JudikaturJustiz9ObA53/03i

9ObA53/03i – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Günther Schön und Gottfried Winkler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Rene S*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei T*****gesmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Dengg ua, Rechtsanwälte in St. Johann, wegen EUR 4.128,68 sA (Revisionsinteresse EUR 3.970,56), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Jänner 2003, GZ 11 Ra 240/02x 20, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Juni 2002, GZ 17 Cga 224/00x 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Stattgebung des Klagebegehrens im Umfang von EUR 158,12 samt 9,75 % Zinsen seit 25. 7. 2000 als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 8. 5. 1982 geborene Kläger schloss am 27. 8. 1997 mit der Beklagten einen Lehrvertrag (Lehrberuf Gas- und Wasserleitungsinstallateur und Zentralheizungsbauer) mit einer Lehrzeit von 4 Jahren (4. 8. 1997 bis 3. 8. 2001) ab. Als gesetzlicher Vertreter ist im Lehrvertrag der Vater des Klägers angeführt, wobei als dessen Adresse die Anschrift angegeben ist, unter der der Kläger mit seiner Mutter wohnt. Der Vater ist seit 1994 von der Mutter geschieden und wohnt seither nicht mehr an der angegebenen Adresse.

Der Kläger begehrte zuletzt die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von S 56.811,89 (anteilige Weihnachtsremuneration, Urlaubsentschädigung und Urlaubszuschuss sowie Kündigungsentschädigung samt anteiligen Sonderzahlungen). Er sei am 17. 7. 2000 ohne Grund entlassen worden. Die Entlassung sei rechtsunwirksam. Er begehre aber nicht die Fortsetzung des Lehrverhältnisses sondern mache Schadenersatzansprüche geltend.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger sei wegen zahlreicher Verfehlungen und daher berechtigt entlassen worden. Er habe Stundenaufzeichnungen trotz Ermahnungen nie rechtzeitig abgegeben, sei häufig zu spät zur Arbeit gekommen und habe oft den Arbeitsplatz vorzeitig verlassen. Er sei nicht arbeitswillig gewesen und habe Arbeiten entweder überhaupt nicht oder nur schleppend und überdies mangelhaft ausgeführt. Das Lehrverhältnis sei schriftlich aufgelöst worden. Die schriftliche Auflösungserklärung sei dem Vater des Klägers, der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer und der Berufsschule zugestellt worden.

Der Kläger bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und brachte überdies vor, dass sein Vater das Auflösungsschreiben nicht erhalten habe, weil er an der von der Beklagten verwendeten Anschrift nicht mehr wohnhaft gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von EUR 158,12 statt und wies das Mehrbegehren des Klägers ab.

Soweit im Revisionsverfahren von Interesse, stellte es folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger kam oft zu spät zur Arbeit, verließ mitunter seinen Arbeitsplatz vorzeitig und erweckte den Eindruck, kein Interesse am Lehrberuf zu haben. Außerdem gab er die für die Abrechnung erforderlichen Stundenberichte immer nur mit großer Verspätung ab. Wegen der Säumigkeit des Klägers mit der Abgabe der Stundenberichte wurde er mehrmals (zuletzt am Entlassungstag) ermahnt. Nachdem auch die letzte Ermahnung erfolglos blieb, erklärte ihm der Geschäftsführer, er solle seine Sachen packen und alles abgeben, weil es nichts mehr bringe. Mit Hilfe ihres Steuerberaters verfasste der Geschäftsführer der Beklagten am nächsten Tag eine schriftliche Auflösungserklärung, in der als Auflösungsgrund § 15 Abs 3 lit e BAG angegeben wurde. Diese Erklärung wurde vom Geschäftsführer der Beklagten unterfertigt und unter der im Lehrvertrag angegebenen Adresse eingeschrieben an den Vater des Klägers gesandt. Die Sendung kam am 25. 7. 2000 mit dem Vermerk "Empfänger verzogen" zurück.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass der Kläger den Entlassungsgrund des § 15 Abs 3 lit c BAG verwirklicht habe. Da der Kläger damals noch minderjährig gewesen sei, sei die schriftliche Auflösungserklärung zulässigerweise dem im Lehrvertrag angegebenen gesetzlichen Vertreter des Klägers (seinem Vater) zugestellt worden. Dass der Vater nicht mehr an der angegebenen Adresse gewohnt habe, sei irrelevant, weil er sie zu einem Zeitpunkt bekanntgegeben habe, als er schon längst nicht mehr dort gewohnt habe. Damit habe er zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der angegebenen Adresse um eine von ihm gewünschte Zustellanschrift handle. Dem Kläger gebühre daher die laufende Lehrlingsentschädigung, nicht jedoch die übrigen von ihm geltend gemachten Ansprüche.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat folgende Rechtsauffassung:

Nach § 15 Abs 2 BAG habe die Auflösungserklärung der Beklagten zur Rechtswirksamkeit der Schriftform bedurft. Mit der Mitteilung der schriftlichen und auch vom Geschäftsführer der Beklagten unterschriebenen Auflösungserklärung an die Lehrlingsstelle und die Berufsschule sei diesem Gebot zwar nicht entsprochen worden, wohl aber mit der Übersendung der Erklärung an den Vater. Nach der Rechtsprechung könne die Erklärung, den Lehrling aus einem der in § 15 Abs 3 BAG genannten Gründen zu entlassen, wirksam gegenüber dem minderjährigen Lehrling selbst erklärt werden. Dies bedeute aber nicht, dass die Erklärung nicht auch wirksam an den gesetzlichen Vertreter des noch minderjährigen Lehrlings zugestellt werden könne. Dem volljährigen Lehrling müsse die Auflösungserklärung selbst zugestellt werden, bei mündigen Minderjährigen komme sowohl die Zustellung an den Lehrling selbst als auch die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter in Betracht.

Nach der Rechtsprechung könne der Arbeitgeber empfangsbedürftige Willenserklärungen an die letzte ihm bekannt gegebene Wohnadresse des Arbeitnehmers richten; dieser müsse sich den Empfang einer solchen Erklärung auch dann mit der postordnungsgemäßen Zustellung unter dieser Adresse anrechnen lassen, wenn er die Wohnung bereits verlassen, dies dem Arbeitgeber aber nicht gemeldet habe. Diese Rechtsprechung sei auch auf den gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Lehrlings anzuwenden, dem das BAG in den §§ 1 ff gewisse Pflichten aufbürde.

Im Übrigen sei die Entlassung auch berechtigt erfolgt (siehe dazu die näheren Ausführungen S 15 des Berufungsurteils) und rechtzeitig ausgesprochen worden.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob die schriftliche Auflösungserklärung des Lehrverhältnisses mit einem mündigen Minderjährigen bei sonstiger Rechtsunwirkamkeit an diesen selbst zu richten sei, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich mit dem hier interessierenden Problemkreis in der Entscheidung SZ 52/139 auseinandergesetzt und dabei folgende Rechtsauffassung vertreten:

Gemäß § 152 ABGB kann sich ein mündiges minderjähriges Kind - soweit nichts anderes bestimmt ist - selbständig durch Vertrag zu Dienstleistungen verpflichten, ausgenommen zu Dienstleistungen auf Grund eines Lehr- oder sonstigen Ausbildungsvertrages. Der Mündige kann damit auch alle einseitigen Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, die mit der weiteren Gestaltung des Dienstvertrages zusammenhängen (Kündigung, vorzeitiger Austritt, Entlassung, einvernehmliche Auflösung) der allgemeinen Regel zuwider ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters vornehmen und, soweit es sich um Erklärungen des Vertragspartners handelt, entgegennehmen. Wie weit diese Rechte des Minderjährigen wegen der besonderen Wichtigkeit und des besonderen Zwecks eines Lehrvertrags bei diesem eingeschränkt sind, bestimmt das Berufsausbildungsgesetz. Dieses hat die Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters nicht bei allen Rechtshandlungen, die mit der Begründung, Abänderung oder Aufhebung eines Lehrvertrages im Zusammenhang stehen, vorgesehen, sondern nur in einzelnen Fällen (Abschluss des Lehrvertrages - § 12 Abs 1 BAG; vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses in den Fällen des § 15 Abs 2 und 4 BAG) angeordnet. Daraus ist abzuleiten, dass die Erklärung, den Lehrling aus einem der in § 15 Abs 3 BAG genannten Gründe zu entlassen, wirksam gegenüber dem minderjährigen Lehrling selbst erklärt werden kann.

Diese Rechtsauffassung ist in der Lehre auf einhellige Zustimmung gestoßen ( Schwind/Ehrenzweig , Familienrecht³ 169; Stabentheiner in Rummel ³ § 152 Rz 4; Schwimann/Schwimann , ABGB I² § 152 Rz 5; Berger/Gruber/Fida , Berufsausbildungsgesetz Rz 14 zu § 15 BAG; Andexlinger/Prugger , Auflösungserklärung nur an den Lehrling? RdW 1986, 20). Von ihr abzugehen, besteht keine Verlanlassung.

Mit der Frage, ob der Lehrberechtigte die Auflösung nur gegenüber dem mündigen minderjährigen Lehrling oder auch gegenüber seinem gesetzlichen Vertreter erklären kann, hat sich der Oberste Gerichtshof noch nicht auseinandergesetzt (die im veröffentlichen Leitsatz der zitierten Entscheidung SZ 52/139 enthaltene Formulierung, die Auflösung könne "auch" gegenüber dem minderjährigen Lehrling erklärt werden, ist durch den Wortlaut der Entscheidung nicht gedeckt).

Berger/Gruber/Fida (aaO Rz 14 zu § 15) vertreten dazu die Auffassung, dass die Auflösungserklärung dem Vertragspartner gegenüber ausgesprochen werden muss und daher im Falle eines Lehrverhältnisses mit einem minderjährigen Lehrling an diesen zu richten sei. Zugestellt bzw entgegengenommen werden könne die Auflösungserklärung jedoch sowohl dem bzw vom minderjährigen Lehrling selbst wie auch dem bzw vom gesetzlichen Vertreter.

Andexlinger/Prugger (aaO 20) folgern hingegen aus der Entscheidung SZ 52/139, dass die Zustellung der Auflösungserklärung dem gesetzlichen Vertreter allein nicht rechtswirksam zugestellt werden könne, weil dieser insofern nicht vertretungsberechtigt sei. Dem gesetzlichen Vertreter, dem dessen ungeachtet die schriftliche Auflösungserklärung zugestellt werde, werde damit allerdings eine "Botenfunktion" aufgebürdet, die ihm - jedenfalls wenn der minderjährige Lehrling mit ihm in Hausgemeinschaft lebe - auch zumutbar sei.

Der Oberste Gerichtshof teilt die von Andexlinger/Prugger vertretene Rechtsauffassung, dass die Zustellung der Auflösungserklärung allein an den gesetzlichen Vertreter des mündigen minderjährigen Lehrlings nicht rechtswirksam ist.

Grundsätzlich ist die schriftliche Auflösungserklärung an den Vertragspartner des Lehrvertrags zu richten, sodass kein Zweifel daran besteht, dass die Auflösung eines Lehrverhältnisses mit einem volljährigen Lehrling diesem gegenüber zu erklären ist (Arb 10.988).

Im Sinne der oben erörterten Vorentscheidung SZ 52/139 ist ferner davon auszugehen, dass die Auflösung des Lehrverhältnisses gegenüber dem mündigen minderjährigen Lehrling erklärt werden kann, was zwangsläufig bedeutet, dass die eigene Handlungsfähigkeit des mündigen minderjährigen Lehrlings die Entgegennahme der Auflösungserklärung des Lehrberechtigten deckt.

Besteht im begrenzten Umfang eigene Handlungsfähigkeit des Minderjährigen, so ist aber in diesem Umfang der gesetzliche Vertreter - von Fällen hier nicht interessierender gewillkürter Stellvertretung abgesehen - ausgeschaltet (Stabentheiner in Rummel³ §§ 153 154a Rz 1a); er ist in diesem Umfang nicht berechtigt, den Minderjährigen zu vertreten. Damit ist aber klar, dass die Zustellung der Auflösungserklärung nur an den gesetzlichen Vertreter für sich allein nicht die rechtswirksame Auflösung des Lehrverhältnisses bewirken kann, sondern die Auflösung jedenfalls gegenüber dem mündigen minderjährigen Lehrling erklärt werden muss.

Überlegungen darüber, ob und inwieweit dem gesetzlichen Vertreter durch die Zustellung der Auflösungserklärung eine Botenfunktion aufgebürdet wird, sind hier nicht erforderlich. Selbst wenn man dies bejaht, kann die schriftliche Auflösungserklärung dem Minderjährigen gegenüber nur (und erst) dann wirksam werden, wenn sie ihm tatsächlich vom gesetzlichen Vertreter ausgefolgt wird (so auch Andexlinger/Prugger , aaO 20). Hier ist aber diese Auflösungserklärung dem Minderjährigen nie zugekommen, zumal sie ja nicht einmal seinen Vater erreicht hat, der sie somit auch nicht seinem Sohn ausfolgen konnte. Es fehlt somit an einer wirksamen Auflösungserklärung gegenüber dem insofern allein zur Entgegennahme einer solchen Erklärung berechtigten Kläger, sodass auf den Umstand, dass nach dem festgestellten Sachverhalt erhebliche Zweifel daran bestehen, ob der Vater des Klägers im maßgebenden Zeitpunkt dessen gesetzlicher Vertreter war, ebenso wenig eingegangen werden muss, wie auf die Fragen zur Berechtigung und zur Rechtzeitigkeit des Ausspruchs der Entlassung.

Wurde die Auflösung des Lehrverhältnis nicht wirksam schriftlich erklärt, kommt es grundsätzlich zu keiner Beendigung des Lehrverhältnisses. Der Lehrling kann in diesem Fall zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses einerseits und dem Akzeptieren der Auflösung des Lehrverhältnisses unter gleichzeitiger Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen dessen unberechtigter Auflösung wählen ( Berger/Fida/Gruber , aaO Rz 15 zu § 10 unter Hinweis auf Rz 50 und 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dem Kläger stehen daher die von ihm geltend gemachte Schadenersatzansprüche grundsätzlich zu. Die Berechnung ihrer Höhe ist aber mangels der dazu erforderlichen Feststellungen nicht möglich, sodass sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist.

In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung über das noch offene Klagebegehren an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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