3Ob22/24t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Armin Exner, Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie deren Nebenintervenientin E*, vertreten durch Tinzl Frank Rechtsanwälte-Partnerschaft in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde *, vertreten durch Dr. Günther Egger, Dr. Karl Heiss, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 64.870 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023, GZ 3 R 114/23y 56, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin wurde durch einen plötzlich umstürzenden Baum, der auf einer Liegenschaft der Nebenintervenientin stand, schwer verletzt. Es steht nicht fest, wer den Baum im Jahre 1964 pflanzte. Ursache für das plötzlich Umstürzen des Baumes war die seit dem Einpflanzen bestandene (unterirdische) „Betonummantelung“, die keine Ausbildung eines ausreichenden Stand- und Wurzelraums zuließ. Die Beklagte hatte den Baum in ihrem Baumkataster eingetragen und zumindest seit 2009 regelmäßig betreut. Die Einschränkung des Wurzelwachstums durch die unter der Erdoberfläche befindliche Betonmauer war nicht erkennbar.
[2]Die Vorinstanzen wiesen das Schadenersatz- und Feststellungsbegehren der Klägerin ab. Der Beklagten sei der Entlastungsbeweis im Sinn des § 1319 ABGB gelungen. Diese habe sämtliche nach dem Stand der Technik erforderlichen (detailliert festgestellten) Kontroll- und Pflegemaßnahmen fachgerecht durchgeführt. Die für das plötzliche Umstürzen ursächliche, den Wurzelbereich einengende Betonummantelung sei „sehr ungewöhnlich“ und im Rahmen der ordnungsgemäß vorgenommenen Kontrollen nicht erkennbar gewesen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin dagegen zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[4]1.1 Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen verursacht werden, sind nach ständiger Rechtsprechung im Weg der Analogie in den Anwendungsbereich des § 1319 ABGB einzubeziehen (2 Ob 50/20x; vgl RS0029932; RS0026229). Bei Bäumen liegt der Grund der verschärften Haftung darin, dass infolge eines mangelhaften Zustands eines Baums eine erhöhte Gefährlichkeit bestehen kann. Diese Gefahr kann auf einer mechanischen Verletzung des Baums oder auf einer Krankheit beruhen; dem wird eine – hier vorgelegene – unzureichende Wurzelausbildung gleichgehalten (2 Ob 50/20x mwN).
[5]1.2 Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist das Berufungsgericht von der Rechtsprechung zur Frage, welche Maßnahmen bei Bäumen im Verkehrsbereich gesetzt werden müssen, nicht abgewichen. Die Behauptung der Klägerin, die Baumkontrolle und deren Dokumentation durch die Beklagte habe nicht den einschlägigen ÖNormen entsprochen, widerspricht in wesentlichen Punkten den gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichts. Demnach bestanden lediglich Defizite bei Details der Aufzeichnung der Einzelbaumkontrolle, die allerdings nichts daran ändern, dass die aus technischer Sicht notwendigen Untersuchungen durchgeführt und die Prüfungsintervalle eingehalten wurden, ohne dass sich dabei Hinweise auf die Notwendigkeit weiterführender Untersuchungen ergaben. Mit den davon abweichenden Behauptungen führt die Klägerin ihre Rechtsrüge nicht gesetzmäßig aus (vgl RS0043312 [T14]).
[6]2.1 § 1319 ABGB stellt nach ständiger Rechtsprechung auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab und normiert eine Gefährdungshaftung (RS0116783 [T1]). Von dieser kann sich der Halter durch den Beweis befreien, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet und alle Vorkehrungen getroffen zu haben, die vernünftigerweise nach den Umständen bzw der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können (RS0030035 [T9]). Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch Vorhersehbarkeit der drohenden Gefahr voraus (RS0030035 [T12], RS0030204).
[7] 2.2 Hier steht fest, dass die für das natürliche Baumwachstum schädliche Einschränkung des Standraums des Baums durch die umfassenden Betonmauern „selbst für einen Stadtbaum eine sehr ungewöhnliche Situation“ bedeuteten und diese Einengung des Wurzelbereichs von außen nicht erkannt werden konnte. Dagegen waren für die Kontrolleure „vitale Wurzeln“ in der Grünfläche hinter dem Gehsteig sichtbar und es gab aus technischer Sicht „keine Indikation zur Durchführung weiterführender Untersuchungen“. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der die Beklagte sämtliche von ihr zu erwartenden und zur Abwendung erkennbar drohender Gefahren erforderlichen Vorkehrungen getroffen habe, ist daher – entgegen der Rechtsansicht der Klägerin – nicht korrekturbedürftig.
[8]2.3 Die Klägerin argumentiert, die Beklagte habe Eigentum an der Verkehrsfläche sowie am Baum „jedenfalls durch Ersitzung erworben“ und „daher“ sei ihr auch die falsche Einpflanzung zuzurechnen. Für die Frage der Haftung nach § 1319 ABGB kommt es allerdings nicht auf das Eigentum am Baum an, sondern auf die – von der Beklagten ohnehin nicht bestrittene – Haltereigenschaft. Wer den Baum im Jahr 1964 unsachgemäß einpflanzte, steht nicht fest und dass der Beklagten dieser Umstand unsachgemäßer Einpflanzung bekannt war, behauptet selbst die Klägerin nicht. Die Meinung der Klägerin, die Beklagte selbst habe durch die unsachgemäße Einpflanzung die Gefahrenquelle geschaffen, beruht auf bloßen Vermutungen ohne Deckung im Sachverhalt.
[9] 2.4 Der von der Klägerin zitierten Entscheidung 6 Ob 549/80 lag ein anderer Sachverhalt zugrunde: Dort war der Stamm des rund 80 jährigen Baums, der das Gebäude der dortigen Kläger beschädigte, durch Pilzbefall zerstört gewesen und bei einem Sturm gebrochen. Der seinerzeitige Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs diente zur ergänzenden Klärung einerseits der Haltereigenschaft im Zusammenhang mit einem die Liegenschaft betreffenden Pachtvertrag und andererseits, ob damals bestandene Zweifel an der Festigkeit und Elastizität des Stamms unter dem Gesichtspunkt des Gelingens des Entlastungsbeweises weiterreichende Untersuchungen erfordert hätten. Aus dieser Entscheidung ist für die Klägerin nichts zu gewinnen und es besteht zwischen dieser und der hier vorgenommenen rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts auch kein Widerspruch.
[10]3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11]4. Der Oberste Gerichtshof hat die Beantwortung der Revision nicht freigestellt, weshalb die Revisionsbeantwortung der Beklagten gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Für diese steht daher kein Kostenersatz zu (vgl RS0043690 [T6, T7]).