JudikaturJustizBsw25878/94

Bsw25878/94 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
08. Februar 2000

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Cooke gegen Österreich, Urteil vom 8.2.2000, Bsw. 25878/94.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, Art. 25 Abs. 1 EMRK, Art. 34 EMRK, § 296 Abs. 3 StPO - Persönliche Teilnahme an einer Verhandlung vor dem OGH.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK iVm. Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 25 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 34 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: GBP 1.000,- für immateriellen Schaden, GBP 12.000,- für Kosten und Auslagen abzüglich der Kosten, die durch die Verfahrenshilfe beglichen wurden (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf., ein brit. Staatsangehöriger, wurde am 17.11.1993 vom LG Innsbruck wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob der Amtsverteidiger des Bf. Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Der Staatsanwalt legte gegen die Höhe der Strafe Berufung ein. Als verhafteter Angeklagter wurde der Bf. zur Verhandlung vor dem OGH nicht geladen, da er dies nicht beantragt hatte und der OGH dies im Interesse der Rechtspflege gemäß § 296 (3) StPO für nicht geboten erachtet hatte. Am 17.2.1994 hielt der OGH eine Verhandlung zur Berufung wie auch zur Nichtigkeitsbeschwerde ab. Der Bf. war vor dem OGH durch einen neuen Amtsverteidiger vertreten. Beide Rechtsmittel waren erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK und Art. 6 (3) (c) EMRK (hier: Recht auf Verteidigung in eigener Person oder durch einen Verteidiger), da ihm die Teilnahme an der Verhandlung vor dem OHG verwehrt wurde. Er behauptete überdies eine Verletzung von Art. 25 (1) EMRK (alt) bzw. Art. 34 EMRK (Recht auf Individualbeschwerde). Die persönliche Anwesenheit des Bf. bei einer Verhandlung über die Berufung bzw. Nichtigkeitsbeschwerde hat nicht dieselbe Bedeutung wie in der Hauptverhandlung 1. Instanz. Sogar wenn ein Rechtsmittelgericht volle Jurisdikation zur Überprüfung sowohl von Tatsachen als auch von Rechtsfragen hat, verlangt Art. 6 EMRK nicht in allen Fällen ein Recht auf öffentliche Verhandlung bzw. auf persönliche Anwesenheit. Bei der Prüfung dieser Frage müssen ua. die besonderen Umstände des betreffenden Verfahrens und die Art und Weise berücksichtigt werden, wie die Interessen der Verteidigung va. im Hinblick auf die von der Berufungsinstanz zu entscheidenden Fragen sowie ihre Bedeutung für den Rechtsmittelwerber geltend gemacht und geschützt worden sind. Im vorliegenden Fall betraf der Gerichtstag vor dem OGH sowohl Berufung wie auch Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil. Beide Aspekte werden getrennt geprüft.

A.) Anwesenheit bei der Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde:

Der OHG ist bei der Behandlung von Nichtigkeitsbeschwerden in erster Linie zur Prüfung von Rechtsfragen berufen, die sich bezüglich der Durchführung der Hauptverhandlung und anderer Fragen ergeben. Weder Art. 6 (1) EMRK noch Art. 6 (3) (c) EMRK erfordern die Anwesenheit des von einem Rechtsanwalt vertretenen Bf.

Es lagen keine besonderen Umstände für die Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit des Bf. vor, va. gab es keinen Hinweis darauf, dass der – zwar kurz vor der Verhandlung neu ernannte – Amtsverteidiger die Verteidigung des Bf. nicht wirksam wahrgenommen hätte. Insoweit die Nichtigkeitsbeschwerde betroffen war, stellte die Abwesenheit des Bf. bei der Verhandlung vor dem OGH keine Verletzung von Art. 6 EMRK dar.

B.) Anwesenheit bei der Verhandlung über die Berufung:

Der Amtsverteidiger hatte die Vorführung des Bf. gemäß § 296 (3) StPO nie beantragt. Jedoch sieht diese Bestimmung sehr wohl vor, dass ein verhafteter Angeklagter dann vorzuführen ist, wenn dies im Interesse der Rechtspflege geboten erscheint. Da der Bf. erst seit kurzem durch einen neuen Amtsverteidiger vertreten war und er selbst wünschte, der Verhandlung „als Beobachter" beizuwohnen, wäre der OGH in diesem Fall zu besonderer Sorgfalt verpflichtet gewesen. Unter Berücksichtigung dessen, was für den Bf. auf dem Spiel stand, wäre der belangte Staat verpflichtet gewesen, ihm die persönliche Anwesenheit zu ermöglichen. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK iVm. Art. 6 (3) (c) EMRK (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 25 (1) EMRK (alt) bzw. Art. 34

EMRK:

Es konnte nicht nachgewiesen werden, inwiefern der Bf. in der wirksamen Ausübung seines Recht auf Individualbeschwerde behindert worden wäre. Keine Verletzung von Art. 25 (1) EMRK (alt) bzw. Art. 34 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

GBP 1.000,-- für immateriellen Schaden, GBP 12.000,-- für Kosten und Auslagen abzüglich der Kosten, die durch die Verfahrenshilfe beglichen wurden (einstimmig).

Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Fälle Kremzow/A, Urteil v. 21.9.1993, A/268-B (= NL 93/5/13 = EuGRZ 1995, 537 = ÖJZ 1994, 210).

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 20.5.1998 eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK iVm. Art. 6 (3) (c) EMRK festgestellt (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 8.2.2000, Bsw. 25878/94, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2000, 26) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/00_1/Cooke.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.