5Ob53/25t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der G*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des gerichtlichen Erwachsenenvertreters Mag. Bernhard Pilz, Rechtsanwalt, Bürgerstraße 20, 6020 Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Jänner 2025, GZ 54 R 113/24z 33, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Rekursgericht bestätigte die vom Erstgericht vorgenommene Bestellung eines Rechtsanwalts zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für die Betroffene.
[2] Der Rechtsanwalt beantragt in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, die Entscheidung dahin abzuändern, dass seine Bestellung aufgehoben und das Vertretungsnetz als Erwachsenenvertreter bestellt werde.
Rechtliche Beurteilung
[3]Er zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[4]1. Das Pflegschaftsgericht ist bei der Bestellung eines Erwachsenenvertreters an den gesetzlichen „Stufenbau“ des § 274 ABGB gebunden. Wenn – wie hier – weder eine vom Betroffenen selbst gewählte noch eine ihm nahestehende Person oder ein VereinsErwachsenenvertreter zur Verfügung steht, so ist grundsätzlich ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) zu bestellen (vgl RS0123297).
[5]Angehörige dieser Rechtsberufe müssen nach § 275 ABGB gerichtliche Erwachsenenvertretungen grundsätzlich übernehmen, es sei denn, es liegt ein in dieser Bestimmung genannter Ablehnungsgrund vor. Die Möglichkeit der Ablehnung nach § 275 ABGB gilt dabei nur für jene Notare (Notariatskandidaten) oder Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsanwärter), die – wie im vorliegenden Fall – nicht aufrecht in die von den jeweiligen Kammern zu führenden Listen als zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeignete Notare oder Rechtsanwälte eingetragen sind(RS0123440 [T13]).
[6]2. Der Ablehnungsgrund des § 275 Z 1 ABGB liegt vor, wenn die Besorgung der Angelegenheiten „nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert“. Dass rechtliche Fachkenntnisse in der Regel für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten (insbesondere zur Durchsetzung von Ansprüchen) oder für den Abschluss komplizierter Verträge erforderlich sind, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen(5 Ob 190/23m; 5 Ob 40/23b; 4 Ob 79/24g). Die Frage, ob Angelegenheiten zu besorgen sind, für die vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, ist immer nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei dem Gericht ein Beurteilungsspielraum zukommt ( RS0117452 [T2]; RS0048291 [T14, T15]). Nur eine eklatante Überschreitung dieses Ermessensspielraums wäre vom Obersten Gerichtshof als eine im Sinn der Rechtssicherheit erhebliche Rechtsfrage aufzugreifen ( 4 Ob 79/24g ).
[7]3. Fest steht, dass in den letzten Jahren aufgrund der psychischen Erkrankungen der Betroffenen zumindest 60 stationäre Aufenthalte in der Universitätsklinik für Psychiatrie in I* erforderlich waren, zumindest einmal auch wegen Selbstgefährdung nach § 9 UbG. Die Betroffene kann derzeit keiner geregelten Arbeit nachgehen, sie befindet sich in einer ungeklärten Lebens und Wohnsituation, zumal sie auch ihren betreuten Wohnplatz verloren hat.
[8] Die Betroffene ist nicht in der Lage, ihre Termine selbständig wahrzunehmen und ihre Angelegenheiten selbst zu erledigen. Ihr fehlt die Fähigkeit, Verträge zu verstehen, in diese einzuwilligen und eigene Interessen vor Gerichten und Behörden wahrzunehmen. Sie benötigt Unterstützung bei der Wohnplatzsuche, der Regelung ihrer finanziellen Angelegenheiten sowie bei der Stellung von Anträgen vor Gerichten und Behörden. Konkret zu klären ist einerseits die Wohnplatzsituation und damit verbunden der Abschluss eines Wohn oder Heimvertrags sowie die Sicherstellung der Wohnfinanzierung, insbesondere auch durch die Beantragung von Beihilfen und Pflegegeld. Andererseits ist eine Halbwaisenpension nach dem verstorbenen Vater der Betroffenen zu beantragen.
[9] Dass sämtliche dieser zu besorgenden Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordern, liegt auf der Hand. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass hier rechtliche Fachkenntnisse nicht nur von Vorteil, sondern geboten sind, stellt damit keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar, insbesondere unter Berücksichtigung, dass der zu überprüfende Anspruch auf Halbwaisenpension aufgrund der kroatischen Staatsbürgerschaften der Betroffenen und des verstorbenen Vaters einen Auslandsbezug aufweist. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht handelt es sich bei den zu besorgenden Angelegenheiten gerade nicht vorwiegend um Angelegenheiten des täglichen Lebens.
[10]Wenn der Revisionsrekurswerber meint, der Erwachsenenschutzverein wäre zu bestellen gewesen, weil die Betreuung der Betroffenen sozialarbeiterische, pädagogische und psychologische Fähigkeiten erfordere, übersieht er, dass der Erwachsenenschutzverein nur mit dessen Zustimmung zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellt werden kann (§ 274 Abs 3 ABGB). Mit Schreiben vom 20. 2. 2024 hat der Erwachsenenschutzverein mitgeteilt, dass keine freie Kapazitäten für die Übernahme der Erwachsenenvertretung bestehen. Damit hat er seine Zustimmung gerade nicht erteilt.
[11]4. Der Revisionsrekurs war daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.