JudikaturOGH

16Ok1/24v – OGH Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
06. Dezember 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Dr. Annerl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerinnen 1. H*gesellschaft m.b.H., *, 2. H*gesellschaft m.b.H., *, 3. Ö* GmbH, *, 4. S* GmbH, *, die Erst- und Drittantragsgegnerinnen vertreten durch die Saxinger, Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, die Zweit- und Viertantragsgegnerinnen vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a und d KartG, hier über den Antrag der Einschreiterin Gemeinde *, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Akteneinsicht, über den Rekurs der Einschreiterin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 16. Jänner 2024, GZ 28 Kt 6/20x 94, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das unterbrochene Rekursverfahren wird fortgesetzt .

II. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben .

Text

Begründung:

[1] Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. 11. 2022 verhängte das Erstgericht über die Antragsgegnerinnen wegen Zuwiderhandlungen gegen § 1 KartG und Art 101 AEUV durch Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie einen unzulässigen Informationsaustausch bei öffentlichen und privaten Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 eine Geldbuße. Die Entscheidung wurde im Volltext in der Ediktsdatei veröffentlicht, wobei nur bestimmte Verweise auf Urkunden zu Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen von der Veröffentlichung ausgenommen wurden. Als wettbewerbsbeschränkende Handlungen wurden in der veröffentlichten Entscheidung auch die Abstimmung des Abgabeverhaltens und die Abgabe von Deckangeboten durch zumindest einzelne Antragsgegnerinnen beim Projekt „Straßenbau L* und W*“ genannt.

[2] Die Einschreiterin beantragt Einsicht in den Akt des Kartellgerichts, wobei ihr Hauptbegehren mehr oder weniger den gesamten Akteninhalt umfasst und ihre Hilfsbegehren auf bestimmte Aktenbestandteile gerichtet sind. Sie habe durch die Veröffentlichung der Bußgeldentscheidung davon Kenntnis erlangt, dass sie von wettbewerbswidrigen Handlungen der Antragsgegnerinnen betroffen sei. Da sie beabsichtige, den ihr dadurch entstandenen Schaden geltend zu machen, komme ihr ein rechtliches Interesse an einer Akteneinsicht zu.

[3] Die Antragstellerin und der Bundeskartellanwalt stimmten der Akteneinsicht – mit Ausnahme von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen – zu.

[4] Die Antragsgegnerinnen sprachen sich gegen die begehrte Akteneinsicht aus.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag der Einschreiterin ab, weil sie nicht plausibel dargelegt habe, warum ihr die Geltendmachung von Ersatzansprüchen ohne Akteneinsicht – trotz der in der Entscheidungsveröffentlichung sowie in den eigenen Geschäftsunterlagen enthaltenen Informationen – erheblich erschwert wäre. Aufgrund der Gesamtzuwiderhandlung der Antrags-gegnerinnen erstrecke sich deren Verantwortung auch auf Verstöße einzelner Kartellmitglieder im Rahmen der Grundvereinbarung, sodass insoweit eine solidarische Haftung bestehe. Eine zivilrechtliche Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gegenüber Personen, die nicht Partei jenes Verfahrens waren, in dem der Antrag auf Akteneinsicht gestellt wurde, bezwecke diese nicht. Dass die Einschreiterin den ihr durch Wettbewerbsverstöße der Antragsgegnerinnen verursachten Schaden ohne Akteneinsicht nicht bemessen könne, sei nicht nachvollziehbar. Durch die Akteneinsicht würden auch Rechte Dritter gefährdet, gegen die noch Kartellverfahren wegen jenes (Bau )Kartells anhängig seien, an dem auch die Antragsgegnerinnen mitgewirkt hätten. Zusammengefasst sei daher an § 39 Abs 2 Satz 1 KartG festzuhalten, wonach eine Akteneinsicht nur mit Zustimmung der Parteien erfolgen könne.

[6] Dagegen erhob die Einschreiterin einen Rekurs an den Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht.

[7] Mit Beschluss vom 14. 3. 2024 unterbrach der Oberste Gerichtshof das Rekursverfahren biszur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den von der Einschreiterin zu AZ G 26–27/2024 eingebrachten Parteiantrag auf Normenkontrolle, mit dem ua die Aufhebung des § 39 Abs 2 Satz 1 KartG 2005 als verfassungswidrig angestrebt wurde.

[8] Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 11. 6. 2024 zu AZ G 26–27/2024 9 stellte dieser das Normenkontrollverfahren ein , weil die Einschreiterin ihren Normprüfungsantrag zurückgezogen habe.

[9] Das Rechtsmittelverfahren ist daher fortzusetzen .

Rechtliche Beurteilung

[10] Dem Rekurs kommt keine Berechtigung zu:

[11]1. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach ausführlich mit im Kartellverfahren erhobenen Anträgen von angeblich durch die Kartellverstöße geschädigten Dritten auf Akteneinsicht auseinandergesetzt (vgl in jüngerer Zeit 16 Ok 1/22s; 16 Ok 1/23t; 16 Ok 8/23x, jeweils mwN).

[12] Das Kartellobergericht ging dabei – zusammengefasst – jeweils von folgenden Grundsätzen aus:

[13]1.1. Die Akteneinsicht richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 38 KartG und § 219 Abs 2 ZPO. Über die darin festgelegten Voraussetzungen hinaus können am Verfahren nicht beteiligte Personen gemäß § 39 Abs 2 KartG nur mit Zustimmung der Parteien Akteneinsicht nehmen.

[14] 1.2. Der EuGH (6. 6. 2013, C 536/11, Donau Chemie ) beurteilte eine Regelung wie jene des § 39 Abs 2 KartG, die den Aktenzugang Dritter (zur Vorbereitung einer Schadenersatzklage gegen einen Kartellteilnehmer) generell von der Zustimmung der Parteien abhängig macht, als mit dem Unionsrecht – insbesondere dem Effektivitätsgrundsatz – unvereinbar. Das nationale Gericht müsse die Möglichkeit haben, jene Interessen, die einerseits die Übermittlung von Informationen und andererseits deren Schutz rechtfertigen, im Einzelfall abzuwägen. Wesentlich sei dabei, ob dem Geschädigten bei Verweigerung der Akteneinsicht andere Möglichkeiten zur Verfügung stünden, sich die für die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs erforderlichen Beweise zu beschaffen.

[15] 1.3. Ausgehend von dieser Entscheidung – und da auch der österreichische Gesetzgeber die private Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen fördern wollte – sei die Wertung, dass nationale Rechtsvorschriften die Erlangung von Schadenersatz für Wettbewerbsverstöße jedenfalls nicht praktisch unmöglich machen dürften, verallgemeinerungsfähig und auch auf Verstöße gegen das österreichische Kartellrecht übertragbar.

[16] 1.4. Der Unionsgesetzgeber verfolge ua das Ziel, private zivilrechtliche Durchsetzungsmaßnahmen und die öffentliche Rechtsdurchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Wettbewerbsbehörden kohärent und mit dem Ziel einer höchstmöglichen Wirkung unter anderem im Hinblick auf den Zugang zu Unterlagen, die sich im Besitz der Wettbewerbsbehörden befinden, zu koordinieren. E in Kläger müsse berechtigt sein, die Offenlegung der für seinen Anspruch relevanten Beweismittel zu erwirken, ohne diese konkret benennen zu müssen. Um den wirksamen Schutz des Rechts auf Schadenersatz zu gewährleisten, sei es aber nicht erforderlich, diesem jedes zu einem Kartellverfahren gehörende Schriftstück zu übermitteln. Es sei wenig wahrscheinlich, dass eine Schadenersatzklage auf sämtliche Bestandteile des Akts des Kartellverfahrens gestützt werden müsse. Offenlegungsanträge seien daher nicht verhältnismäßig, wenn sie sich ganz allgemein auf die Unterlagen zu einem bestimmten Akt bezögen.

[17] 2. Der in Umsetzung der SchadenersatzRL (RL 2014/104/EU) neu eingefügte § 37j KartG regelt die Offenlegung von Beweismitteln, die sich in der Verfügungsmacht der Gegenpartei oder eines Dritten befinden; der ebenfalls neu eingefügte § 37k KartG die Offenlegung und Verwendung von Beweismitteln, die sich in den Akten von Gerichten oder Behörden befinden. Beide Bestimmungen ermöglichen eine Offenlegung von Beweismitteln in einem anhängigen schadenersatzrechtlichen Verfahren. § 37k Abs 4 und Abs 5 KartG verbieten die Offenlegung von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen. § 39 Abs 2 KartG, wonach eine Akteneinsicht durch nicht am Verfahren beteiligte Dritte die Zustimmung der Parteien voraussetzt, blieb sowohl durch das KaWeRÄG 2017 als auch das KaWeRÄG 2021 unverändert.

[18] 3. Konkret zu § 39 Abs 2 KartG legte der Oberste Gerichtshof in seinen bisherigen Entscheidungen zur Akteneinsicht Dritter in den KartellaktFolgendes dar (16 Ok 1/22s; 16 Ok 1/23t; 16 Ok 8/23x, jeweils mwN auch zur Rechtsprechung des EuGH) :

[19] 3.1. Die aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz abgeleitete Wertung, wonach der Zugang zu Beweismitteln nicht so ausgestaltet sein dürfe, dass dadurch die Erlangung von Schadenersatz durch den Kartellgeschädigten praktisch unmöglich gemacht oder erheblich erschwert werde, ist durch Erlassung und Umsetzung der SchadenersatzRL keineswegs obsolet. Diese Richtlinie kann vielmehr – auch wenn darin kein einheitliches Schutzniveau festgelegt, sondern (in Art 5 Abs 8 der Richtlinie) ausdrücklich die Beibehaltung oder Einführung nationaler Vorschriften, die zu einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln führen, gestattet wurde – als Konkretisierungs m aßstab dienen. Ihrem Gesamtkonzept nach bezweckt die SchadenersatzRL eine möglichst effiziente öffentliche und private Rechtsdurchsetzung. In diesem Sinn ist es daher geboten, im Hinblick auf die private Durchsetzung des Kartellrechts mit Hilfe des Schadenersatzrechts eine Gesamtbetrachtung der Möglichkeiten zur Informationsgewinnung vorzunehmen, die einem durch einen Wettbewerbsverstoß Geschädigten zur Verfügung stehen. Diese Möglichkeiten dürfen aufgrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes nicht so ausgestaltet sein, dass die Geltendmachung von Schadenersatz praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde.

[20] 3.2. Bei isolierter Betrachtung der §§ 37j und 37k KartG muss ein durch einen Kartellverstoß Geschädigter die Schadenersatzklage einbringen und seinen Schaden beziffern, bevor er Anträge auf Offenlegung nach diesen Bestimmungen stellen kann. Im Fall der Abweisung eines Antrags nach § 37j KartG ist die abweisende Entscheidung erst mit der Endentscheidung im Schadenersatzprozess bekämpfbar (§ 37j Abs 8 KartG). Der Kläger kann daher im Fall einer unberechtigten Abweisung seines Offenlegungsantrags in der Situation sein, erst nach Sachentscheidung die zur Substanziierung seiner Ansprüche erforderlichen Urkundenvorlageanträge im Rechtsmittelverfahren erfolgreich verfolgen zu können. Die Rechtsansicht, allein aus der Einführung der §§ 37j und 37k KartG sei abzuleiten, dass die in § 39 Abs 2 KartG vorgesehene Voraussetzung der Zustimmung aller Verfahrensparteien für die Einsicht in die Akten des Kartellgerichts keinesfalls mehr unionsrechtswidrig sei, überzeugt daher nicht.

[21]3.3. Eine isolierte Betrachtung der §§ 37j, 37k KartG greift aber zu kurz. Vielmehr kommt auch der Veröffentlichung kartellgerichtlicher Entscheidungen gemäß § 37 KartG Gewicht zu. Das Geldbußenverfahren bezweckt zwar nicht primär die Schaffung der Grundlagen für Schadenersatzprozesse. Bei Auslegung des § 37 KartG ist aber die Zielsetzung zu berücksichtigen, die Verfolgung privater Ersatzansprüche wegen Kartellverstößen zu erleichtern. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist daher in der Geldbußenentscheidung möglichst deutlich wiederzugeben. Das Unterbleiben einer ausreichenden Veröffentlichung der Entscheidung würde – stünde Akteneinsicht (wie nach dem Wortlaut des § 39 Abs 2 KartG) nur mit Parteizustimmung zu – eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der dem Geschädigten nach Art 6 EMRK und Art 47 GRC zustehenden Rechte bedeuten.

[22] 3.4. Die Veröffentlichung trägt wesentlich zur Informationsgewinnung des Kartellgeschädigten bei. Bei Vorliegen einer solchen bedarf es daher konkret zu behauptender Umstände, warum die Verweigerung der Akteneinsicht gemäß § 39 Abs 2 KartG die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs dennoch zumindest übermäßig erschwert (und daher der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz verletzt wäre), etwa weil Kategorien von Dokumenten benötigt werden, die in die veröffentlichte Entscheidung keinen Eingang gefunden haben oder typischerweise in eine solche keinen Eingang finden.

[23] 3.5. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt nur, dass die Geltendmachung von Schadenersatz aus Wettbewerbsverstößen nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Ob dies zutrifft, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Es liegt daher an der Akteneinsicht begehrenden Person, darzulegen, dass ihr unter Berücksichtigung aller verfügbaren Möglichkeiten der Informationsgewinnung ohne eine von der Zustimmung der Parteien des Kartellverfahrens unabhängige Akteneinsicht die Geltendmachung ihres durch den Wettbewerbsverstoß verursachten Schadens praktisch unmöglicht oder übermäßig erschwert wäre.

[24] 4. Davon ausgehend begegnet die Beurteilung des Erstgerichts keinen Bedenken :

[25] 4.1. Ob die Einschreiterin mit ihren (auch hilfsweisen) Begehren auf Einsicht in bestimmte Aktenbestandteile die offenzulegenden Dokumente ausreichend konkret bezeichnet hat (vgl Pkt 1.4), kann dahingestellt bleiben, weil ihrem Antrag unabhängig davon keine Berechtigung zukommt.

[26] 4.2. In erster Instanz begründete die Einschreiterin ihr rechtliches Interesse an der Akteneinsicht ua damit, dass sich aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung nicht ergebe, welche Antragsgegnerinnen sie durch ein kartellwidriges Verhalten geschädigt hätten. Aus ihren eigenen Geschäftsunterlagen ergäben sich nur Vertragsabschlüssse mit einer Antragsgegnerin. Würde sie alle Antragsgegnerinnen klagen, wäre daher nur ein Obsiegen gegenüber einer Antragsgegnerin denkbar, bei Belangen bloß einer Antragsgegnerin bestünde hingegen das Risiko, die „falsche“ geklagt zu haben.

[27] Dem kann nicht gefolgt werden.

[28] 4.2.1.Schon aus § 1302 ABGB ergibt sich die Solidarhaftung mehrerer vorsätzlich handelnder Schädiger. Der Vorwurf, vorsätzlich gemeinsam ein unerlaubtes Ziel verfolgt zu haben, rechtfertigt es, alle Beteiligten für den entstandenen Schaden verantwortlich zu machen (RS0112574). Solidarhaftung tritt schon ein, wenn Einvernehmen über die Begehung einer rechtswidrigen Handlung bestand, die für den Schaden konkret gefährlich war (RS0109825). Auch ein gemeinsamer Verstoß gegen das Kartellverbot (zum Schutzgesetzcharakter vgl RS0127672) bewirkt eine solidarische Haftung sämtlicher Kartellanten für daraus abgeleitete Schäden (RS0127672; 8 Ob 81/13i; 5 Ob 39/11p; 4 Ob 46/12m), was sich ausdrücklich auch aus § 37e Abs 1 KartG ergibt (16 Ok 1/23t; für viele etwa auch Reidlinger / Hartung , Das österreichische Kartellrecht 5 [2025] 310). Wird nur ein Kartellant für den gesamten Schaden in Anspruch genommen, liegt es an diesem, sich bei den anderen zu regressieren (§ 37e Abs 4 KartG).

[29]4.2.2. Nach der veröffentlichten Bußgeld-entscheidung haben sämtliche Antragsgegnerinnen eine einheitliche und fortgesetzte Gesamtzuwiderhandlung gegen das Kartellverbot zu verantworten. Die Einschreiterin kann ihren daraus abgeleiteten Kartellschaden daher entweder gegenüber einer der gemeinsam vorsätzlich handelnden Antragsgegnerinnen (etwa ihre Vertragspartnerin) oder – nach Belieben (RS0017435) – gegenüber mehreren oder allen Antragsgegnerinnen geltend machen. Warum sie ihren behaupteten Ersatzanspruch auf diese Weise praktisch nicht durchsetzen könnte (sondern ihr dies unmöglich oder übermäßig erschwert wäre), legte sie weder in erster Instanz noch in ihrem Rechtsmittel plausibel dar. Mit mehreren Einzelklagen verbundene Kostennachteile wären bei einer gemeinsamen Klageerhebung gegen sämtliche Antragsgegnerinnen (als Streitgenossen; vgl RS0127672) nicht zu befürchten. Dass bei einer Klage gegen alle Antragsgegnerinnen nur ein Obsiegen gegenüber einer Antragsgegnerin denkbar wäre, bei Belangen bloß einer Antragsgegnerin hingegen das Risiko bestünde, die „falsche“ geklagt zu haben, ist aufgrund deren – auch von der Einschreiterin selbst angenommener – Solidarhaftung nicht nachvollziehbar.

[30] 4.3. Soweit die Einschreiterin in ihrem Antrag auf Akteneinsicht behauptete, (ohne eine solche) keine Kenntnis davon zu haben, „ wann, wie und wodurch “ sie (von welchen Antragsgegnerinnen) geschädigt worden sei, ist sie auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, dass sie in einem Haftungsprozess als (Kartell)Geschädigte nur die Verletzung des Schutzgesetzes (den Kartellverstoß) und den Eintritt ihres Schadens behaupten und beweisen muss (RS0022474). Der Verstoß der Antragsgegnerinnen gegen Wettbewerbsvorschriften ergibt sich aber schon aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung. Dass sich daraus nicht ergebe, durch welche konkreten wettbewerbswidrigen Handlungen die Einschreiterin geschädigt worden sei, lässt im Hinblick auf die abgeschwächten Schlüssigkeitserfordernisse des § 37j Abs 1 KartG nicht erkennen, warum die Einschreiterin – die dies weder in erster Instanz noch in ihrem Rechtsmittel plausibel begründete – zu einer Klageerhebung gegen diese nicht in der Lage wäre (vgl 16 Ok 8/23x). Auch dass sie ihren Schaden nicht beziffern könne, hat sie in erster Instanz nur unsubstanziiert behauptet. Dafür wäre nach ständiger Judikatur im Übrigen aber ohnehin nur ein Vorbringen zu den von ihr „historisch“ bezahlten Preisen erforderlich (vgl etwa 5 Ob 193/22a; 16 Ok 1/23t, jeweils mwN).

[31]4.4. Die Einschreiterin leitete ihr Interesse an der angestrebten Akteneinsicht auch daraus ab, dass sie nicht nur die Antragsgegnerinnen sondern auch andere Beteiligte der Kartellverstöße in Anspruch nehmen wolle, deren Identität sich aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung aber nicht ergebe. Im Rekurs stützt sie sich primär auf dieses Argument. Dem ist aber – wie schon in erster Instanz – die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entgegenzuhalten, wonach nicht erkennbar sei, dass die Einsicht in den Kartellakt ein effektives und gebotenes Mittel zur privatrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gegenüber Personen wäre, die von der Wettbewerbsbehörde in jenem Verfahren, in dem der Antrag auf Akteneinsicht gestellt wurde, gar nicht „belangt“ wurden (16 Ok 1/23t [Rz 37]; 16 Ok 8/23x [Rz 30]). Davon abgesehen lässt weder das erst- noch zweitinstanzliche Vorbringen der Einschreiterin erkennen, warum sie ihren behaupteten Ersatzanspruch nicht schon zur Gänze – auch wirtschaftlich – gegenüber den ihr (jedenfalls bekannten und solidarisch haftenden) Antragsgegnerinnen durchsetzen könnte.

[32] 5. Zusammengefasst legte die Einschreiterin somit keine ausreichend konkreten Umstände dar, die den Schluss zuließen, dass ihr eine Geltendmachung ihrer behaupteten Schadenersatzansprüchen trotz umfassender Veröffentlichung der Bußgeldentscheidung, der im Zivilprozess bestehenden Erleichterungen hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klage sowie der im Haftungsprozess zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten ohne Akteneinsicht im vorliegenden (Einzel-)Fall übermäßig erschwert und daher der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz verletzt wäre.

[33] 6. Dem Rekurs kommt daher kein Erfolg zu.