JudikaturJustizBsw76809/01

Bsw76809/01 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 2004

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Baumann gegen Österreich, Urteil vom 7.10.2004, Bsw. 76809/01.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 234 AußStrG - Fairness einer Kostenentscheidung nach § 234 AußStrG.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: EUR 9.000,- für immateriellen Schaden, EUR 5.906,91 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. bzw. ihr ehemaliger Ehemann A. beantragten im Dezember 1987 beim BG Döbling die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse. Der Beschluss des BG Döbling vom 13.3.1989 über die Vermögensaufteilung wurde aufgrund der von der Bf. und ihrem Exmann erhobenen Rekurse am 31.8.1989 vom Wiener LG für Zivilrechtssachen aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das BG zurückverwiesen.

Am 24.7.1991 entschied das BG Döbling neuerlich über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens. Auch dieser Beschluss wurde vom LG für Zivilrechtssachen aufgehoben und die Sache wiederum an das BG zurückverwiesen.

Am 23.10.1992 traf das BG Döbling wieder eine Entscheidung über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens. Die Entscheidung über den von der Bf. geltend gemachten Anspruch auf Abgeltung ihrer Mitwirkung im Erwerb ihres Ehegatten behielt sich das Gericht vor, da noch ein Steuerprüfungsverfahren anhängig war. Auch dieser Beschluss wurde vom LG für Zivilrechtssachen aufgehoben und die Sache zum dritten Mal an das BG Döbling zurückverwiesen.

Im Juli 1994 brachte die Bf. einen Fristsetzungsantrag nach § 91 Geschäftsordnungsgesetz (GOG) ein. Am 12.8.1994 fällte das BG wiederum einen Beschluss über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens. Das Verfahren über die Abgeltung ihrer Mitwirkung im Erwerb des Ehegatten wurde neuerlich unterbrochen. Am 13.2.1995 stellte die Bf. einen weiteren Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG. Am 22.2.1995 bestätigte das LG für Zivilrechtssachen den Beschluss des BG vom 12.8.1994 teilweise. Dem Rekurs wurde nur hinsichtlich der Verzinsung der Ausgleichszahlung stattgegeben, im Übrigen wurde er abgewiesen.

Mit der Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses des Exmannes der Bf. gegen den Beschluss des LG vom 22.2.1995 durch den OGH am 20.9.1995 wurde das Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens rechtskräftig abgeschlossen. Das Verfahren über die Abgeltung der Mitwirkung der Bf. am Erwerb ihres Ehegatten blieb weiter unterbrochen, da das Finanzverfahren noch nicht abgeschlossen war.

Im August 1998 wurde das Finanzverfahren rechtskräftig abgeschlossen. Im September 1998 beantragte die Bf. daher die Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens. Am 15.5.2000 sprach das BG Döbling der Bf. für ihre Mitwirkung am Erwerb ihres Exmannes eine Abgeltung von ATS 300.000,-- zu. Bezüglich der Kosten entschied es, dass jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen habe. Dem dagegen erhobenen Rekurs gab das LG für Zivilrechtssachen am 8.11.2000 teilweise statt und sprach der Bf. eine Abgeltung von ATS 550.000,-- zu. Die Entscheidung über die Kostentragung wurde hingegen bestätigt. Das LG stellte fest, dass bei einer solchen Kostenentscheidung nach § 234 AußStrG der Ausgang des Verfahrens, die finanzielle Situation der Parteien und ihr Verhalten im Verfahren zu berücksichtigen sei. Da im vorliegenden Fall keine Partei überwiegend erfolgreich gewesen sei, beide Parteien in etwa das gleiche Einkommen hätten und keine Partei besondere Anstrengungen zur Beschleunigung des Verfahrens unternommen habe, sei die getroffene Kostenentscheidung verhältnismäßig. Dagegen erhob der Exmann der Bf. Rekurs, der am 2.5.2001 vom LG abgelehnt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Sie bringt vor, das Verfahren habe unverhältnismäßig lange gedauert. Außerdem bemängelt sie die Kostenentscheidung und das Fehlen eines weiteren Rechtsmittels gegen diese.

Zur behaupteten überlangen Verfahrensdauer:

Der GH teilt die Ansicht der Bf., dass die finanzielle Natur des Anspruchs das Verfahren nicht besonders komplex machte. Die Bf. verursachte keine nennenswerten Verzögerungen, sondern beantragte vielmehr wiederholt eine Beschleunigung des Verfahrens. Beide Parteien erhoben zahlreiche Rechtsmittel, die zum überwiegenden Teil erfolgreich waren. Die Sache wurde dreimal an die erste Instanz zurückverwiesen und auch die Unterbrechung des Verfahrens bis zum Abschluss des Finanzverfahrens trug wesentlich zur Verfahrensdauer bei.

Art. 6 (1) EMRK verpflichtet die Vertragstaaten dazu, ihr Rechtssystem so zu organisieren, dass die Gerichte in der Lage sind, allen Anforderungen des Art. 6 (1) EMRK zu entsprechen. Der GH ist daher der Ansicht, dass eine Gesamtverfahrensdauer von 13 Jahren und fünf Monaten dem Erfordernis der „angemessenen Frist" des Art. 6 (1) EMRK nicht entspricht. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Unfairness der Kostenentscheidung:

Art. 6 (1) EMRK ist dann auf ein Verfahren über Verfahrenskosten anwendbar, wenn die strittigen Kosten in einem Verfahren angefallen sind, bei dem es um die Klärung zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen ging. Da die Kostenentscheidung im vorliegenden Fall eindeutig in Zusammenhang mit dem zivilrechtlichen Anspruch steht, um den es in dem Verfahren ging, ist Art. 6 (1) EMRK auf die Kostenentscheidung anwendbar.

Es ist nicht Aufgabe des GH, als Gericht vierter Instanz zu entscheiden. Es obliegt den nationalen Gerichten, materielles und Verfahrensrecht zu interpretieren und anzuwenden. Die in § 234 AußStrG ihren Ausdruck findende Entscheidung des Gesetzgebers, der die Entscheidung über den Kostenersatz dem billigen Ermessen des Gerichts überlässt, das dabei den Ausgang des Verfahrens, die finanzielle Lage der Parteien und ihr Verhalten im Verfahren zu berücksichtigen hat, erscheint weder willkürlich noch unvernünftig. Es deutet auch nichts darauf hin, dass das Verfahren über den Kostenersatz oder die von den Gerichten getroffenen Entscheidungen nicht dem von Art. 6 (1) EMRK geforderten Grundsatz des fairen Verfahrens entsprochen hätten.

Was die fehlende weitere Beschwerdemöglichkeit gegen die Kostenentscheidung betrifft, ruft der GH in Erinnerung, dass die EMRK in Zivilrechtsfällen keinen Instanzenzug garantiert. Keine Bestimmung der EMRK räumt einer Person das Recht ein, ein Höchstgericht als dritte Instanz anzurufen. Dieser Teil der Bsw. ist daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

EUR 9.000,-- für immateriellen Schaden, EUR 5.906,91 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Vidal/B v. 22.4.1992 (= NL 1992/3, 15 = EuGRZ 1992, 440 = ÖJZ 1992,

801).

Pélissier Sassi/F v 25.3.1999 (= NL 1999, 66 = EuGRZ 1999, 323 =

ÖJZ 1999, 905).

Beer/A v. 6.2.2001 (= NL 2001, 25).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 7.10.2004, Bsw. 76809/01, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2004, 234) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/04_5/Baumann.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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