JudikaturOGH

9ObA4/25s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
26. August 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stiefsohn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H* AG, *, vertreten durch Klepp, Nöbauer, Hintringer ua, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch MMag. Dr. Florian Striessnig, Rechtsanwalt in Wien, wegen 55.050,69 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 28. November 2024, GZ 9 Ra 53/24s 41, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]1. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass eine Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich geleisteter Provisionsakonti wirksam begründet werden kann (8 ObA 109/06x mwN). Vorgeschossene und erst zu verdienende Beträge werden üblicherweise bewusst und vereinbarungsgemäß gegen spätere Verrechnung (spätestens Endabrechnung bei Beendigung des Verhältnisses) geleistet (vgl 9 ObA 251/99y). Die Rückzahlung des Überbezugs kann dann nicht unter Hinweis auf einen „gutgläubigen“ Verbrauch verweigert werden (vgl RS0033892).

[2] 2. Damit ist aber keine Aussage darüber getroffen, ob dessen ungeachtet eine konkrete Vertragsgestaltung über die Abrechnung und Rückzahlung von Akonti zu einer unzulässigen Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Dienstnehmers führt.

[3]3. Aus § 20 AngG, insbesondere dessen Abs 4, wird der Grundsatz abgeleitet, dass das Kündigungsrecht bzw die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht durch Gestaltungen im Kollektivvertrag oder im Arbeitsvertrag unbillig erschwert werden darf (vgl RS0028854; RS0028876). Entscheidend für diese Frage ist neben dem Gebot der Fristengleichheit das Gebot, diese Kündigungsfreiheit auch nicht durch andere Abreden zu erschweren, wie zB den Verfall von Kautionen, die Vereinbarung von Vertragsstrafen, den Wegfall von Erfolgsbeteiligungen oder durch die Abrede, dass der Arbeitnehmer im Falle der Kündigung bereits empfangene Leistungen wieder zurückerstatten muss (vgl RS0028265).

[4] Im Falle der Ausübung des Kündigungsrechts des Dienstnehmers dürfen diesem nicht finanzielle Opfer in einem Ausmaß auferlegt werden, dass sie die Kündigungsfreiheit wirtschaftlich in erheblichem Umfang beeinträchtigen, wie dies etwa dann der Fall ist, wenn dem Dienstnehmer der Verlust von Teilen des durch Arbeitsleistung bereits verdienten Entgelts bei Kündigung vor Ablauf einer bestimmten Zeit droht (8 ObA 167/97k).

[5] 4. Unter welchen Voraussetzungen die an die Vertragsbeendigung geknüpften Nachteile von solchem Gewicht sind, dass eine unzulässige Beschränkung des Kündigungsrechts vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Eine Einschränkung der Kündigungsfreiheit wird jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn der finanzielle Nachteil für den Arbeitnehmer ein solches Ausmaß erreicht, dass der Verlust dieser Beträge durchschnittliche Arbeitnehmer von der beabsichtigten Kündigung (vor allem zum Zweck des Antritts eines anderen bevorzugten Arbeitsplatzes) abhalten kann (9 ObA 154/92).

[6] 5. Im konkreten Fall wurde mit dem Beklagten als Außendienstmitarbeiter ein sehr geringes Fixum sowie eine „leistungsabhängige Folgeprovisionsgarantie“ und eine „leistungsabhängige Garantie sämtlicher Bonifikationen“ vereinbart. Eine Abrechnung mit tatsächlich ins Verdienen gebrachten Beträgen sollte nach 61 Monaten erfolgen, ein dann vorhandenes Guthaben ausbezahlt, ein Negativsaldo zu Lasten der Klägerin ausgebucht werden. Bei vorheriger Beendigung des Vertrags sollte ein Negativsaldo vom Arbeitnehmer zurückbezahlt werden. Zweck der Regelung war nach den Feststellungen, für einen vorübergehenden Zeitraum neuen Außendienstmitarbeitern Folgeprovisionen und Bonifikationen zu gewähren, die „in Wahrheit in diesem Zeitraum nicht verdient sind, und somit ein Gesamteinkommen zu erzielen, das für den Mitarbeiter auch akzeptabel ist. Der Zweck des Rückforderungsvorbehalts ist auch die Bindung des Mitarbeiters, zumal die in den ersten Jahren auf Basis der Zusatzvereinbarung ausbezahlten Folgeprovisionen und Bonifikationen in Wahrheit nicht einer erbrachten Leistung gegenüberstehen“.

[7] Daraus ergibt sich, dass die Klägerin in den ersten fünf Jahren eine als solche bezeichnete leistungsabhängige Bezahlung bietet, von der sie selbst annimmt, dass sie besonders am Beginn des Dienstverhältnisses periodenbezogen nicht ins Verdienen gebracht werden kann, dies unabhängig davon, dass die Zielvorgaben auf Angaben des Arbeitnehmers gründen. Damit ist aber notwendigerweise verbunden, dass bei einer Beendigung des Dienstverhältnisses vor Ablauf von fünf Jahren der Arbeitnehmer mit beträchtlichen Rückforderungsansprüchen konfrontiert ist. Zusätzlich beträgt die vereinbarte Rückzahlungsquote im ersten Jahr 100 %, für jedes weitere Jahr 10 % weniger, ist also in der Zeit, in der am wenigsten mit einer Zielerreichung zu rechnen ist, am höchsten. Beim Beklagten beträgt der danach rückzuzahlende Betrag für nicht einmal drei Jahre 63.688,51 EUR, bei Berücksichtigung, dass ihm zumindest der kollektivvertragliche Mindestlohn zu verbleiben hat, noch immer 56.467,49 EUR und damit ca 48 % des insgesamt bezogenen Entgelts. Die Rückzahlungsvereinbarung ist zudem nicht abhängig von der Art der Beendigung.

[8] Eine Rückzahlung kann vom Arbeitnehmer, der die Zielvorgaben nicht erreicht, nur dadurch vermieden werden, dass er die vorgegebenen fünf Jahre im Unternehmen verbleibt, da dann ein Negativsaldo von der Klägerin getragen wird. Diese Bindung ist auch eines der Ziele, die die Klägerin mit der Vertragsgestaltung erreichen will. Dass diese im Gegenteil dazu führt, dass ein Arbeitnehmer, der die Ziele nicht erreicht, früher von sich aus das Vertragsverhältnis beendet, wie die Revision meint, ist nicht nachvollziehbar. Insofern liegen auch die behaupteten sekundären Verfahrensmängel nicht vor.

[9] Dass der Arbeitnehmer danach allenfalls Vorschüsse behält, ohne die dafür vorgesehene Leistung zu erbringen, ist zwar richtig, wird von der Klägerin aber, sofern der Mitarbeiter länger als fünf Jahre im Unternehmen bleibt, offenbar in Kauf genommen.

[10]6. Auch wenn es sich daher bei Provisionsakonti prinzipiell um noch nicht verdientes Entgelt handelt, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die konkrete Ausgestaltung des Vertrags, die auf eine Bindung des Arbeitnehmers an das Unternehmen über einen Zeitraum von fünf Jahren abzielt, eine grobe Verletzung der rechtlich geschützten Interessen des Arbeitnehmers durch eine unzulässige Einschränkung der Kündigungsfreiheit darstellt, die als sittenwidrig iSd § 879 ABGB anzusehen ist, nicht korrekturbedürftig.

[11]7. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).