JudikaturJustiz9ObA65/16y

9ObA65/16y – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Matthias Schachner in der Rechtssache der klagenden Partei T***** K*****, vertreten durch die Dr. Klaus Hirtler Rechtsanwalt GmbH in Leoben, gegen die beklagten Parteien 1. Fachverband der Versicherungsunternehmen, *****, vertreten durch Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwalt in Mödling, 2. G***** E*****, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck/Mur, wegen 15.770 EUR und Feststellung (3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2016, GZ 7 Ra 75/15a 22, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Juni 2015, GZ 25 Cga 40/15m 9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 23. 7. 2013 ereignete sich in der Werkshalle der P***** GmbH ein Arbeitsunfall, bei dem der Zweitbeklagte mit einem Elektrogabelstapler beim Rückwärtsfahren gegen den Kläger stieß und dessen rechtes Bein überrollte. Dieser erlitt mehrfache Brüche. Im Revisionsverfahren ist unstrittig, dass der Schaden des Klägers daher durch einen Unfall von einem in § 1 Abs 2 lit a und b KFG 1967 angeführten Fahrzeug im geschlossenen Bereich zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen herbeigeführt wurde. Strittig ist hingegen die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG auf den erstbeklagten Fachverband der Versicherungsunternehmen.

In seiner auf den Ersatz von Schmerzengeld (ua) und die Feststellung der Haftung des Erstbeklagten für künftige Schäden, beschränkt auf die gesetzlichen Mindestversicherungssummen gemäß KHVG, gerichteten Klage brachte der Kläger vor, die Ausnahmebestimmung würde gegen Unions- und Verfassungsrecht verstoßen und sei daher nicht anzuwenden.

Der Erstbeklagte bestritt und beantragte unter Berufung auf § 6 Abs 3 Z 2 VOEG Klagsabweisung mangels Passivlegitimation. Das VOEG bezwecke den Schutz von Verkehrsopfern, sohin von Personen, die als Verkehrsteilnehmer im straßenverkehrsrechtlichen Sinn in einen Unfall verwickelt seien. Die Einbeziehung von Transportkarren in die möglichen Haftungstatbestände nach § 6 Abs 1 Z 1 VOEG sei konsequent, wenn durch sie ein Schaden verursacht werde, während sie ausnahmsweise auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet würden. Eine Einbeziehung des klagsgegenständlichen Sachverhalts, bei dem durch einen Hubstapler bei innerbetrieblicher Güterbeförderung ein Schaden eines weiteren Mitarbeiters verursacht werde, widerspreche Wortlaut, Sinn und Zweck des VOEG. Das Alleinverschulden treffe den Kläger. Das Unfallereignis stelle sich als unabwendbares Ereignis dar. Die Schäden des Klägers seien auch folgenlos ausgeheilt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, soweit es sich gegen den Erstbeklagten richtete, mit Teilurteil unter Bezugnahme auf die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG ab. Es sei nicht ersichtlich, warum diese Bestimmung EU-rechtswidrig sein solle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es möge zwar zutreffen, dass die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG zur Folge habe, dass eine vollständige Umsetzung der Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Richtlinien in nationales Recht nicht (mehr) gegeben sei. Eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien komme jedoch nur gegenüber dem Staat oder zumindest gegenüber Einrichtungen, die der staatlichen Aufsicht unterstehen und mit besonderen Rechten ausgestattet sind, zum Tragen, wenn die Richtlinie einen für die individuelle Anwendung ausreichend bestimmten Anspruch festlege und den Mitgliedstaaten keinen besonderen Ermessensspielraum gewähre. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Es sei daher die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG anzuwenden. Eine Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung des Gleichheitssatzes liege nicht vor, weil bei Unfällen mit Arbeitsmaschinen in abgesperrtem Fabriksgelände zwischen in den Arbeitsbetrieb des Arbeitgebers eingebundene Personen in diesem Bereich primär die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, allenfalls gekoppelt mit Leistungen aus einer Betriebshaftpflichtversicherung sowie der Allgemeinen Unfallversicherung zum Tragen kommen sollten. Letztere sehe auch für die bei einem Arbeitsunfall Geschädigten bestimmte Leistungen des gesetzlichen Sozialversicherungsträgers vor, die „gewöhnlichen“ Unfallopfern im Straßenverkehr nicht gebührten.

In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe; in eventu stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Erstbeklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt .

1. Der Kläger beruft sich auch in der Revision auf die Richtlinienwidrigkeit und Unanwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 VOEG.

Diese Frage war bereits Gegenstand einer ausführlichen Prüfung in der Entscheidung 2 Ob 112/15g, der ebenfalls ein durch einen Gabelstapler verursachter Arbeitsunfall auf einem Betriebsgelände zugrunde lag. Der Oberste Gerichtshof führte dazu Folgendes aus (wobei auf die schon dort zitierten Stellungnahmen der Literatur verwiesen wird):

I.1. Mit Art 1 Z 3 lit b der Richtlinie 2005/14/EG (5. Kraftfahrzeug-Haftpflicht versicherungs-Richtlinie) vom 11. 5. 2005 wurde Art 4 lit b der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. 4. 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht durch Neufassung von Unterabs 2 in dem Sinne abgeändert, dass die Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung gewisser von der Versicherungspflicht ausgenommener Fahrzeuge mit den trotz Versicherungspflicht nicht versicherten Fahrzeugen zu gewährleisten haben (2 Ob 89/12s, ZVR 2014/7). Den Mitgliedstaaten wurde dadurch die Wahlmöglichkeit gewährt, diese Fahrzeuge künftig der Versicherungspflicht zu unterwerfen, oder dafür zu sorgen, dass durch solche Fahrzeuge Geschädigte von einem nationalen Garantiefonds entschädigt werden.

I.2. In Österreich geschah die notwendige Umsetzung dadurch, dass Fahrzeuge, die gemäß § 1 Abs 2 lit a, b und d sowie Abs 2a KFG von der Anwendbarkeit dieses Bundesgesetzes ausgenommen waren, in § 6 des neuen Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetzes (VOEG) dem Regime des Garantiefonds unterstellt wurden (2 Ob 89/12w).

Das neu kodifizierte VOEG trat am 1. 7. 2007 in Kraft. Nach § 6 Abs 1 Z 1 VOEG hat der Fachverband Entschädigung für Personen- und Sachschäden zu leisten, die im Inland durch ein Fahrzeug im Sinn des § 1 Abs 2 lit a, b und d sowie Abs 2a KFG 1967 verursacht wurden. Zu den Fahrzeugen nach § 1 Abs 2 lit b KFG gehören auch Transportkarren, als welche auch Elektrohubstapler qualifiziert wurden (7 Ob 199/10f; 2 Ob 89/12w; RIS-Justiz RS0126375). Eine in den Materialien des Ministerialentwurfs bei § 6 VOEG noch enthaltene 'Beschränkung der Leistungspflicht auf Schäden, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr eintreten' schien in den Materialien zur Regierungsvorlage nicht mehr auf. Grund dafür dürfte eine auf die Richtlinienwidrigkeit dieser Einschränkung hinweisende Stellungnahme des ÖAMTC gewesen sein. In diesem Sinne sprach der erkennende Senat in 2 Ob 89/12w aus, dass die Entschädigungspflicht des Fachverbands für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge gemäß § 6 VOEG nicht an deren Verwendung auf öffentlichen Straßen gebunden ist.

I.3. Mit BGBl I 2013/12 (VersRÄG 2013) wurde die in § 6 Abs 3 VOEG geregelte Ausnahme von der Entschädigungspflicht nach Abs 1 leg cit dahin erweitert, dass nunmehr auch Schäden durch einen Unfall mit in § 1 Abs 2 lit a und b KFG 1967 angeführten Fahrzeugen im geschlossenen Bereich zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen von der Haftung des beklagten Verbands ausgenommen sind.

In der Regierungsvorlage zu dieser Gesetzesänderung (2005 BlgNr 24. GP, 1, 4 und 9) heißt es, dass Entschädigungsansprüche aus Arbeitsunfällen vermehrt auf das VOEG gestützt würden, welches für deren Geltendmachung aber nicht die geeignete Anspruchsgrundlage sei. Unter 'Ziele der Gesetzesnovelle' wird daher angeführt, dass Arbeitsunfälle von den Entschädigungsfällen des VOEG ausgenommen werden sollten. Der Arbeitsbetrieb und seine haftpflichtversicherungsrechtlichen Besonderheiten machten eine Regelung erforderlich, die sicherstelle, dass Unfälle mit Arbeitsmaschinen in abgesperrtem Fabriksgelände zwischen in den Arbeitsbetrieb des Arbeitgebers eingebundenen Personen nicht eine Ersatzpflicht des Fachverbands, die letztlich auf eine Schadensteilung unter und nach dem Verschulden der beteiligten Arbeitnehmer/innen hinauslaufe, begründeten. Zu § 6 Abs 3 Z 2 VOEG merken die Materialien erneut an, dass vor dem Hintergrund, dass das VOEG für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus Arbeitsunfällen nicht die geeignete Anspruchsgrundlage darstelle, die vorgeschlagene Regelung sicherstellen solle, dass durch Unfälle mit Arbeitsmaschinen in abgesperrtem Fabriksgelände (zB in einer Fabriks- oder Lagerhalle) zwischen in den Arbeitsbetrieb des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin eingebundenen Personen (Arbeitnehmer/innen, Leiharbeitskräften sowie Personen in ähnlichen Rechtsverhältnissen) nicht eine Ersatzpflicht des Fachverbands, gefolgt von einer Regresspflicht der Schuld tragenden Person, begründet werde; in diesen Fällen wäre wohl primär die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin, allenfalls gekoppelt mit Leistungen aus einer Betriebshaftpflichtversicherung sowie der allgemeinen Unfallversicherung, angesprochen, und nicht ein Ausgleich über das VOEG, das letztlich auf eine Schadensteilung unter und nach dem Verschulden der beteiligten Arbeitnehmer/innen hinauslaufe (RV aaO 9).

Diese Bestimmung trat am 1. 1. 2013 in Kraft (§ 19 Abs 4 VOEG idF BGBl I 2013/12). […]

I.4. Nach Erwägungsgrund 8 der 5. Kraft-fahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie, 2005/14/EG, vom 11. 5. 2005 sollte dafür gesorgt werden, dass nicht nur Opfer von Unfällen, die durch ein Fahrzeug im Ausland verursacht werden, sondern auch Opfer von Unfällen, die in dem Mitgliedstaat verursacht werden, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, angemessenen Schadenersatz erhalten. Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten die Opfer von durch diese Fahrzeuge verursachten Unfällen ebenso behandeln wie Opfer von durch nicht versicherte Fahrzeuge verursachten Unfällen.

Gleiche Überlegungen finden sich in den Erwägungsgründen 10 und 11 der 6. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie, 2009/103/EG vom 16. 9. 2009, mit der 'aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit' alle früheren Richtlinien über die Kfz-Haftpflichtversicherung kodifiziert und zusammengefasst werden sollten (vgl ErwGr 1; 2 Ob 40/15v). Nach Art 5 Abs 2 dieser Richtlinie kann jeder Mitgliedstaat bei gewissen Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeugen mit besonderem Kennzeichen, die dieser Staat bestimmt und deren Kennzeichnung er den anderen Mitgliedstaaten sowie der Kommission meldet, von Art 3 (das ist die Kfz-Haftpflichtversicherungspflicht) abweichen. In diesem Fall haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass die in Unterabs 1 genannten Fahrzeuge ebenso behandelt werden wie Fahrzeuge, bei denen der Versicherungspflicht nach Art 3 nicht entsprochen worden ist.

Weder die 5. noch die 6. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie gehen auf die Frage der Entschädigungspflicht für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge bei Verwendung in geschlossenen Betriebsarealen zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen ausdrücklich ein, sondern sprechen vielmehr ganz allgemein von nicht versicherten bzw nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen.

I.5. Es stellt sich daher die Frage, ob der im österreichischen VOEG mit der Novelle des § 6 Abs 3 per 1. 1. 2013 eingefügte Ausnahmefall von der Entschädigungspflicht den Richtlinien entspricht oder nicht:

I.5.1. In der österreichischen Literatur wurde dies mehrfach in Zweifel gezogen (vgl Kathrein , Anmerkung zu 2 Ob 89/12w in ZVR 2014/7, 24 sowie Haupfleisch , Lücken im europäischen Verkehrsopferschutz, ZVR 2015/18, 45 [50], der ausführt, dass die Ausnahme in der Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie mangels ausdrücklicher Erwähnung keine Deckung finde und dem Schutzzweck der Richtlinie widerspreche).

I.5.2. Ein Vorabentscheidungsersuchen zu dieser Frage erübrigt sich aber, weil der Europäische Gerichtshof die hier relevante Rechtsfrage implizit bereits in seiner Entscheidung vom 4. 9. 2014, C-162/13 Vnuk beantwortet hat. Dort wollte das anfragende Gericht wissen, ob sich der Begriff der 'Benutzung eines Fahrzeuges' im Sinne Art 3 Abs 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. 4. 1972 (vgl oben Pkt I.1. und I.4.) – auf einen Fall erstreckt, in dem sich der Unfall mit einem Traktor samt Anhänger im Hof eines Bauernhofs während des Einbringens von Heuballen auf den Dachboden einer Scheune ereignete, als Traktor und Anhänger rückwärts in die Scheune gelenkt wurden, und dabei gegen eine Leiter stießen und die darauf stehende Person verletzten. Der Gerichtshof legte dar, dass der Begriff des Benutzens eines Fahrzeugs nach der Richtlinie auch ein Manöver, wie das im Ausgangsfall beschriebene, umfassen kann, da der Begriff 'jede Benützung eines Fahrzeugs umfasst, die dessen gewöhnlicher Funktion entspricht'.

Ist aber das beschriebene Manöver im Hof eines Bauernhofs beim Heueinbringen nicht von den genannten Richtlinien ausgeschlossen, muss dies auch für Unfälle – wie § 6 Abs 3 Z 2 VOEG formuliert – 'im geschlossenen Bereich zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen' – gelten.

I.6. Die vom österreichischen Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung ist daher im Hinblick auf die umfassende Formulierung der Richtlinie 72/166/EWG, die nunmehr in der 6. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie konsolidiert ist, nicht als ordnungsgemäße Umsetzung bzw als nachträgliche Änderung der ursprünglich richtlinienkonformen Umsetzung trotz Sperrwirkung anzusehen.“

2. Der Erstbeklagte hält dem auch in seiner Revisionsbeantwortung entgegen, dass das VOEG schon definitionsgemäß auf den Schutz von Verkehrsopfern abziele, worunter nur Personen zu verstehen seien, die als Verkehrsteilnehmer im straßenverkehrsrechtlichen Sinn, also unter Benützung öffentlicher Wege, Straßen und Plätze – seien es öffentliche Flächen oder private Flächen – so aber jedenfalls im Rahmen des Gemeingebrauchs in einen Unfall verwickelt seien. Es müsse sich um einen Straßenverkehrsunfall handeln.

Sollte der Erstbeklagte damit die Geltung der Richtlinie und in der Folge des VOEG von der jeweiligen Situation der Verwendung eines Fahrzeugs (Straßenverkehr oder andere Verwendung) abhängig machen wollen, so steht dem die zitierte Entscheidung des EuGH vom 4. 9. 2014, C 162/13 Vnuk , entgegen. Denn aus dieser geht hervor, dass die Kfz-Haftpflicht-Versicherungspflicht am Begriff des Fahrzeugs iSv Art 1 Nr 1 der Richtlinie 2009/103/EG anknüpft, worunter „jedes maschinell angetriebene Kraftfahrzeug, welches zum Verkehr zu Lande bestimmt und nicht an Gleise gebunden ist, sowie die Anhänger, auch wenn sie nicht angekoppelt sind“, zu verstehen ist. Der EuGH wies darauf hin, dass die Definition unabhängig von dem Gebrauch ist, der vom jeweiligen Fahrzeug gemacht wird oder werden kann. Daher ändert die Tatsache, dass ein Traktor … unter bestimmten Umständen als landwirtschaftliche Arbeitsmaschine benutzt werden kann, nichts an der Feststellung, dass ein solches Fahrzeug dem Begriff Fahrzeug in Art 1 Nr 1 der Ersten Richtlinie entspricht (Rz 38).

Der Ansicht des Erstbeklagten, dass seine Haftung für Transportkarren nach dem Regelungszweck nur im Rahmen ihrer Verwendung auf öffentlichen Straßen bestehe (Überqueren von Straßen, Zurücklegung kurzer Strecken auf Straßen, auf denen auch Verkehr im straßenverkehrsrechtlichen Sinne stattfindet, und im gekennzeichneten Baustellenbereich mit Mehrzweck fahrzeugen, insbesondere auch Hubstaplern) und dem Schutz von Verkehrsopfern ausreichend entspreche, ist daher nicht zu folgen. Der Erstbeklagte geht mit dieser Argumentation im Übrigen auch selbst davon aus, dass insbesondere auch bei Hubstaplern das Überqueren von Straßen und die Zurücklegung kurzer Strecken auf Straßen, auf denen auch Verkehr im straßenverkehrsrechtlichen Sinne stattfindet, ausnahmsweise zulässig ist. Nicht anders als bei den sonstigen in § 1 Abs 2 lit a und b KFG genannten Fahrzeugen (zB Transportkarren, § 2 Z 19, selbstfahrenden Arbeitsmaschinen, § 2 Z 21) hat dies aber nur zur Folge, dass gerade wegen des Fehlens einer Haftpflicht-Versicherungspflicht im Interesse des Opferschutzes Leistungsansprüche gegen den Erstbeklagten vorzusehen sind.

3. Auch die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 2009/103/EG wurde in der Entscheidung 2 Ob 112/15g mit ausführlicher Begründung bejaht, weil sie nicht nur einem Staat, sondern auch einer Einrichtung entgegengehalten werden könne, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen habe und die hiezu mit besonderen Rechten ausgestattet sei, die über die für die Beziehung zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgingen. Der Erstbeklagte sei als solche Einrichtung anzusehen, weil er – zusammengefasst – per Gesetz, also kraft staatlichen Rechtsakts, Aufgaben im öffentlichen Interesse übernehme, zu deren Erfüllung europarechtlich der Staat verpflichtet sei, und er hiezu mit besonderen Rechten, insbesondere Informationsrechten, aber auch dem Recht der Zwangszuteilung zur Haftpflichtversicherung ausgestattet sei, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgingen.

Im vorliegenden Verfahren ist hinzuzufügen, dass die unmittelbare Anwendung der Richtlinie 2009/103/EG auch nicht daran scheitert, dass sonst ein den Mitgliedstaaten eingeräumter Ermessensspielraum verletzt würde.

Maßgeblich ist hier die Bestimmung des Art 5 Abs 2 der Richtlinie 2009/103/EG, wonach jeder Mitgliedstaat bei gewissen Arten von Fahrzeugen oder Fahrzeugen mit besonderem Kennzeichen, die dieser Staat bestimmt und deren Kennzeichnung er den anderen Mitgliedstaaten sowie der Kommission meldet, von Art 3 (Kfz-Haftpflichtversicherungspflicht) abweichen kann (Satz 1). In diesem Fall gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die in Unterabs 1 genannten Fahrzeuge ebenso behandelt werden wie Fahrzeuge, bei denen der Versicherungspflicht nach Artikel 3 nicht entsprochen worden ist (Satz 2). Mit der unmittelbaren Anwendung von Satz 2 leg cit aber wird nicht in die durch Satz 1 der Richtlinie 2009/103/EG eingeräumte Möglichkeit des Gesetzgebers eingegriffen, bestimmte Fahrzeuge von der Kfz-Haftpflichtversicherung auszunehmen, sondern nur der dafür angeordneten Rechtsfolge dieser gesetzgeberischen Entscheidung – Behandlung solcher Fahrzeuge wie versicherungspflichtige, jedoch nicht versicherte Fahrzeuge – Rechnung getragen. Auch im vorliegenden Fall ist Art 5 Abs 2 der Richtlinie 2009/103/EG daher unmittelbar anwendbar.

4. Der Anspruch gegen den Fachverband gleicht inhaltlich jenem Anspruch, der gegen einen versicherungspflichtigen Schädiger bestehen würde (RIS Justiz RS0029484; zuletzt 2 Ob 112/15g mwN). Es ist daher weiterhin zu fingieren, dass der schadenersatzrechtliche Leistungsanspruch des Opfers durch eine Kfz Haftpflichtversicherung (im Rahmen der gesetzlichen Versicherungspflicht) gedeckt ist (2 Ob 185/12p; 2 Ob 112/15g mwN). Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Ansprüche des Klägers so zu prüfen haben, als bestünde eine Haftpflichtversicherung für den den Unfall verursachenden Gabelstapler. Dabei bedarf es insbesondere angesichts des Vorbringens des Erstbeklagten, dass den Kläger das Alleinverschulden am Unfall treffe und – offenbar im Hinblick auf die Haftungsbefreiung des § 9 Abs 2 EKHG – das Unfallgeschehen ein unabwendbares Ereignis gewesen sei, entsprechender Feststellungen.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.