16Ok8/25z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Dr. Annerl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerinnen 1. H*gesellschaft m.b.H., *, 2. H*gesellschaft m.b.H., *, 3. Ö* GmbH, *, und 4. S* GmbH, *, die Erst und Drittantragsgegnerinnen vertreten durch die SAXINGER Rechtsanwalts GmbH in Wien, die Zweit und Viertantragsgegnerinnen vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 KartG, hier über den Antrag der Einschreiterin Gemeinde L*, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Akteneinsicht, über den Rekurs der Einschreiterin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 2. April 2025, GZ 28 Kt 6/20x-113, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt , dass der Antrag der Einschreiterin auf Akteneinsicht vom 29. 1. 2024 nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen wird.
Text
Begründung:
[1] Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. 11. 2022 verhängte das Erstgericht über die Antragsgegnerinnen wegen Zuwiderhandlungen gegen § 1 KartG und Art 101 AEUV durch Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie einen unzulässigen Informationsaustausch bei öffentlichen und privaten Ausschreibungen im Bereich Hoch und Tiefbau im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 eine Geldbuße. Die Entscheidung wurde im Volltext in der Ediktsdatei veröffentlicht, wobei nur bestimmte Verweise auf Urkunden zu Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen von der Veröffentlichung ausgenommen wurden. Als wettbewerbsbeschränkende Handlungen wurden in der veröffentlichten Entscheidung auch die Abstimmung des Abgabeverhaltens und die Abgabe von Deckangeboten durch zumindest einzelne Antragsgegnerinnen beim Projekt „Straßenbau L* und W*“ genannt.
[2] Die Einschreiterin beantragte bereits mit (erstem) Antrag vom 9. 11. 2023 Akteneinsicht in den (verfahrenseinleitenden) Antrag und die weiteren Schriftsätze der Antragstellerin, in die von ihr vorgelegten Urkunden, in Schriftsätze der Antragsgegnerinnen und in die v on diesen vorgelegten Urkunden, in Schriftsätze und vorgelegte Urkunden des Bundeskartellanwalts sowie in Beschlüsse und Verfügungen des Kartellgerichts, insbesondere in den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss über die Verhängung der Geldbuße, jeweils ausgenommen Vergleichsausführungen und allfällige Kronzeugenerklärungen. Hilfsweise beantragte die Einschreiterin Akteneinsicht bloß in einzelne dieser Dokumente.
[3] Das Erstgericht wies diesen (ersten) Antrag mit Beschluss vom 16. 1. 2024 a b.
[4] Dem dagegen erhobenen Rekurs der Einschreiterin gab der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht mit Beschluss vom 6. 12. 2024 zu 16 Ok 1/24v nicht Folge.
[5] Mit als „zweiter Antrag auf Akteneinsicht“ bezeichnetem Schriftsatz vom 29. 1. 2024 beantragte die Einschreiterin (neuerlich) Akteneinsicht in jene Teile des Aktes des Kartellgerichts, in denen sie als Geschädigte bzw Opfer namentlich genannt werde, aus denen sich die Firmenwortlaute oder abstrakten Umschreibungen der anderen Mittäter, die die Einschreiterin geschädigt hätten, ergäben, und/oder aus denen der Inhalt der die Einschreiterin betreffenden kartellrechtswidrigen Absprachen, ihr Schaden oder sonstige Informationen, die für die Erhebung einer Schadenersatzklage relevant seien, ersichtlich seien. Ausgenommen seien Vergleichsausfertigungen und allfällige Kronzeugenerklärungen.
[6] Zur Begründung verwies sie vor allem auf ihren ersten Antrag auf Akteneinsicht vom 9. 11. 2023. Ergänzend führte die Einschreiterin aus, dass sich aus dem „jeweiligen Werkvertrag, den [sie] jeweils nur mit einem einzigen der Kartellanten abgeschlossen habe“ nicht ergebe, welche kartellrechtswidrige Vereinbarung ihr Vertragspartner mit anderen Kartellteilnehmern getroffen habe. Auch der zweite Antrag auf Akteneinsicht bezwecke, herauszufinden, mit welchen anderen Unternehmen sich die Antragsgegner im Zusammenhang mit den von der Einschreiterin erteilten Aufträgen abgesprochen hätten. Da diese der Einschreiterin nicht bekannt seien, könne sie ihre zivilrechtlichen Ersatzansprüche ohne die angestrebte Akteneineinsicht nicht „gegen alle Haftenden gemeinsam“ (als Solidarschuldner) durchsetzen.
[7] Die Antragstellerin verwies zu diesem (zweiten) Antrag auf Akteneinsicht im Wesentlichen auf ihre Stellungnahme zum ersten Antrag der Einschreiterin.
[8] Der Bundeskartellanwalt sprach sich – mit Ausnahme zu Kronzeugenerklärungen sowie Vergleichsausfertigungen – nicht gegen diesen (zweiten) Antrag aus.
[9] Die Antragsgegnerinnen sprachen sich gegen die neuerlich angestrebte Akteneinsicht aus.
[10] Das Erstgericht wies auch den zweiten Antrag der Einschreiterin auf Akteneinsicht ab.
[11] Es verwies auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu vergleichbaren Anträgen, wonach die an einem Kartellverstoß beteiligten Unternehmer für den dadurch verursachten Schaden solidarisch hafteten und der Geschädigte seinen gesamten Schaden gegenüber einem Kartellanten geltend machen könne, weshalb ihm die Identität sämtlicher (weiterer) Kartellbeteiligten nicht bekannt sein müsse. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Einsicht in den Kartellakt ein effektives und gebotenes Mittel zur privatrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gegenüber jenen Personen sein soll, die von der Wettbewerbsbehörde (in jenem Verfahren, in dem der Antrag auf Akteneinsicht gestellt worden sei) gar nicht „belangt“ worden seien. Der (Kartell )Geschädigte müsse im Haftungsprozess nur den – sich aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung ergebenden – Kartellverstoß sowie den Eintritt seines Schadens behaupten und beweisen.
[12] Aufgrund der Einschränkung des Begehrens im zweiten Antrag auf Akteneinsicht auf „näher definierte Aktenteile“ sei über diesen – „mangels Vorliegens einer res iudicata“ – inhaltlich zu entscheiden gewesen.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der dagegen erhobene – von den Antragsgegnerinnen beantwortete – Rekurs der Einschreiterin ist nicht berechtigt:
[14]1. Nach ständiger Rechtsprechung sind auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidungen der materiellen und formellen Rechtskraft fähig (§ 43 Abs 1 AußStrG; RS0007171 ). Sie entfalten daher Einmaligkeits und Bindungswirkung ( RS0007171[T13]). Dies gilt auch für im Kartellverfahren gefasste Beschlüsse (16 Ok 3/22k [Rz 114]; 16 Ok 3/24p[Rz 8]; 16 Ok 6/25f [Rz 10]).
[15] 2. Die Rechtskraftwirkung setzt die Identität der Parteien, der Begehren und des rechtserzeugenden Sachverhalts voraus ( RS0108828 ; RS0041340 ; 16 Ok 7/16i [ Pkt2.2]; 16 Ok 6/25f [Rz 11]).
[16] 2.1. Die Identität der Parteien des Verfahrens über den ersten Antrag auf Akteneinsicht und des Verfahrens über den hier zu beurteilenden, zweiten solchen Antrag der Einschreiterin liegt unzweifelhaft vor.
[17] 2.2. Auch die Begehren sind – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – (zumindest teilweise) ident:
[18] Im ersten (rechtskräftig abgewiesenen) Antrag beschrieb die Einschreiterin die Aktenstücke, auf die sich die Akteneinsicht beziehen sollte, formal nach dem jeweiligen Einbringer (Parteien) oder Urheber (Gericht), führte dabei aber letztlich sämtliche im vorliegenden Verfahren in Betracht kommenden Verfahrensbeteiligten an. Dieser Antrag – und damit auch die diesen abweisende Entscheidung – umfasste also den gesamten Akteninhalt mit den – auch im zweiten Antrag – genannten Ausnahmen.
[19] Im vorliegenden Antrag wurde der Gegenstand der Akteneinsicht zwar inhaltlich – durch ein Abstellen auf eine namentliche Nennung oder inhaltliche Betroffenheit der Einschreiterin – umschrieben (mit im Vergleich zum ersten Antrag inhaltsgleichen Ausnahmen). Diese andere Umschreibung des Gegenstands der gewünschten Akteneinsicht ändert aber nichts daran, dass sie sich ausschließlich auf solche Aktenstücke bezieht, hinsichtlich derer eine Akteneinsicht bereits rechtskräftig abgelehnt wurde. Damit lag dem zweiten Antrag inhaltlich dasselbe Begehren zugrunde, wie dem ersten Antrag (der darüber hinausging).
[20] 2.3. Es besteht auch eine Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts bzw des dazu erstatteten Vorbringens. Die Einschreiterin begründete ihren zweiten Antrag auf Akteneinsicht damit, dass sie ohne diese keine Kenntnis von sämtlichen an den Kartellabsprachen beteiligten Unternehmern erlangen könnte. Darauf stützte sie sich aber bereits in ihrem ersten Antrag.
[21] 3. Zusammengefasst wäre der – hier zu beurteilende – (zweite) Antrag der Einschreiterin auf Akteneinsicht somit schon vom Erstgericht wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen. Der angefochtene Beschluss wird daher mit der Maßgabe bestätigt, dass dieser nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen wird.