JudikaturOGH

3Ob108/25s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Kindschaftsrecht
23. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. M*, geboren am * 2016, 2. H*, geboren am * 2017, und 3. M*, geboren am * 2020, Mutter A*, vertreten durch Dr. Alois Obereder, Rechtsanwalt in Wien, Vater M*, vertreten durch Dr. Matthias Steyrer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. Mai 2025, GZ 43 R 339/25h 67, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]Die Vorinstanzen entzogen der Mutter gemäß § 107 Abs 2 AußStrG vorläufig die bisher beiderseitige Obsorge für die drei Kinder, sodass diese nunmehr dem Vater alleine zukommt.

Rechtliche Beurteilung

[2] In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es der Mutter nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[3]1. Nach § 181 Abs 1 ABGB hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls nötigen Verfügungen zu treffen, sofern die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl eines minderjährigen Kindes gefährden. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist dann gegeben, wenn die Obsorgeberechtigten ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder diese subjektiv gröblich vernachlässigen und durch ihr Verhalten schutzwürdige Interessen des Kindes wie die physische oder psychische Gesundheit, die altersgemäße Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeit oder die soziale Integration oder die wirtschaftliche Sphäre des Kindes konkret gefährden ( RS0048633 ).

[4]2. Nach § 107 Abs 2 AußStrG kann das Gericht die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte nach Maßgabe des Kindeswohls auch vorläufig einräumen oder entziehen. Gemäß § 107 Abs 2 Satz 3 AußStrG kommt einer solchen Regelung bereits ex lege vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu, sofern das Gericht diese nicht ausschließt. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat das Gericht eine solche vorläufige Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG schon dann zu treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitergehende Erhebungen (etwa die Einholung oder Ergänzung eines Sachverständigengutachtens) notwendig sind, aber eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert. Die Voraussetzungen für die Erlassung vorläufiger Maßnahmen sind somit in dem Sinn reduziert, dass diese nicht erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen dürfen ( 5 Ob 144/14h [Pkt 2]; 4 Ob 110/20 k [Pkt 3.4] mwN; RS0129538 ).

[5] 3.Die Erlassung einer vorläufigen Maßnahme im Sinn des § 107 Abs 2 AußStrG hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, es sei denn, dass bei dieser Entscheidung das Wohl des Kindes nicht ausreichend bedacht worden wäre (RS0097114 [T18]; RS0007101 [T18]; vgl RS0115719 [T13]). Dies ist hier nicht der Fall.

[6]4. Nach den Feststellungen ist die Mutter psychisch labil und überfordert und war in der Vergangenheit gegenüber den Kindern (wie auch dem Vater) gewalttätig, weshalb auch nach wie vor eine einstweilige Verfügung gemäß § 382c EO gegen sie in Kraft ist, mit der ihr insbesondere die Rückkehr in die und die Annäherung an die frühere Ehewohnung in einem Umkreis von 100 Metern verboten wird. In dem gegen sie wegen fortgesetzter Gewaltausübung gegen die Kinder (§ 107b Abs 1 und Abs 3a Z 1 StGB) geführten Strafverfahren wurde die Mutter (noch nicht rechtskräftig) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt.

[7] Ausgehend davon begründet es keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass die Vorinstanzen eine vorläufige Entziehung der Obsorge im Interesse des Kindeswohls als geboten ansahen. D ie von der Mutter als erheblich angesehene Rechtsfrage, ob die vorläufige Übertragung der alleinigen Obsorge auf einen Elternteil schon bei einem anhängigen Scheidungs- und Obsorgeverfahren ohne Feststellungen zu einer besonderen Belastung der Minderjährigen durch die gemeinsame Obsorge stets als kindeswohlfördernde Maßnahme anzusehen ist, stellt sich unter den gegebenen Umständen nicht.