JudikaturJustizBsw8772/10

Bsw8772/10 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
19. September 2013

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Von Hannover gg. Deutschland (Nr. 3), Urteil vom 19.9.2013, Bsw. 8772/10.

Spruch

Art. 8 EMRK - Veröffentlichung eines Urlaubsfotos der von Hannovers.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Am 20.3.2002 erschien in der Zeitschrift 7 Tage ein Foto der Bf. mit ihrem Mann im Urlaub an einem nicht genau erkennbaren Ort. Begleitet wurde das Foto von dem Kommentar »Urlaubsstimmung: Caroline mit ihrem Mann«. Auf dieser und der folgenden Seite der Zeitschrift waren mehrere Fotos der Ferienvilla der Familie von Hannover auf einer kenianischen Insel abgebildet. Diese Fotos waren von einem Artikel begleitet, dessen Titel lautete »In Prinzessin Carolines Bett schlafen? Kein unerfüllbarer Wunsch! Caroline und Ernst August vermieten ihre Traum-Villa«. Der Artikel berichtete über eine Tendenz unter Hollywoodstars und Adelsangehörigen, ihre Ferienhäuser zu vermieten. Er beschrieb sodann die Villa der Familie von Hannover und enthüllte Details wie deren Einrichtung, Mietpreis und die verschiedenen Arten, einen Urlaubstag zu verbringen. In einem kleinen Kasten in der Mitte des Haupttextes standen in größeren Buchstaben die Sätze: »Auch die Reichen und Schönen sind sparsam. Viele vermieten ihre Villen an zahlende Gäste.«

Die Bf. klagte am 29.11.2004 beim Landgericht Hamburg auf Untersagung jeder neuerlichen Veröffentlichung des Fotos von ihr und ihrem Mann. Das Landgericht gab dem Antrag am 24.6.2005 statt, am 31.1.2006 annullierte das OLG Hamburg dieses Urteil jedoch mit Hinweis auf die Grundrechte der Presse.

Am 6.3.2007 hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts auf (VI ZR 52/06), da dieses sich nicht an sein »abgestuftes Schutzkonzept« gehalten habe. Er stellte insbesondere fest, dass der Bericht keinen Bezug zu einem zeitgeschichtlichen oder im Allgemeininteresse liegenden Ereignis hatte.

Das BVerfG hob das Urteil des BGH am 26.2.2008 auf und verwies die Sache an diesen zurück (1 BvR 1606/07). Die einfache Behauptung des BGH, wonach der Urlaub Prominenter zum Kernbereich von deren geschützter Privatsphäre gehören würde, wäre nicht ausreichend gewesen. Das strittige Foto würde es nicht erlauben, auf die Art und Weise zu schließen, wie die Bf. ihren Urlaub und ihre Freizeit verbrachte. Ein verstärktes Schutzbedürfnis ergebe sich nicht aus dem alleinigen Umstand, dass sich die Bf. auf Urlaub befand, sondern müsse sich auf konkrete Einzelheiten der untersuchten Situation stützen. Der Fall bedürfe daher einer neuerlichen Untersuchung im Lichte der verfassungsrechtlichen Regelungen.

Am 1.7.2008 wies der BGH die Revision der Bf. zurück (VI ZR 67/08). Er übernahm dabei den Gedankengang des BVerfG und legte detailliert dar, warum der das Foto begleitende Bericht dazu imstande war, eine Debatte von öffentlichem Interesse auszulösen. Daher konnte er mit diesem einen Bild der Bf. versehen werden. Das Foto als solches hätte zudem keinen eigenständigen Verletzungseffekt gehabt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung des BGH wurde vom BVerfG am 24.9.2009 (1 BvR 2678/08) nicht angenommen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. rügt eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens) durch die Weigerung der deutschen Zivilgerichte, jede neue Veröffentlichung des strittigen Fotos in der Zeitschrift 7 Tage zu untersagen.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK

Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In seinen Urteilen Axel Springer AG/D und Von Hannover/D (Nr. 2) hat der GH die einschlägigen Kriterien für die Abwägung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit zusammengefasst: der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Bekanntheit der betroffenen Person und der Gegenstand des Berichts, das frühere Verhalten der betroffenen Person, der Inhalt, die Form und die Auswirkungen der Publikation und hinsichtlich Fotos auch die Umstände ihrer Aufnahme.

Der GH erinnert zunächst daran, dass der BGH in Folge des Urteils Von Hannover/D (= NL 2004, 144) aus 2004 Änderungen zu seiner früheren Rechtsprechung vorgenommen hat. Er legte die Betonung auf die Frage, ob der strittige Bericht zu einer Debatte mit Sachgehalt beitrug und ob sein Inhalt über den einfachen Wunsch hinausging, die Neugier der Öffentlichkeit zu befriedigen. Das BVerfG hat diesen Ansatz bestätigt.

Was das Vorliegen einer Debatte von allgemeinem Interesse anbelangt, hat das BVerfG festgestellt, dass zwar das strittige Foto keine mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis verbundenen Informationen enthielt und daher nicht zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitrug, anderes aber für den Artikel galt, der über eine neue Tendenz unter Berühmtheiten berichtete, ihre Urlaubswohnsitze zu vermieten. Der GH wiederholt diesbezüglich, dass die Tatsache, dass der Informationswert eines Fotos im Lichte des Artikel beurteilt wird, den es begleitet und illustriert, keinen Anlass zu Kritik im Hinblick auf die Konvention gibt.

Soweit die Bf. sich auf das Risiko beruft, dass die Medien die richterlich festgelegten Bedingungen umgehen, indem sie irgendein zeitgeschichtliches Ereignis als Vorwand verwenden, um die Veröffentlichung von Fotos von ihr zu rechtfertigen, befindet der GH, dass es in erster Linie dem Richter obliegt, diese Frage in jedem konkreten Fall zu beurteilen. Das BVerfG und der BGH haben präzisiert, dass, wenn ein Artikel nur einen Vorwand darstellen würde, um das Foto einer der breiten Öffentlichkeit bekannten Person zu veröffentlichen, kein Beitrag zur Bildung der öffentlichen Meinung erfolge und es daher nicht angebracht wäre, das Interesse an der Veröffentlichung über jenes am Schutz der Persönlichkeit zu stellen.

Unter Berücksichtigung der Aufgabe des GH zu einer europäischen Kontrolle ist festzustellen, dass nur schwerwiegende Gründe ihn vor diesem Hintergrund dazu bringen könnten, seine Einschätzung an Stelle jener des nationalen Richters zu setzen – so etwa, wenn sich die Verbindung zwischen dem strittigen Foto und dem es begleitenden Text als völlig künstlich und willkürlich erweisen sollte.

Soweit die Bf. auf die Gefahr verweist, dass die nationalen Richter hinsichtlich des Vorliegens einer Debatte von allgemeinem Interesse nicht ausreichend streng wären, haben das BVerfG und in der Folge der BGH betont, dass die Absicht des Berichts war, eine Tendenz unter berühmten Personen darzustellen, ihre Urlaubswohnsitze zu vermieten, und dass dieses Verhalten zu einem Nachdenken auf Seiten der Leser Anlass geben und so zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitragen konnte. Das BVerfG hat unterstrichen, dass die beiden Sätze, die in der Mitte der Seite in größeren Buchstaben geschrieben standen, dies bestätigten. Der GH bemerkt zudem, dass der Text eigentlich keine Einzelheiten aus dem Privatleben der Bf. oder ihres Mannes liefert, sondern sich im Wesentlichen den praktischen Aspekten betreffend die Villa und ihrer Vermietung widmet.

Nach Ansicht des GH kann man daher nicht behaupten, dass es sich bei dem Artikel lediglich um einen Vorwand handelte, um das strittige Foto veröffentlichen zu können, und dass es zwischen den beiden nur eine rein künstliche Verbindung geben würde. Die Einordnung des Gegenstands des Artikels als Ereignis von allgemeinem Interesse durch das BVerfG und dann durch den BGH kann daher nicht als unvernünftig angesehen werden. Der GH kann daher akzeptieren, dass das strittige Foto im Zusammenhang mit dem Artikel zumindest in einem gewissen Maß einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse gebracht hat.

Was die Bekanntheit der Bf. anbelangt, haben die deutschen Gerichte befunden, dass sie eine Person des öffentlichen Lebens wäre. Der GH erinnert daran, dass er mehrfach festgestellt hat, dass die Bf. und ihr Ehemann als Personen des öffentlichen Lebens angesehen werden müssen, die nicht auf gleiche Weise Anspruch auf einen Schutz ihres Rechts auf Privatleben erheben können wie der Öffentlichkeit unbekannte Privatpersonen.

Zum früheren Verhalten der Bf. ist festzustellen, dass sie insbesondere durch die Erhebung gerichtlicher Klagen gezeigt hat, dass sie nicht wünschte, dass Fotos über ihr Privatleben in der Presse erschienen. Der GH betont im vorliegenden Fall, dass die deutschen Gerichte sich nicht explizit mit diesem Punkt befasst haben. Es geht dennoch aus den Schlussfolgerungen des BGH hervor, dass dieser diesen Umstand im Wesentlichen berücksichtigt hat, als er den Grad der Bekanntheit der Bf. und die Umstände der Aufnahme des Fotos beurteilte. Der GH schließt daraus, dass dieses Element bei der Abwägung der einander entgegenstehenden Interessen ausreichend berücksichtigt wurde.

Der GH bemerkt auch, dass das BVerfG das Foto als kleinformatig qualifiziert hat. Der BGH hat befunden, dass das Foto als solches keinen eigenständigen Verletzungseffekt gehabt habe. Was letztlich die Umstände der Aufnahme des Fotos anbelangt, beobachtet der GH, dass der BGH in seinem zweiten Urteil festgestellt hat, dass die Bf. nicht behauptet hatte, dass das Foto heimlich oder auf vergleichbare Weise aufgenommen worden war und auch keine anderen Argumente vorgebracht hatte, welche die Veröffentlichung nach dem abgestuften Schutzkonzept in Ermangelung einer Zustimmung der Bf. unzulässig machten. Der GH schließt daraus, dass diese Elemente keine vertiefende Untersuchung erforderten, da es keine einschlägigen Hinweise von Seiten der Bf. gab und auch besondere Umstände fehlten, die ein Verbot der Veröffentlichung des Fotos rechtfertigten.

Der GH stellt fest, dass die nationalen Gerichte die wesentlichen Kriterien zur Abwägung der unterschiedlichen Interessen ebenso wie die Rechtsprechung des GH berücksichtigt haben.

Unter diesen Bedingungen und angesichts des Ermessensspielraums, über den die nationalen Gerichte gegenständlich verfügen, wenn sie die gegenläufigen Interessen abwägen, kommt der GH zum Schluss, dass die nationalen Gerichte ihre positiven Verpflichtungen im Hinblick auf die Bf. unter dem Titel des Art. 8 EMRK nicht verletzt haben. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NL 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278

Axel Springer AG/D v. 7.2.2012 (GK) = NL 2012, 42 = EuGRZ 2012, 294

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 19.9.2013, Bsw. 8772/10 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2013, 322) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/13_5/Von Hannover.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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