9Ob35/25z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei H* GmbH, *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Autohaus * KG, *, vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, und 2. M* AG, *, Deutschland, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 54.694,04 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2024, GZ 3 R 117/24g 92, mit dem den Berufungen der klagenden sowie der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 14. Juni 2024, GZ 57 Cg 33/20m 83, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 1.211,72 EUR (darin 193,47 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb im Februar 2016 bei der Erstbeklagten einen im Dezember 2015 erstmals zugelassenen Mercedes Benz S 350d 4MATIC mit einem Kilometerstand von 8.500 km um 94.990 EUR. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor verbaut. Die Zweitbeklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs.
[2] Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 260.618 auf. Die unter gewöhnlichen Umständen zu erwartende durchschnittliche Gesamtleistung des Fahrzeugs beträgt 300.000 km.
[3] Die Klägerin begehrte, soweit im Revisionsverfahren noch relevant, die Aufhebung des Kaufvertrags inklusive Zug um Zug Rückabwicklung wegen Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Als Benützungsentgelt sei die lineare Berechnung anzuwenden, diese ergebe ein Benützungsentgelt zum Zeitpunkt der Klage in Höhe von 40.295,96 EUR, das Klagebegehren sei daher in Höhe von 54.694,04 EUR berechtigt.
[4] Die Erstbeklagte bestritt und wandte ein, sie sei zum Zeitpunkt des Verkaufs davon ausgegangen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe. Sie habe mangels Kenntnis auch über nichts aufklären können, ein gemeinsamer Irrtum sei für den Vertragsabschluss nicht kausal gewesen.
[5] Die Zweitbeklagte bestritt ebenfalls und wandte, soweit noch relevant, ein, das Benützungsentgelt sei mit 70.000 EUR zu bemessen.
[6] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf und ordnete eine Zug um Zug Rückabwicklung an. Das Benützungsentgelt berechnete es linear mit dem zum Schluss der Verhandlung erster Instanz festgestellten Kilometers tand in Höhe von 82.156,74 EUR. Es sprach daher 12.833,26 EUR zu, das Mehrbegehren wurde abgewiesen.
[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Klägerin sowie der Zweitbeklagten nicht Folge . Zum Argument der Klägerin in Bezug auf eine Angemessenheitskorrektur – weil der Zuspruch den Verkehrswert des Autos unterschreite – führte es aus, dass zum Verkehrswert weder Feststellungen noch Vorbringen bestünden. Es ließ nachträglich die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof zu, weil möglicherweise beim Erfordernis, ein Vorbringen zum aktuellen Marktwert zu verlangen, ein zu strenger Maßstab angesetzt worden sei.
[8] Gegen die Klagsabweisung im Umfang von 13.786,74 EUR sA richtet sich die Revision der Klägerin, die als erhebliche Rechtsfrage geltend macht, ob eine Angemessenheitskorrektur im Sinn des Effektivitätsgebots und die Anwendung des § 273 ZPO ein konkretes (Eventual )Vorbringen zur Bezifferung benötige.
[9] Die Erstbeklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
[10] Die Zweitbeklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.
[12] Die Behandlung der Revision beschränkt sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
[13] Das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist nicht mehr strittig.
[14] 1. Der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, ist grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen ( RS0134263 ). Dabei ist keine Schätzung notwendig, die relevanten Parameter können durchwegs positiv festgestellt werden. Nur im Einzelfall kann zur Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts auch § 273 ZPO herangezogen werden ( 4 Ob 171/23k Rz 48; 8 Ob 1/24s Rz 36), was insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn der Fahrzeugkäufer nach der linearen Berechnungsmethode nur einen Betrag erhielte, der deutlich unter dem aktuellen Zeitwert liegt (vgl RS0134263 [T3]).
[15] 2. Voraussetzung für die Anwendung des § 273 ZPO ist aber die Stellung eines bestimmten Begehrens und die Behauptung der zur Ableitung dieses Begehrens erforderlichen Tatsachen ( RS0040511 ). Durch § 273 ZPO wird nur die Beweislast erleichtert, nicht aber die Behauptungslast abgenommen. Der Verpflichtung, die zur Ableitung des Begehrens sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach erforderlichen Tatsachen vorzubringen, wird der Beweisführer nicht enthoben ( RS0040439 ). Auch bei Anwendung des § 273 ZPO ist eine ausreichende Konkretisierung und Begründung der Schadenshöhe durch die Partei erforderlich. Es muss also ein ziffernmäßig bestimmter Anspruch erhoben werden, die Ermittlung kann nicht einem aufzunehmenden Sachverständigenbeweis überlassen werden ( RS0037599 ). Stehen der Partei im Verfahren Beweismittel zur Darlegung der Höhe der Forderung zur Verfügung, und macht sie hievon bloß keinen Gebrauch, so ist die Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO ausgeschlossen ( RS0040513 ).
[16] 3. Entgegen der Ansicht der Revision ändert auch die Berücksichtigung des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes daran nichts: Zum einen gebietet das Unionsrecht, insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, den nationalen Gerichten grundsätzlich nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen Unionsvorschriften aufzuwerfen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die Grenzen des von den Parteien festgelegten Streitgegenstands überschreiten müssten, indem sie sich auf andere Tatsachen und Umstände stützen, als sie die Partei, die ein Interesse an der Anwendung der betreffenden Unionsvorschriften hat, ihrem Begehren zugrunde gelegt hat. Diese Beschränkung der Befugnis des nationalen Gerichts wird durch das Prinzip gerechtfertigt, dass die Initiative in einem Prozess den Parteien zusteht und das nationale Gericht folglich, wenn das nationale Verfahrensrecht der betroffenen Partei tatsächlich die Möglichkeit bietet, ein auf dem Unionsrecht beruhendes Angriffs oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, nur in Ausnahmefällen von Amts wegen tätig werden darf, wenn das öffentliche Interesse sein Eingreifen erfordert ( EuGH Rs Tibor Farkas , C 56 4 /15 Rn 32 f mwN ).
[17] 4.1. Im vorliegenden Fall erstattete die Klägerin in erster Instanz kein Vorbringen zum Verkehrswert des Fahrzeugs oder einer möglichen Angemessenheitskorrektur. Dementsprechend begründet es auch keinen sekundären Feststellungsmangel, dass Feststellungen zum Verkehrswert des Fahrzeugs unterblieben, obwohl ein solcher sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergibt. Warum ihr – gerade bei einem lange andauernden Verfahren – ein Vorbringen dazu nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht.
[18] 4.2. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof die Angemessenheitskorrektur mit Blick auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz bereits als für geboten erachtet hat, allerdings wurde in den von der Revision zitierten Entscheidungen 8 Ob 1/24s sowie 3 Ob 121/23z ein entsprechendes Vorbringen erstattet und Feststellungen zum aktuellen Zeitwert des Fahrzeugs getroffen.
[19] 4.3. Die Vorinstanzen haben ausgehend davon § 273 ZPO nicht angewendet. Dies wurde von der Klägerin nicht als Mangelhaftigkeit des Verfahrens bekämpft (RS0040282). Mit der von der Klägerin in der Berufung wie auch in der Revision lediglich erhobenen Rechtsrüge ist aber nur überprüfbar, ob das Ergebnis der Anwendung des § 273 ZPO richtig ist (RS0040341), sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
[20] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Zweitbeklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.