7Ob154/16x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** S*****, vertreten durch Dr. Martin Alt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. R***** S*****, und 2. I***** S***** E***** M*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Michael Zerobin, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. Mai 2016, GZ 19 R 12/16z 33, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 26. November 2015, GZ 7 C 181/15f 27, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, den Beklagten binnen 14 Tagen die mit 460,40 EUR (darin 76,73 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger erhielt mit Übergabsvertrag vom 4. 7. 1997 von seinem Vater das Alleineigentum an einer bebauten Liegenschaft übertragen und räumte an dieser seinem Vater und seiner Mutter das Fruchtgenussrecht ein. Der Vater vermietete mit Mietvertrag vom 18. 10. 2005 die Liegenschaft an die Beklagten befristet auf 50 Jahre zu einem Pauschalmietzins von 100 EUR monatlich. Die Mutter des Klägers ist 2003, sein Vater ist 2012 verstorben.
Der Kläger begehrte von den Beklagten die Räumung der in seinem Eigentum stehenden Liegenschaft wegen titelloser Benützung, weil der Mietvertrag infolge Sittenwidrigkeit rechtsunwirksam sei.
Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das Räumungsbegehren abwies. Der Mietvertrag sei nicht sittenwidrig, weil er nach dem Erlöschen des Fruchtgenussrechts in sinngemäßer Anwendung des § 1120 ABGB aufgekündigt werden könne.
Das Berufungsgericht sprach über nachträglichen Auftrag aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle Judikatur zur Frage, ob ein Vertrag, mit dem eine sittenwidrige Schädigung Dritter beabsichtigt werde, auch dann sittenwidrig sei, wenn eine Schädigung aus rechtlichen Gründen unmöglich sei.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Die Streitteile gehen in ihren Rechtsmittelschriften mit dem Berufungsgericht übereinstimmend davon aus, dass der vom Vater (Fruchtnießer) mit den Beklagten abgeschlossene Bestandvertrag nicht dem Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes unterliegt. Diese selbstständige Rechtsfrage ist daher im Revisionsverfahren nicht strittig und folglich nicht mehr aufzugreifen (RIS Justiz RS0041570 [T8 und T12]).
2. Von einem Fruchtnießer abgeschlossene Bestandverträge erlöschen nicht mit dem Fruchtgenussrecht. Der Bestandnehmer muss aber in sinngemäßer Anwendung des § 1120 ABGB dem Eigentümer nach ordnungsgemäßer Aufkündigung weichen (RIS Justiz RS0011846). Der Einzelrechtsnachfolger ist an einen Kündigungsverzicht, den sein Vorgänger gegenüber dem Bestandnehmer ausgesprochen hat, nicht gebunden (RIS Justiz RS0014444 [T1]; RS0021133 [T10]).
3. In 3 Ob 66/06m (MietSlg 58/15 = RdW 2007/91) kam der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass ein vom Fruchtgenussberechtigten rechtsmissbräuchlich abgeschlossener Bestandvertrag, der zur fast gänzlichen Entwertung der Liegenschaft über mehrere Generationen führt, sittenwidrig ist, wenn dem Mieter der dadurch für den Liegenschaftseigentümer eintretende Schaden zumindest erkennbar war. Dieser Entscheidung lag ein in tatsächlicher Hinsicht ähnlicher Sachverhalt (Kündigungsverzicht auf 100 Jahre; Miete unter 10 % des ortsüblichen Mietzinses), aber ein dem Mietrechtsgesetz unterliegender Bestandvertrag zugrunde. Der Oberste Gerichtshof leitete dort die Sittenwidrigkeit aus dem geringen Mietzins und dem Kündigungsverzicht „unter dem Gesichtspunkt der Bindung der Rechtsnachfolger auf Vermieterseite“ ab, weil „wohl (...) aus wichtigem Grund auch bei Unkündbarkeit gekündigt werden (kann), dies aber – wenn der Mietvertrag dem MRG oder doch zumindest den Kündigungsbestimmungen des MRG unterliegt – nur aus Gründen, die in der Sphäre des Bestandnehmers liegen (…). Dies bedeutet hier eine erhebliche Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten“.
4. Das Berufungsgericht hat im gegebenen Einzelfall in Übereinstimmung mit den aus 3 Ob 66/06m ableitbaren Grundsätzen zutreffend erkannt, dass der hier vom Fruchtnießer abgeschlossene Bestandvertrag gerade nicht zu der in der Vorentscheidung die Sittenwidrigkeit begründenden, „fast gänzlichen Entwertung der Liegenschaft über mehrere Generationen“ aufgrund einer „überlangen Bindung infolge Kündigungsverzichts im Zusammenhang mit der nur einen Anerkennungszins darstellenden Mietzinshöhe“ führt. Vielmehr wandelt sich das nicht dem Mietrechtsgesetz unterliegende Bestandverhältnis nach Ende des Fruchtgenusses in ein solches von unbestimmter Dauer mit gesetzlichen Kündigungsfristen (RIS Justiz RS0021133). An den Kündigungsverzicht ist der Kläger als Einzelrechtsnachfolger nicht gebunden (RIS Justiz RS0021133 [T10]). Der niedrige Mietzins während der Dauer der Kündigungsfrist rechtfertigt allein – entgegen der Ansicht des Klägers – die Annahme der Sittenwidrigkeit nicht. Die Abweisung der auf titellose Benützung gestützten Räumungsklage durch das Berufungsgericht erfolgt somit im Einklang mit vorliegender Rechtsprechung.
5.1. Der Kläger vermag in seiner Revision insgesamt keine die genannten und vom Berufungsgericht beachteten Judikaturgrundsätze in Frage stellenden Argumente vorzutragen und daher auch keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und daher zurückzuweisen.
5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.