6Ob80/25w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Georg Lampl, Rechtsanwalt in Vorchdorf, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch Dr. Horst Mayr, Rechtsanwalt in Vorchdorf, wegen 5.190 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 25. Februar 2025, GZ 22 R 25/25w 36, womit das Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 18. Dezember 2024, GZ 50 C 1741/23m 31, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 602,50 EUR (darin 100,38 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Streitteile haben am 22. 2. 2023 einen Kaufvertrag über den PKW Fiat Punto der Zustandsklasse 3 mit einem Kilometerstand von 198.000 zu einem Kaufpreis von 4.990 EUR geschlossen. Sie vereinbarten „auf Motor und Getriebe“ eine Gewährleistungspflicht des Beklagten von 12 Monaten.
[2] Im August 2023 leuchtete die Ölkontrollleuchte des Fahrzeugs auf, woraufhin die Klägerin den Ölstand, der niedrig, aber hinreichend war, kontrollierte und Öl nachfüllte.
[3] Im November 2023 stellte die Klägerin das Fahrzeug wegen Aufleuchtens der Motorkontrollleuchte zum Beklagten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie eine Strecke von 4.265 km zurück gelegt. Im Betrieb des Beklagten wurde – nachdem nach einer Fahrt von einem Meter die Öl- und Motorkontrollleuchten aufleuchteten – festgestellt, dass der Motor unrund lief und der Ölstand viel zu niedrig war, sodass ein Mitarbeiter des Beklagten rund 2,5 Liter Öl nachfüllte. Dieser teilte der Klägerin daraufhin mit, dass infolge des zu geringen Ölstands ein Motorschaden höchstwahrscheinlich sei.
[4] Das Fahrzeug weist einen Schaden am Turbolader auf, der ein Teil des Motors ist. Konkret ist die Turboladerwelle gebrochen. Ein solcher Schaden ist typisch dafür, dass das Fahrzeug mit einem zu geringen Motorölstand betrieben wurde. Die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs ist deshalb nicht mehr gegeben.
[5] Der exakte Zustand des bei Übergabe noch funktionstauglichen Turboladers an die Klägerin im Zeitpunkt der Übergabe steht nicht fest. Es steht auch nicht fest, inwieweit der Turbolader dafür verantwortlich war, dass ein erhöhter Ölverbrauch vorlag. Ebenso wenig steht fest, ob der Turbolader dafür verantwortlich war, dass der Ölstand sank, ob sich dieser Mangel in den letzten 1.000, 2.000 oder 4.000 km entwickelte, ob der Schaden (in der Anlage) schon zum Zeitpunkt der Übergabe vorlag, indem der Turbolader Öl in den Ansaugtrakt leitete und dadurch der erhöhte Ölverbrauch zustande kam, sowie ob das Fahrzeug bei Übergabe an die Klägerin verkehrs- und betriebssicher war.
[6] Beim Fahrzeug besteht ein übermäßiger Verschleiß an den Zylinderwänden des Motors. Diese Verkokungen deuten auf einen erhöhten Ölverbrauch hin. Ob dieser erhöhte Ölverbrauch erst in den letzten 4.000 km eintrat oder bereits bei Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin vorlag, steht nicht fest. Der erhöhte Ölverbrauch ist auf einen Mangel am Motor zurückzuführen, wobei nicht fest steht , ob der erhöhte Ölverbrauch bei Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin bereits vorhanden war.
[7] Die Klägerin begehrt Rückzahlung des Kaufpreises von 4.990 EUR sowie 200,90 EUR an Anmeldekosten.
[8] Der Beklagte wendet ein, d as Fahrzeug sei bei Übergabe in einem betriebs- und verkehrssicheren Zustand gewesen. Im Falle einer Wandlung müsse sich die Klägerin ein angemessenes Benützungsentgelt von 426,50 EUR anrechnen lassen.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend von den getroffenen Negativfeststellungen sei der Klägerin der Beweis des Vorliegens eines Mangels nicht gelungen. Im Raum stehe auch, dass die Klägerin das Fahrzeug mit zu wenig Öl betrieben habe , somit ein Bedienungsfehler vorliege. Auf die „Beweiserleichterung des § 924 Satz 2 ABGB“ komme es daher gar nicht an.
[10] Das Berufungsgericht gab der Klage – unter Abzug eines Benützungsentgelts von 426,50 EUR – statt und ließ die Revision zu. Nach den Feststellungen sei die Mangelhaftigkeit der Sache erwiesen. Im Raum stehe zwar, dass der Mangel auf einen Bedienungsfehler der Klägerin zurückzuführen sei. Diese Unsicherheiten gingen aber aufgrund der Beweislastregel des § 11 Abs 1 Satz 1 VGG zu Lasten des beklagten Unternehmers, sodass die Gewährleistungsansprüche der Klägerin berechtigt seien.
[11] Der Beklagte beantragt in seiner Revision die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils; d ie Klägerin erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
[12] Da der Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[13] 1. Das Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG) gilt gemäß dessen § 1 Abs 1 Z 1 für zwischen Unternehmern und Verbrauchern (§ 1 KSchG) geschlossene Verträge über den Kauf beweglicher körperlicher Sachen (Waren) – einschließlich solcher, die noch herzustellen sind –, die nach dem 31. 12. 2021 geschlossen wurden (§ 29 VGG), und ist daher auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
[14] 2. Der Beklagte hat demnach Gewähr für Mängel zu leisten, die bei Übergabe des Fahrzeugs vorgelegen und innerhalb eines Jahres nach diesem Zeitpunkt hervorgekommen sind (vgl § 10 Abs 1 und Abs 4 VGG).
[15] 3. Gemäß § 11 Abs 1 VGG wird bei einem Mangel, der innerhalb eines Jahres nach Übergabe der Ware hervorkommt, vermutet, dass er bereits bei Übergabe vorgelegen ist. Diese Vermutung tritt nicht ein, wenn sie mit der Art der Ware oder des Mangels unvereinbar ist.
[16] 3.1. § 11 Abs 1 VGG setzt Art 11 Abs 1 der Richtlinie 771/2019/EU (Warenkauf-RL) um, der – abgesehen vom Vermutungszeitraum – inhaltlich der in § 924 ABGB umgesetzten Vorgängerbestimmung des Art 5 Abs 3 der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkauf RL) entspricht (ErläutRV 949 BlgNR 27. GP 25 ), sodass auf den bestehenden Meinungsstand zu § 924 ABGB zurückgegriffen werden kann.
[17] 3.2. Will sich der Übernehmer auf die widerlegliche Gesetzesvermutung des § 11 Abs 1 VGG berufen, hat er die (nunmehrige) Mangelhaftigkeit der Sache und das Hervorkommen des Mangels innerhalb der Vermutungsfrist zu beweisen. Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 11 Abs 1 VGG ist also, dass der Käufer Beweis führt, dass sich der Kaufgegenstand innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist in einem Zustand befunden hat, der als Mangel zu qualifizieren wäre, wenn er schon bei Übergabe vorhanden gewesen wäre (vgl ErwGr 45 Warenkauf RL; EuGH ECLI:EU:C:2015:357, C 497/13 , Faber [zu Art 5 Abs 3 Verbrauchsgüterkauf RL]; RS0124354 [T6, T7]; 2 Ob 34/11f ; G. Kodek , Die Durchsetzung von Gewährleistungsrechten: Geltendmachung, Frist und Beweislast, in P. Bydlinski , Das neue Gewährleistungsrecht [2022] 97 [147 f]; Kaspar in Flume/Kronthaler/Laimer , VGG § 11 Rz 3; W. Faber in KBB 7 § 11 VGG Rz 1; Frössel in Schwimann/Kodek , ABGB 4.01 § 11 VGG Rz 2).
[18] 3.3. Gelingt dem Verbraucher dieser Beweis, kann ihn der Unternehmer durch den Beweis des Gegenteils entkräften (Art 11 Abs 1 und ErwGr 45 Warenkauf RL; Kaspar in Flume/Kronthaler/Laimer , VGG § 11 Rz 2; W. Faber in KBB 7 § 11 VGG Rz 3; vgl auch EuGH ECLI:EU:C:2015:357, C 497/13 , Faber [zu Art 5 Abs 3 Verbrauchsgüterkauf-RL]).
[19] 3.4. Die Vermutungsregel nach § 11 Abs 1 VGG kommt nicht zur Anwendung, wenn sie mit der Art der Ware oder des Mangels unvereinbar ist. Ein Beispiel für Letzteres ist etwa ein Mangel, der ausschließlich auf eine Handlung des Verbrauchers oder eine eindeutige externe Ursache zurückzuführen ist, die erst nach der Lieferung der Ware an den Verbraucher eingetreten ist (ErwGr 45 Warenkauf RL). Damit sind also etwa offensichtliche Fehlbehandlungen der Ware gemeint, die der Unternehmer beweisen muss ( Kaspar in Flume/Kronthaler/Laimer , VGG § 11 Rz 9; W. Faber in KBB 7 § 11 VGG Rz 4).
[20] 3.5. Aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellungen und dessen Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, es stehe im Raum, dass ein Bedienungsfehler vorliege, legte das Berufungsgericht die Urteilsfeststellungen in nicht korrekturbedürftiger Weise dahin aus, dass zwar das Auftreten des Motorschadens innerhalb der einjährigen Vermutungsfrist des § 11 Abs 1 Satz 1 VGG feststehe, jedoch nicht, ob dieser Schaden allenfalls auf einen Bedienungsfehler der Klägerin zurückzuführen sei. Soweit die Revision moniert, aus den Feststellungen ergebe sich ohne Zweifel, dass der Mangel aus einem Bedienungsfehler der Klägerin resultiere, zeigt sie keine korrekturbedürftige Auslegung der Feststellungen durch das Berufungsgericht auf (vgl RS0118891 ). Davon ausgehend findet die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Unsicherheiten über die Ursache des Mangels zu Lasten des Beklagten gehen, Deckung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des Gerichtshofs der Europäischen Union.