JudikaturJustiz9ObA330/97p

9ObA330/97p – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Februar 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Gabriele Griehsel und Heinrich Dürr als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Jürgen - Markus B*****, Koch-Kellner, *****, vertreten durch Michael Paier, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, 8020 Graz, Hans-Resel-Gasse 8-10, wider die beklagte Partei T*****KG, Inhaberin des P*****hotels F*****, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 16.800,- sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Juli 1997, GZ 7 Ra 44/97p-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Oktober 1996, GZ 30 Cga 74/96b-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. 1. 1992 bis 31. 12. 1995 als Koch-Kellnerlehrling beschäftigt. Auf das Lehrverhältnis hatte der Kollektivvertrag für die Arbeiter im österreichischen Hotel- und Gastgewerbe sowie die Lohntabelle für Arbeiter in den steirischen Hotel- und Gastgewerbebetrieben Anwendung zu finden. Wird einem Lehrling Verpflegung und Quartier (volle Station) im Betrieb des Arbeitgebers gewährt, darf nach der genannten Lohntabelle zum Kollektivvertrag ein allenfalls hiefür vereinbarter Abzug S 450,-

nicht übersteigen. Ein teilweiser Sachbezug ist nach dem Zehntelanteil des amtlichen Sachbezuges zu bewerten. Die Beklagte zog dem Kläger während dessen Lehrzeit monatlich S 800,- als Sachbezug von der Lehrlingsentschädigung ab. Dafür durfte der Kläger "außer der gewährten Verköstigung und dem Quartier täglich nach freier Wahl zwei alkoholfreie Getränke" zu von ihm gewünschten Zeiten zu sich nehmen.

Der Kläger begehrt von der Beklagten S 16.800,- sA. Dabei handelt es sich um den S 450,- übersteigenden Abzug von S 350,- monatlich für die Lehrzeit von 48 Monaten. Dieser Abzug sei nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages unzulässig und daher rückforderbar.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe zusätzlich zur normalen Verpflegung von der Beklagten zwei Getränke pro Tag erhalten. Dies gehe über die kollektivvertragliche Regelung hinaus, weshalb ein Abzug von insgesamt S 800,-

gerechtfertigt sei. Der Kläger habe sich zu Beginn des Dienstverhältnisses ausdrücklich mit dieser Regelung einverstanden erklärt. Wäre keine Vereinbarung zustandegekommen, wäre der Kläger durch die von ihm zusätzlich zur freien Station konsumierten Getränke bereichert. Hilfsweise werde daher ein angemessenes Entgelt von zumindest S 20.000,- kompensando als Gegenforderung eingewendet.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als berechtigt, die Gegenforderung hingegen als nicht berechtigt und gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest: Bei Abschluß des Lehrvertrages vereinbarten die Streitparteien, daß dem Kläger Verpflegung und Quartier gewährt werde. In weiterer Folge konsumierte der Kläger - obwohl dies nicht ausdrücklich vereinbart war - "zusätzlich" zwei Getränke pro Tag, weil dies auch die anderen Lehrlinge taten. Über die Höhe des Abzuges für Verpflegung, Quartier und die beiden Getränke wurde keine ausdrückliche Vereinbarung geschlossen. Der Kläger sah erst auf seinem Lohnzettel, daß ihm S 800,- in Abzug gebracht wurden. Nach Rücksprache mit der Beklagten erfuhr er, daß der Abzug die beiden "zusätzlich" gewährten Getränke enthalte. Der Kläger nahm diesen Abzug billigend hin.

Auf dieser Grundlage vertrat das Erstgericht die Rechtsauffassung, daß zwischen den Streitteilen eine stillschweigende Vereinbarung über den strittigen Abzug zustandegekommen sei. Der Abzug sei aber nicht gerechtfertigt gewesen, weil der Begriff "Verpflegung" in der anzuwendenden Lohntabelle neben dem Essen auch Getränke umfasse und die Hingabe zweier Getränke täglich im Rahmen des Üblichen bleibe. Die stillschweigende Vereinbarung der Streitteile ändere daran nichts, weil sie zum Nachteil des Klägers vom Kollektivvertrag abweiche.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentlich Revision nicht zulässig sei. Es vertrat ebenfalls die Auffassung, daß in die freie volle Station allenfalls zum oder neben dem Essen im üblichen Ausmaß gewährte Getränke einzubeziehen seien. Die dem Kläger verabreichten zwei Getränke täglich seien daher von der freien Station, für die nur S 450,- monatlich abgezogen werden dürften, umfaßt. Der im Kollektivvertrag enthaltene Hinweis auf die Zehntelwerte des amtlichen Sachbezuges betreffe den Fall, daß nur teilweise Verpflegung gewährt werde. Daraus ergebe sich, daß bei Gewährung eines Frühstücks, zu dem jedenfalls auch Getränke gehörten, die Anrechnung von S 45,- monatlich gerechtfertigt sei. Der Abzug von S 350,- monatlich für nur zwei Getränke täglich würde zu diesem Ergebnis in keiner vernünftigen Relation stehen. Eine Rechtsfrage iS § 46 Abs 1 ASGG liege nicht vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung iS der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist zulässig, weil zur hier zu beurteilenden Rechtsfrage, die in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgeht, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt. Sie ist im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß angesichts des Umstandes, daß der Kläger den von ihm am Lohnzettel wahrgenommenen Abzug für die in Anspruch genommenen beiden Getränke billigend in Kauf genommen hat, von einer konkludenten Vereinbarung der Streitteile über die Gewährung dieser Getränke gegen Vornahme des strittigen Abzuges auszugehen ist. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung noch minderjährig war und eine Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters nicht feststeht, ist daher zunächst zu prüfen, ob er - damals sechzehn Jahre alt - überhaupt wirksam eine solche Vereinbarung abschließen konnte.

Nach § 151 Abs 2 ABGB kann ein mündiger Minderjähriger über Sachen, die ihm zur freien Verfügung überlassen worden sind und über sein Einkommen aus eigenem Erwerb so weit verfügen und sich verpflichten, als dadurch nicht die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Nach § 152 ABGB kann er sich selbständig durch Vertrag zu Dienstleistungen verpflichten, ausgenommen zu Dienstleistungen auf Grund eines Lehr- oder sonstigen Ausbildungsvertrags.

Nach Lehre und Rechtsprechung zu § 152 ABGB kann der mündige Minderjährige allfällige (auch einseitige) Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, die mit der weiteren Gestaltung des wirksam geschlossenen Dienstvertrages zusammenhängen, ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters vornehmen (Pichler in Rummel, ABGB**2 Rz 7 zu § 152; SZ 52/139). Diese Selbständigkeit erstreckt sich aber nicht auf beliebige Nebenleistungen, sondern nur auf solche, die die Dienstleistung unmittelbar unterstützen. Auch vermögensmäßige Leistungen können vom Minderjährigen nur insoweit selbst vereinbart werden, als sie sich im Rahmen des § 151 Abs 2 ABGB halten (Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I 98f mit Beispielen; Schwimann/Schwimann, ABGB**2 I Rz 5 zu § 152; Lukas, Die Geschäftsfähigkeit und gesetzliche Vertretung Minderjähriger im österreichischen Privatrecht unter dem Blickwinkel der "UN-Konvention über die Rechte des Kindes", in Rauch-Kallat/Pichler, Entwicklungen in den Rechten der Kinder im Hinblick auf das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1994) 330f).

Die hier zu beurteilende Vereinbarung der Streitteile betrifft nicht den Abschluß des Lehrvertrages selbst, sodaß § 152 ABGB dem Abschluß dieser Vereinbarung durch den Minderjährigen nicht entgegensteht. Da sie keine die Dienstleistung unmittelbar unterstützende Nebenleistung, sondern eine mit der Dienstleistung nicht unmittelbar zusammenhängende vermögenswerte Leistung betrifft, ist § 151 Abs 2 ABGB maßgebend, wonach der mündige Minderjährige über sein Einkommen aus eigenem Erwerb so weit verfügen und sich verpflichten kann, als dadurch nicht die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Eine Gefährdung der Lebensbedürfnisse des Minderjährigen durch Abschluß der in Rede stehenden Vereinbarung ist aber hier zu verneinen. Zwar wurde die exakte Höhe der Lehrlingsentschädigung des Klägers nicht festgestellt; es kann aber als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden, daß eine Lehrlingsentschädigung jedenfalls eine solche Höhe erreicht, daß ein Abzug von nur S 350,- monatlich für zwei Getränke täglich nicht zu einer solchen Gefährdung führt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Abzug von S 350,- zu einem weiteren Abzug von S 450,- tritt, zumal dieser zuletzt genannte Abzug Kost und Quartier abdeckt und damit einen erheblichen Teil der Lebensbedürfnisse des Minderjährigen sicherstellt.

Damit bedarf es der Prüfung, ob - wie der Kläger und die Vorinstanzen meinen - die zwischen den Streitteilen geschlossene Vereinbarung der oben wiedergegebenen kollektivvertraglichen Regelung widerspricht, nach der der Abzug für Verpflegung und Quartier monatlich S 450,-

nicht übersteigen darf.

Dabei ist davon auszugehen, daß - entgegen der Meinung der Revisionswerberin - unter den Begriff der "Verpflegung" die Verabreichung der üblichen Mahlzeiten zu verstehen ist, zu denen neben Eßbarem auch die üblicherweise gleichzeitig eingenommenen Getränke gehören. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch den Hinweis der Revisionswerberin auf § 17 Abs 1 Z 17 und 18 EStG schon deshalb nicht in Frage gestellt, weil diesen Bestimmungen ein anderes Verständnis des Begriffes "Mahlzeiten" nicht zu entnehmen ist. Daß in Z 18 leg.cit. von Getränken die Rede ist, die der Arbeitgeber zum Verbrauch im Betrieb unentgeltlich oder verbilligt abgibt, bedeutet nicht, daß der in Z 17 verwendete Begriff der "Mahlzeit" nicht auch das dazu üblicherweise verabreichte Getränk umfaßt, zumal die gesonderte Erwähnung von Getränken schon deshalb gerechtfertigt ist, weil Getränke ja auch unabhängig von Mahlzeiten verbilligt abgegeben werden können.

Der in der hier anzuwendenden kollektivvertraglichen Regelung verwendete Begriff der "Verpflegung" umfaßt daher im Gegensatz zur Meinung der Revisionswerberin auch die üblicherweise einen Bestandteil der verabreichten Mahlzeiten bildenden Getränke. Für die Gewährung dieser Getränke kann daher ein S 450,- übersteigender Abzug nicht wirksam vereinbart werden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Dienstgeber den Zusammenhang zwischen Eßbarem und Getränk dergestalt löst, daß er dem Lehrling freistellt, die an sich zu den Mahlzeiten gehörigen Getränke unabhängig von der Einnahme der Mahlzeiten zu konsumieren. Werden aber zu den Mahlzeiten Getränke im üblichen Ausmaß verabreicht, ist die zusätzliche Gewährung weiterer Getränke nicht mehr in dem im Kollektivvertrag verwendeten Begriff der "Verpflegung" enthalten. Für in diesem Sinne "zusätzliche" Getränke steht daher die kollektivvertragliche Beschränkung des Abzuges für Verpflegung und Quartier mit S 450,- monatlich der Vereinbarung eines weiteren Abzuges nicht entgegen. Solche "zusätzlichen" Getränke werden von der kollektivvertraglichen Regelung nicht tangiert, sodaß auch keine Grundlage dafür besteht, das für "zusätzliche" Getränke zulässigerweise verlangte Entgelt der Höhe nach mit einem "angemessenen" Prozentsatz des für Verpflegung und Quartier zulässigen Abzuges von S 450,- monatlich zu beschränken. Auch die Beschränkung des zu verrechnenden Preises mit den Beschaffungskosten iS § 8 KJBG kommt bei einem sechzehnjährigen Lehrling nicht zur Anwendung, weil sie nur für (fremde) Kinder (§ 2 KJBG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl I 1997/79) gilt.

Damit ist aber das Verfahren noch nicht spruchreif, weil bislang nicht geklärt ist, ob der strittige Abzug für zwei an sich zu den Mahlzeiten gehörige Getränke vorgenommen wurde oder für zwei Getränke, die zusätzlich zu den (auch Getränke umfassenden) Mahlzeiten gewährt wurden. Zwar ist im Vorbringen der Parteien und in den Feststellungen des Erstgerichtes von der Gewährung von "zusätzlichen" Getränken die Rede. Angesichts des Standpunktes der Beklagten, daß der Begriff der Mahlzeit oder der Verpflegung Getränke nicht umfasse, bleibt unklar, ob damit gemeint ist, daß die beiden Getränke "zusätzlich" zum verabreichten Essen oder zu (auch Getränke umfassenden) Mahlzeiten verabreicht wurden. Die Rechtsausführungen der Vorinstanzen tragen zum sicheren Verständnis des verwendeten Begriffes "zusätzlich" ebensowenig bei, wie - mangels konkreter Befragung - die Aussagen der einvernommenen Personen.

Da es somit zur Schaffung der erforderlichen Tatsachengrundlage offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Das Erstgericht wird Verfahren und Feststellungen im aufgezeigten Sinn zu ergänzen und auf dieser Grundlage im Sinne der dargestellten Rechtslage neuerlich über das Klagebegehren zu entscheiden haben.

Rechtssätze
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