreitet. Das durch den Sozialplan gedeckte Abbauvolumen sei zum Zeitpunkt der Kündigungen der Klägerinnen bereits erfüllt gewesen.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge. Aus dem Text des Sozialplans lasse sich keine Erfüllung des Sozialplans infolge einer darin fixierten Anzahl an Mitarbeitern im Sinn einer fixen Abbauzahl entnehmen.

[6] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil der Auslegung von im Wege von Betriebsvereinbarungen beschlossenen Sozialplänen zur Umstrukturierung größerer Unternehmen eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision der Beklagten ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

[8] 1. Bei einer auf eine besondere betriebliche Situation im Einzelfall ausgerichteten Regelung eines Sozialplans im Sinne des § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht von der typischen Betroffenheit eines größeren Personenkreises ausgegangen werden ( RS0109942 [T2]). Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich im Zusammenhang mit dem jedenfalls mit 31. 5. 2024 befristeten Sozialplan vergleichbare Rechtsfragen bei anderen MitarbeiterInnen stellen.

[9] 2. Der normative Teil von Betriebsvereinbarungen ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen; die für die Interpretation von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen normierten Grundsätze des ABGB haben daher hier keine Anwendung zu finden ( RS0050963 ). In erster Linie ist bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen (vgl RS0010089 [T35]). Bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung darf den Parteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen ( RS0008897 [T2]).

[10] 3. Eine aus dem Text nicht hervorgehende Absicht hat außer Betracht zu bleiben. Die subjektive Absicht der beteiligten Personen ist nicht maßgeblich ( RS0010088 [T23, T25]). Soweit die Revision daher auf eine solche Absicht abstellt, ist darauf schon aus diesem Grund nicht weiter einzugehen.

[11] 4. Gegen die von den Vorinstanzen bejahte Anwendbarkeit des Sozialplans auch auf Dienstgeberkündigungen wendet sich die Revision nicht. Sie argumentiert nur damit, dass der Sozialplan mit Erreichen des darin genannten „Abbauvolumens“ erfüllt gewesen sei. Der Termin 31. 5. 2024 habe sich nur auf den spätestmöglichen Zeitpunkt des Personal„abbaus“ bezogen.

[12] 5. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass bereits aufgrund der Verwendung der Formulierung „rund 620 Mitarbeiter“ nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Zahl zwischen den Parteien verbindlich als Maximalwert der vom Sozialplan erfassten Personen vereinbart werden sollte, ist nicht zu beanstanden. Selbst die Revision geht von einer „nur schwer auf die Zahl exakt abschätzbaren [...] Abbauzahl“ aus, die in der Folge „um weniger als 2 % [zur Erreichung des Zielstandes] überschritten“ worden sei, sieht also die Zahl von 620 gerade nicht als verbindlich vereinbart, sondern offenbar nur als Richtwert an.

[13] 6. Tatsächlich ergibt sich der Anwendungsbereich des Sozialplans aber nicht aus seiner Präambel, sondern aus dem insoweit eindeutigen Pkt 1. „Geltungsbereich“. Danach bezieht er sich auf die Auflösung aller unbefristeter Dienstverträge bis spätestens 31. 5. 2024.

[14] Dass die Parteien – wie die Revision meint – im Widerspruch dazu der in der Präambel enthaltenen Darstellung der Motivation, nämlich die sich aus dem geplanten Abbau von rund 620 Mitarbeitern ergebenden Nachteile abzumildern, die Bedeutung einer zahlenmäßigen Begrenzung zumessen wollten, überzeugt nicht. Insbesondere kann unter Zugrundelegung, dass die Parteien eine vernünftige und zweckentsprechende Regelung treffen wollten, nicht unterstellt werden, dass für den Fall, dass betriebsbedingt im vorgesehenen Zeitraum der Abbau einer größeren Anzahl von Dienstnehmern als geplant erforderlich ist, nur ein Teil dieser Personen in den Genuss der Vorteile des Sozialplans kommen sollte.

[15] 7. Allein der Umstand, dass in Pkt 6. der Vereinbarung 75 % der Sozialplanbeendigungen mit „entspricht bis zu 465 Mitarbeitern“ konkretisiert wird, was ja auch mit der tatsächlich in Aussicht genommenen Anzahl in Einklang steht, führt zu keiner anderen Beurteilung.

[16] 8. Insgesamt gelingt es der Revision daher nicht, Bedenken an der Auslegung des Sozialplans durch die Vorinstanzen zu wecken. Die Revision der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[17] 9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Kosten waren anteilig entsprechend dem Streitwert zuzusprechen.