JudikaturOGH

3Ob19/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G * GmbH, *, vertreten durch Dr. Martin Leitner und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei F* AG, *, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen Herausgabe, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. November 2021, GZ 1 R 128/21g 16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrte die Herausgabe von Ausschreibungsunterlagen zu einem – nach Feststellung der rechtswidrigen Durchführung und Aufhebung des mit der Bestbieterin abgeschlossenen Rahmenvertrags durch das Bundesverwaltungsgericht – bereits beendeten Vergabe-verfahren. Die Klägerin beteiligte sich weder an diesem Vergabeverfahren noch an der Neuausschreibung. Sie stützt ihren Herausgabeanspruch einerseits auf §§ 89, 260 BVergG 2018 und andererseits auf einen Schadenersatz-anspruch aus culpa in contrahendo, den sie mit einem Informationsdefizit „wegen verunmöglichter Einblicke in den Markt“ be gründe t.

[2] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Klägerin zeigt in ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[5] 1.1 Nach § 89 Abs 2, § 260 Abs 2 BVergG 2018 muss die Verfügbarkeit von elektronisch zur Verfügung gestellten Ausschreibungsunterlagen zumindest bis zum Ablauf der Teilnahmeantrags- bzw Angebotsfrist gewährleistet sein.

[6] 1.2 Aufgrund des eindeutigen Wortlauts regeln diese Bestimmungen den Endzeitpunkt, bis zu dem die Ausschreibungsunterlagen jedenfalls verfügbar (abrufbar) bleiben müssen. Die Bereitstellung über diesen Zeitpunkt hinaus ist zwar zulässig, aber nicht verpflichtend (vgl auch C. Hagen in Schramm/Aicher/Fruhmann , BVergG 3 § 89 Rz 26). Dementsprechend wird in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 69 BlgNR 26. GP 114) ausgeführt, das § 89 Abs 2 BVergG 2018 den Zeitpunkt regelt, bis zu dem die Ausschreibungsunterlagen verfügbar sein müssen. Beim Verhandlungsverfahren ist das der Ablauf der Angebotsfrist für das endgültige Angebot.

[7] 1.3 Dieses Ergebnis entspricht auch dem Z weck der in Rede stehenden Regelungen. Nach den bereits zitierten Gesetzesmaterialien enthalten sie den Grundsatz, dass die Ausschreibungsunterlagen (das sind alle für die Durchführung des Vergabeverfahrens erforderlichen oder zweckdienlichen Unterlagen) auf elektronischem Weg kostenlos, direkt, uneingeschränkt und vollständig zur Verfügung zu stellen sind (RV 69 BlgNR 26. GP 114). Damit wird die elektronische Durchführung der Vergabeverfahren angeordnet. Demnach sollen alle Stufen eines Vergabeverfahrens, von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung, in elektronischer Form abgewickelt werden ( C. Hagen in Schramm/Aicher/Fruhmann , BVergG 3 § 89 Rz 1). Dies soll zur Effizienz und Transparenz der Vergabeverfahren beitragen. Bekanntmachungen sollen potentiellen Interessenten die Prüfung ermöglichen, ob ein bestimmtes Vergabeverfahren für sie von Interesse ist und sie sich daran beteiligen wollen (vgl RV 69 BlgNR 26. GP 83).

[8] Diese Bestimmungen betreffen somit die Durchführung des Vergabeverfahrens und daher nur den Zeitraum bis zur Beendigung des konkreten Vergabeverfahrens.

[9] 1.4 Aus der Wendung „unrestricted and full direct access free of charge“ in der englischen Sprachfassung der zugrunde liegenden Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe folgt kein anderes Ergebnis. „Unrestricted“ bedeutet, dass die Abrufbarkeit nicht durch (technische) Zugangsmodalitäten beschränkt werden darf; eine zeitliche Komponente ist damit nicht verbunden.

[10] 1.5 Auch der von der Klägerin ins Treffen geführte unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz (siehe dazu 8 Ob 12/15w; 4 Ob 94/17b) führt im gegebenen Kontext zu keinen weitergehenden Ansprüchen , weil dieser Grundsatz ohnehin schon bei Ausarbeitung der Vergabe RL und insbesondere der Rechtsmittel RL 89/665/EWG berücksichtigt wurde und zum Ausdruck kommt. Die Klägerin kann selbst nicht nachvollziehbar begründen, inwieweit es für einen von ihr behaupteten konkreten unionalen Anspruch an „effektiven“ verfahrensrechtlichen Vorschriften mangeln soll.

[11] 1.6 Aus der Entscheidung zu 1 Ob 663/89 ist für die Klägerin schon deshalb nichts zu gewinnen, weil sie nicht Bieterin war und ihre Ansprüche nicht auf – bei rechtmäßiger Vorgangsweise – von ihr zu erbringende Leistungen stützt.

[12] 1.7 Ausgehend von dieser eindeutigen Rechtslage ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aus § 89 (bzw § 260) BVergG 2018 keine Verpflichtung abgeleitet werden könne, die Ausschreibungsunterlagen über den Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung hinaus zur Verfügung zu stellen, nicht korrekturbedürftig.

[13] 2.1 Was die von der Klägerin angezogene schadenersatzrechtliche Grundlage anbelangt, macht sie explizit keine der in der Spezialnorm des § 369 BVergG 2018 vorgesehenen Ersatzansprüche geltend (vgl dazu 7 Ob 219/19k; 1 Ob 226/20x). Vielmehr beruft sie sich (nur) auf den „weiten Schadensbegriff“ des ABGB, der auch das von ihr geltend gemachte „Informationsdefizit“ umfasse.

[14] 2.2 Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 1 Ob 226/20x bereits ausgesprochen, dass ein Anspruch auf Abgeltung des im „Verlust der Chance der Teilnahme an einem rechtskonformen Vergabeverfahren“ gelegenen Nachteils dem österreichischen Recht fremd ist, weil es sich dabei um kein selbständiges Rechtsgut handelt, das als solches einen Verkehrswert aufweist.

[15] Diese Beurteilung gilt umso mehr für ein reines Informationsinteresse am Marktgeschehen, das – ohne Bestehen einer Sondervorschrift – für sich allein keinen Vermögensnachteil begründet. Auf eine im Rahmen des Vergabeverfahrens bereits erworbene Rechtspostion kann sich die Klägerin schon mangels Beteiligung an diesem nicht stützen.

[16] 2.3 Im Übrigen müsste sich die Klägerin für die erfolgreiche Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs auf einen tauglichen Rechtsgrund stützen können.

[17] Zu der von ihr ins Treffen geführten culpa in contrahendo ist in der Rechtsprechung zwar anerkannt, dass vorvertragliche Sorgfaltspflichten auch im Vergabeverfahren auf das Verhältnis zwischen den Ausschreibenden und den Bietern anzuwenden ist (RS0013934). Die Klägerin war am Vergabeverfahren allerdings nicht als Bewerberin oder Bieterin beteiligt.

[18] Allgemein setzt die culpa in contrahendo zumindest die Aufnahme eines rechtsgeschäftlichen Kontakts zum Schädiger im Hinblick auf einen möglichen künftigen Vertragsabschluss voraus (vgl 8 ObA 10/14z; 7 Ob 157/12g). Derartiges macht die Klägerin aber nicht geltend.

[19] 2.4 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass für den schadenersatzrechtlichen Ausgleich des von der Klägerin pauschal behaupteten Informationsdefizits keine Anspruchsgrundlage zur Verfügung stehe, steht daher mit den dargelegten Grundsätzen im Einklang.

[20] 3. Insgesamt gelingt es der Klägerin mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.