JudikaturOGH

15Os52/25y – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
31. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Juli 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski und Dr. Sadoghi und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eißler in der Strafsache gegen * B* und * R* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten und über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 30. Jänner 2025, GZ 15 Hv 78/24z 261, sowie über die Beschwerde des Angeklagten B* gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 28. März 2025, GZ 15 Hv 78/24z 270, und die Beschwerde des Angeklagten R* gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 24. April 2025, GZ 15 Hv 78/24z 275, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen und demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden* B* und * R* (im zweiten Rechtsgang; vgl zum ersten Rechtsgang 15 Os 89/24p) jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1.1) und des Vergehens des Geldwuchers nach § 154 Abs 1 StGB (2.) und der Angeklagte B* überdies des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (1.2) schuldig erkannt.

[2] Danach haben/hat in W* und an anderen Orten Österreichs

1. vorschriftswidrig Suchtgift

1.1. B* und R* im bewussten und gewollten Zusammenwirken (US 4) im Jahr 2020 in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem sie zumindest 2 kg Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 23,75 % an diverse Abnehmer weitergaben;

1.2. B* seit einem unbekannten Zeitpunkt bis zur Sicherstellung am 24. April 2023 in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen, und zwar 211,1 g Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 74,6 %;

2. B* und R* im bewussten und gewollten Zusammenwirken (US 6) im Jahr 2017 die Zwangslage eines anderen, nämlich des * L* dadurch ausgebeutet, dass sie sich oder einen Dritten für eine Leistung einen dazu im auffallenden Missverhältnis stehenden Vermögensvorteil versprechen bzw gewähren ließen, indem sie L* einen „Wucherkredit“ von 60.000 Euro mit einer jährlichen Zinsrate von 24.000 Euro gewährten, wobei dieser bis etwa Mitte 2019 im Gesamtbetrag von rund 84.000 Euro zurückbezahlt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3]Dagegen richten sich die von beiden Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden, welche sich jeweils auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 9 lit b StPO und beim Angeklagten B* auch auf § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO stützen. Sie erweisen sich – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – als berechtigt.

[4]Zu Recht kritisieren die Mängelrügen (Z 5 vierter Fall), dass das Schöffengericht die Feststellungen zu allen Punkten des Schuldspruchs auf Beweisergebnisse stützte, obwohl diese in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind (§ 12 Abs 2, § 258 Abs 1 StPO).

[5]Nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung sei am 30. Jänner 2025 „gemäß § 252 Abs 1 Z 4 iVm § 252 Abs 2a StPO der gesamte Akteninhalt“ einverständlich verlesen worden (ON 260 S 6).

[6] Die auf diese Formulierung bezogenen Anträge der Angeklagten auf Protokollberichtigung wies der Vorsitzende des Schöffengerichts mit den im Kopf bezeichneten Beschlüssen zurück.

[7]Wie eine vom Obersten Gerichtshof durchgeführte tatsächliche Aufklärung (§ 285f StPO) über den Umfang der protokollierten Verlesung ergab, fand eine solche oder auch ein Vortrag jedoch nicht statt (vgl die Stellungnahme des Vorsitzenden vom 17. Juni 2025).

[8] Vorliegend stützte sich das Erstgericht bei der Beweiswürdigung zu allen Punkten des Schuldspruchs auf polizeiliche Ermittlungsergebnisse des LKA OÖ, des SPK Wels, des Polizeipräsidiums Koblenz, des Zollfahndungsamts München und des PK 5.3 VE-Büro Mitte, einen beim Bundeskriminalamt eingegangenen vertraulichen Hinweis sowie Ergebnisse aus Observation, Hausdurchsuchung, Telefonüberwachung, optischer Überwachung, Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte und Sicherstellung und Auswertung von Suchtgift sowie Sozialversicherungsdatenauszüge (US 7; vgl auch US 12 zum Untersuchungsbericht der kriminaltechnischen Zentralstelle ON 187 S 37).

[9] Wie die Nichtigkeitsbeschwerden zutreffend aufzeigen, kamen diese Beweismittel jedoch in der Hauptverhandlung nicht vor (RISJustiz RS0121833 [T1]), weshalb Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO vorliegt, weil das Urteil damit offenbar unzureichend begründet wurde (RISJustiz RS0111533 [T7], RS0113209, RS0113210).

[10]Dies erfordert, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist, die Aufhebung des Urteils in dem im Spruch bezeichneten Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung und die Verweisung der Sache an das Landesgericht Wels zu neuer Verhandlung und Entscheidung (§ 285e StPO).

[11] Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und die Angeklagten auf die Kassation zu verweisen.

[12]Die Beschwerden sind damit gleichermaßen erledigt (RIS-Justiz RS0126057).

[13]Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.