JudikaturJustizBsw40057/98

Bsw40057/98 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
04. März 2003

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer II, Beschwerdesache Des Fours Walderode gegen Tschechien, Zulässigkeitsentscheidung vom 4.3.2003, Bsw. 40057/98.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 EMRK, Art. 1 1. ZP EMRK - Beantragte Rückübereignung von unter den Benes-Dekreten konfisziertem Eigentum. Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf., Dr. Karel Des Fours Walderode, war sowohl tschechischer als auch österreichischer Staatsangehöriger. Er verstarb im Jahr 2000. Seine Witwe erklärte, die Bsw. fortsetzen zu wollen. 1945 bzw. 1948 wurde der im Eigentum der Stiefbrüder bzw. der Stiefmutter des Bf. befindliche Grundbesitz in der ehemaligen Tschechoslowakei gemäß den Benes-Dekreten 12/1945 bzw. 108/45 mit der Begründung konfisziert, dass beide Söhne in der SS gedient hätten und die Mutter Nationalsozialistin gewesen wäre. Alle drei waren deutsche Staatsangehörige und hatten niemals die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besessen. Der Vater des Bf. hatte einen Teil des Grundbesitzes bereits vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs veräußert. 1949 verließ der Bf. die Tschechoslowakei, was den Verlust seiner tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft mit sich brachte. 1991 kehrte er zurück, worauf ihm die tschechische Staatsbürgerschaft am 25.8.1992 erneut verliehen wurde. Bereits vorher hatte der Bf. einen Antrag auf Rückgabe der unter dem Benes-Dekret 12/1945 konfiszierten Liegenschaften unter Berufung auf das Gesetz 229/1991 betreffend die Rückgabe von bestimmten landwirtschaftlichen Gütern und sonstigem Eigentum mit der Behauptung eingebracht, dass er die in Frage stehenden Güter geerbt habe. Der Antrag wurde am 6.2.1995 von der zuständigen Landbehörde mit der Begründung abgewiesen, dass die Stiefmutter und die Stiefbrüder des Bf. sich während der deutschen Besetzung dem tschechoslowakischen Staat gegenüber nicht loyal verhalten und nach dem zweiten Weltkrieg auch nicht die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten hätten. Der Bf. könne gemäß § 2 (1) Gesetz 243/1992 (Anm.: Diese lex specialis (gegenüber dem Gesetz 229/1991) sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Rückerstattung von Eigentum vor, das unter den Benes-Dekreten 12/1945 und 108/45 enteignet wurde.) kein Eigentum beanspruchen, weil seine Stiefmutter und Stiefbrüder als die ursprünglichen Eigentümer nicht die Voraussetzungen für eine Rückgabe erfüllt hätten.

Der Bf. erhob dagegen ein Rechtsmittel beim Stadtgericht in Prag: Das Benes-Dekret 12/1945 habe nicht rechtswirksam auf seine Stiefbrüder angewendet werden können, da beide zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Dekrets (21.6.1945) bereits tot gewesen seien. Ferner sei zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung für die Tschechoslowakei deutsches Recht zur Anwendung gelangt. Gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sei das Eigentum seiner beiden Stiefbrüder nach deren Ableben als ruhender Nachlass an ihn gefallen, nach dem Tod seiner Stiefmutter sei schließlich das gesamte Eigentum der Familie auf ihn übergegangen.

Das Stadtgericht bestätigte die Entscheidung der Landbehörde. Es stellte mit dem Hinweis auf das Präsidialdekret 11/1944 über die Wiederherstellung der Rechtsordnung (Anm.: Dieses sah vor, dass Rechtsbestimmungen, die während der deutschen Besetzung in Kraft getreten waren, nicht Teil der tschechoslowakischen Rechtsordnung wurden.) und dem Benes-Dekret 33/1945 (Anm.: Mit diesem Dekret wurden die von der deutschen Besatzungsmacht getroffenen Anordnungen über den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft durch tschechoslowakische Staatsangehörige deutscher Nationalität ausdrücklich als gültig anerkannt.) fest, dass Louis Des Fours Walderode, der 1992 rückwirkend mit 30.6.1944 für tot erklärt wurde, und Maximilian Des Fours Walderode, der am 16.5.1945 in Josefodol (frühere Tschechoslowakei) gestorben war, zum Zeitpunkt ihres Todes deutsche Staatsangehörige waren. Das Eigentum von Louis und Maximilian Des Fours Walderode sei zwar erst nach ihrem Ableben konfisziert worden, sie wären, rein begrifflich, jedoch noch immer Eigentümer ihrer Güter gewesen, da es zu keinem Eigentumsübergang im Wege der Erbschaft gekommen war. Der Antrag des Bf. auf Rückgabe des Eigentums falle somit außerhalb des Anwendungsbereichs des Gesetzes 243/1992. Der Bf. rief daraufhin das Verfassungsgericht an und beantragte die Aufhebung von § 2 (2) Gesetz 30/1996 (Anm.: Danach kann jedermann, der die Voraussetzungen gemäß § 2 (1) des Gesetzes 243/1992 erfüllt, die Rückgabe seines Eigentums beantragen, wenn er mit Stichtag 31.1.1996 tschechischer Staatsbürger war, die tschechische Staatsbürgerschaft ua. gemäß Benes-Dekret 33/1945 erworben und diese nicht vor dem 1.1.1990 verloren hatte.) als verfassungswidrig. Mit Erkenntnis vom 5.6.1997 wurde die Bsw. als unbegründet abgewiesen:

Mit Gesetz 195/1946 sei die Anwendbarkeit von während der deutschen Besetzung auf tschechischem Gebiet in Kraft getretener Rechtsbestimmungen für ungültig erklärt worden. Was die behauptete Geltung der deutschen Rechtsordnung angehe, sei festzuhalten, dass das Sudetenland nach allgemeinem Völkerrecht nie aufgehört habe, Bestandteil tschechoslowakischen Territoriums zu sein, sodass auch alle dort getätigten Rechtsbeziehungen von der tschechischen Rechtsordnung erfasst gewesen seien. Der Bf. habe demnach das Eigentum an den fraglichen Liegenschaften nie erlangt. Bereits 1995 war von den deutschen Behörden schriftlich bestätigt worden, dass der Bf. Universalerbe des Vermögens seiner Stiefbrüder sei und dass beide niemals in der SS gedient hätten.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet Verletzungen von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Ver­fahren durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht innerhalb angemessener Frist), Art. 1 1.ZP EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) iVm. Art. 6

(1) EMRK und Art. 1 1.ZP EMRK.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:

Im vorliegenden Fall stellten die Behörden unter Heranziehung der Gesetze 229/1991 und 243/1992 fest, dass ein Teil des gegenständlichen Vermögens vom Staat ex lege, nämlich unter dem Benes-Dekret 12/1945, konfisziert und der übrige Teil des Grundbesitzes vom Vater des Bf. vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs veräußert worden war. Sie kamen nach gründlicher Prüfung aller zur Verfügung stehenden Beweise zu dem Ergebnis, dass das Benes-Dekret 12/1945 korrekt auf die Stiefmutter und die Stiefbrüder des Bf. angewendet wurde. Die Behörden stellten – in Zitierung des Gesetzes 195/1946 – ebenfalls fest, dass der Bf. das Eigentum an den Liegenschaften seiner verstorbenen Stiefbrüder nach damals geltendem tschechischen Recht nicht erwerben hatte können, da dies die Erhebung eines entsprechenden Antrags in einem von Amts wegen einzuleitenden Erbschaftsverfahren vorausgesetzt hätte.

Die Ansprüche des Bf. wurden von den nationalen Gerichten im Rahmen eines öffentlichen Verfahrens geprüft, worin ihm ausreichend Gelegenheit eingeräumt wurde, seinen Standpunkt zu präsentieren. Was schließlich die Behauptung des Bf. anlangt, die Gerichte hätten die vorhandenen Beweise nicht entsprechend gewürdigt bzw. sein eigenes Beweisvorbringen nicht beachtet, ist festzuhalten, dass Art. 6 EMRK keinerlei Vorschriften über die Zulässigkeit oder die Bewertung von Beweisen festlegt, dies ist vielmehr der innerstaatlichen Gesetzgebung bzw. den nationalen Gerichten vorbehalten. Es liegen somit keine Anhaltspunkte vor, dass die Beweisführung bzw. Beweiswürdigung durch die Gerichte unfair oder willkürlich gewesen wäre. Was die gerügte überlange Verfahrensdauer anlangt, ist festzuhalten, dass die Dauer im Ausmaß von vier Jahren, zehn Monaten und 22 Tagen angesichts der Komplexität des Verfahrens nicht unangemessen war.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1.ZP EMRK:

Der GH verweist darauf, dass der Familie des Bf. ihr Eigentum lange vor dem 18.3.1992, dem Tag des Inkrafttretens der EMRK in Bezug auf Tschechien, entzogen wurde. Für eine fortgesetzte Verletzung der Konvention, die der tschechischen Republik zugerechnet werden könnte, finden sich keine Anhaltspunkte. Die Umstände, unter denen die Familie des Bf. ihr Eigentum verloren hat, sind daher von der Zuständigkeit des GH ratione temporis ausgenommen.

Im vorliegenden Fall stellten die Behörden fest, dass die gegenständlichen Liegenschaften weder im Besitz noch im Eigentum des Bf. gestanden waren. Sie kamen zu dem – im Übrigen ausführlich begründeten – Ergebnis, dass das Eigentum auch in seiner Eigenschaft als ruhender Nachlass unter dem Benes-Dekret Nr. 12/1945 konfisziert werden konnte und auch tatsächlich wurde. Unter diesen Umständen ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei den Ansprüchen des Bf. um das Bestehen von Eigentum iSv. Art. 1 1.ZP EMRK handelte oder dass dieser in legitimer Weise darauf vertrauen konnte, dass seine Eigentumsansprüche im innerstaatlichen Verfahren anerkannt bzw. durchgesetzt würden. Dieser Aspekt liegt somit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des GH ratione materiae. (Anm.: Vgl. die ZE des GH v. 10.7.2002 in den Fällen Gratzinger Gratzingerova/CZ, Bsw. 39.794/98, und Polacek Polackova/CZ, Bsw. 38.645/97.)

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 6 EMRK und Art. 1 1.ZP EMRK:

Der Bf. behauptet, er sei als ehemaliger deutscher Staatsangehöriger, weil er die deutsche Sprache spreche und 1949 das Land verlassen habe, diskriminiert worden.

Für diese Behauptung konnte kein Nachweis gefunden werden. Die Tatsache, dass der Antrag des Bf. auf Rückgabe seines Eigentums abgewiesen wurde, stellt für sich keine Verletzung von Art. 14 EMRK dar.

Was die behauptete diskriminierende Natur der tschechischen Restitutionsgesetze angeht, ist zu sagen, dass Art. 6 EMRK keinerlei Vorgaben enthält, welchen Inhalt zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im jeweiligen materiellen Recht der Konventionsstaaten haben sollen. Schließlich gewährt auch Art. 1 1.ZP EMRK kein Recht auf den Erwerb von Eigentum. Dieser Beschwerdepunkt liegt ebenfalls außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des GH ratione materiae.

Die Bsw. ist somit insgesamt für unzulässig zu erklären (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Fürst Hans Adam II/D v. 12.7.2001 (= NL 2001, 157 = EuGRZ 2001, 466 = ÖJZ 2002, 347).

Anm.: Vgl. die Sachentscheidungen des UN-Menschenrechtsausschusses v.

30.10.2001, Des Fours Walderode/CZ, Bsw. Nr. 747/1997 (= NL 2001, 267

= EuGRZ 2002, 127) sowie v. 25.10.2002, Pezoldova/CZ, Bsw. Nr.

757/1997 (= NL 2003, 51).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 4.3.2003, Bsw. 40057/98, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2003, 67) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/03_2/Walderode.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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