JudikaturJustiz9ObA121/97b

9ObA121/97b – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Steinbauer und durch die fachkundigen Laienrichter Franz Ovesny und Mag.Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Regina G*****, Hausfrau, ***** vertreten durch Dr.Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dr.Wolfgang I*****, Verleger, ***** vertreten durch Dr.Hansjörg Schweinester und Dr.Paul Delazer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 42.628,38 brutto abzüglich S 9.312,07 netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.Jänner 1997, GZ 15 Ra 183/96s-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.September 1996, GZ 43 Cga 105/96m-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie insgesamt unter Einbeziehung des bestätigenden Teiles zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 1.199,54 brutto samt 4 % Zinsen seit 6.5.1996 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 41.428,84 brutto abzüglich S 9.312,07 netto samt 5 % Zinsen aus brutto S 58.779,71 abzüglich netto S 8.343 vom 3.4.1996 bis 23.7.1996 sowie 5 % Zinsen aus brutto S 42.628,38 abzüglich netto S 9.312,07 seit 24.7.1996 sowie das Begehren auf weitere 1 % Zinsen aus S 1.199,54 seit 3.4.1996, wird abgewiesen."

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten folgende Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu ersetzen:

Kosten erster Instanz S 7.792,14

(darin enthalten S 1.298,69 Umsatzsteuer)

Kosten des Berufungsverfahrens S 6.762,24

(darin enthalten S 1.127,04 Umsatzsteuer)

Kosten des Revisionsverfahrens S 4.058,88

(darin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer).

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin stand beim Beklagten zuletzt vom 11.9.1995 bis 2.4.1996 in einem Teilzeitangestelltenbeschäftigungsverhältnis mit einem Gehalt von S 7.540 brutto monatlich. Sie hatte ihre Arbeitsleistung am Dienstort Schwaz, ***** in den Geschäftsräumlichkeiten des Beklagten zu erbringen. In diesem Haus hatte die Klägerin mit ihrem Mann und ihrer am 6.7.1988 geborenen Tochter auch ihre Wohnung. Infolge dieser räumlichen Situation war eine großteils problem- und komplikationslose Betreuung der Tochter auch während der Arbeitszeit gewährleistet. Der Beklagte zeigte in diesem Zusammenhang durchwegs großes Entgegenkommen, sodaß sich die Tochter der Klägerin auch in den Geschäftsräumlichkeiten aufhalten und dort beispielsweise ihre Hausaufgaben erledigen, die Klägerin aber auch kurzzeitig während der Arbeitszeit sich in ihre Wohnung begeben und nach der Tochter sehen konnte. Die Klägerin hatte immer deponiert, daß ihr die Möglichkeit der Betreuung der Tochter neben der Arbeit sehr wichtig sei. Anfang 1996 wurde betriebsintern davon gesprochen, daß der Beklagte seinen Betriebsort nach Hall in Tirol verlegen wird. In der ersten Märzwoche 1996 teilte der Beklagte definitiv den Angestellten, auch der Klägerin, mit, daß die Anmietung der neuen Räumlichkeiten fixiert sei und mit der Übersiedlung des Betriebes begonnen werde. Die Klägerin hat unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Betreuung ihrer Tochter den Beklagten wegen der Bedingungen am neuen Arbeitsort angesprochen. Dieser stellte ihr in Aussicht, einen Firmen-PKW zur Verfügung zu stellen, den sie für die Fahrten von und zur Arbeitsstätte verwenden könne. Die Klägerin hätte dieses Fahrzeug auch zur Mittagszeit zur Verfügung gehabt. Ihre Arbeitszeit hätte wie auch am bisherigen Betriebsort von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr gedauert. Die Klägerin hat bei der Übersiedlung mehrfach Büchertransporte durchgeführt und erklärte am 22.3.1996 dem Beklagten bei einem Gespräch, daß sie sich entschlossen habe, nicht an der neuen Betriebsstätte in Hall weiter zu arbeiten. In einem Schreiben vom 26.3.1996 teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß sich ihr Arbeitsplatz ab Mittwoch, dem 27.3.1996, in Hall, ***** befinde. Die Klägerin hat weder am 27.3.1996 noch in den folgenden Tagen ihren Dienst an der neuen Betriebsstätte angetreten. Mit Schreiben vom 1.4.1996 wurde sie wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst entlassen.

Die Klägerin begehrt, nach einer Einschränkung um eine Überzahlung von S 969,07 mit der Behauptung, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein, Urlaubsentschädigung, Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung, Abfertigung und restliches Gehalt unter Anrechnung einer einmaligen Zahlung von S 8.343 netto. Nach Zahlung eines als Abfertigung gewidmeten Nettobetrages von S 16.151,33 schränkte die Klägerin das Klagebegehren auf S 42.628,38 brutto abzüglich S 9.312,07 netto sA ein.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Klägerin sei die Verlegung des Arbeitsortes von Schwaz nach Hall in Tirol zumutbar gewesen, weil ihr ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestanden wäre. Das Fernbleiben vom Dienst an der neuen Arbeitsstätte sei ein wichtiger Grund zur Entlassung gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht sei der Klägerin durch die Zurverfügungstellung eines Dienstfahrzeuges für die Fahrten von und zur Arbeitsstätte der Betriebsortswechsel zumutbar gewesen. Bei der Betreuung der Tochter hätte sie disponieren können, da der für die Fahrten erforderliche Zeitaufwand nicht derart ins Gewicht falle, daß man von einer Unzumutbarkeit der Folgepflicht sprechen könne.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß bei der im Sinne des beweglichen Systems vorzunehmenden Interessenabwägung die Erschwernis der Klägerin bei einem in der Berufung zugestandenen täglichen Zeitaufwand von insgesamt 30 Minuten gerade noch zumutbar sei. Das keineswegs selbstverständliche Entgegenkommen des Dienstgebers, die kurzfristige Entfernung der Klägerin von der Arbeitsstelle zur Wohnung bei der Betreuung der Tochter zu dulden bzw das Aufhalten der Tochter am Arbeitsplatz, dürfe sich nicht zu Lasten des Arbeitgebers auswirken, weil auch Arbeitgeberinteressen im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigen seien. Die Versorgung der Tochter betreffe ausschließlich die Privatsphäre, die nicht vorrangig Sache des Arbeitgebers sein könne. Für den Fall der Krankheit der Tochter müsse sie eben im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten disponieren. Auch die Teilzeitbeschäftigung falle nicht ins Gewicht; noch sei die Klägerin von der Betriebsverlegung überrascht worden.

Gegen diese Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Einzelfall die durch die Interessenabwägung begrenzte Zumutbarkeit der Folgepflicht der Klägerin an den neuen Betriebsstandort bejaht, sodaß es insoweit ausreicht, auf die Richtigkeit der diesbezüglichen Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Hinzuzufügen ist noch folgendes:

Die nicht mit dem Regelfall vergleichbaren besonderen (idealen) Arbeitsverhältnisse der Klägerin am bisherigen Betriebsstandort wie die örtliche Lage der Arbeitsstätte im Wohnhaus der Klägerin sowie das besondere, keinesfalls selbstverständliche Entgegenkommen des Dienstgebers, der Klägerin auch während der Arbeitszeit die kurzfristige Betreuung der Tochter in der Wohnung zu ermöglichen bzw den Aufenthalt der Tochter in den Geschäftsräumlichkeiten zu dulden, waren nicht Gegenstand einer besonderen Vereinbarung, sondern das Ergebnis von lokalen Zufälligkeiten, unter denen sich das Arbeitsverhältnis abspielte. Diese Umstände dürfen daher im Rahmen der Interessenabwägung nicht überbewertet werden. Andernfalls müßte nahezu jede Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen, soweit es die Anreisezeiten betrifft, das Verhältnis der neuen zur bisherigen Anreisezeit im Bezug zur täglichen Arbeitszeit wesentlich berühren (ZAS 1995/14 [Vogt] = Arb 11.244).

Subjektive, nicht Gegenstand von besonderen Vereinbarungen bildende zufällige Momente, können nur im Rahmen einer objektiven Interessensabwägung berücksichtigt werden. Danach liegt aber eine Anreisezeit von zweimal je fünfzehn Minuten pro Tag bei Zurverfügungsstellung eines Dienstfahrzeuges im untersten Bereich aller auf dem Arbeitsmarkt auftretenden Anreisezeiten, die auch unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Klägerin als Teilzeitarbeitskraft die Zumutbarkeit der Folgepflicht begründete.

Es ist nämlich keine strenge Relation zwischen Arbeitszeit und Anreisezeit herzustellen, sondern zu berücksichtigen, ob bei der vereinbarten Arbeitszeit die verbleibende restliche Zeit durch die geänderte Anreisezeit unzumutbar betroffen wird. Dies ist im vorliegenden Fall auch ohne Entgeltausgleich zu verneinen. Die der Privatsphäre zuzuordnende, nicht allgemein übliche Einräumung einer fallweisen Betreuungsmöglichkeit der die Volksschule besuchenden Tochter während der Arbeitszeit könnte als Entgegenkommen des Arbeitgebers nur bei entsprechender Vereinbarung Inhalt des Arbeitsvertrages werden und müßte andernfalls durch die jedem Arbeitnehmer zumutbare Umorganisation ausgeglichen werden.

Der Revision kommt aber insoweit Berechtigung zu, als der Klägerin die in ihrem Begehren auf Urlaubsentschädigung eingeschlossene Urlaubsabfindung nicht zugesprochen wurde. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung stellt die Urlaubsabfindung kein aliud, sondern ein minus dar und gebührt, wenn kein Anspruch auf Urlaubsentschädigung besteht (9 ObA 2050/96b, 2051/96z, 2073/96k, 2142/96g ua).

Die vom Beklagten im Rechtsmittelverfahren der Höhe nach nicht bestrittene Urlaubsabfindung war daher zuzusprechen, wobei die von der beklagten Partei erst im Rechtsmittelverfahren eingewendete Überzahlung von S 969,07 nicht zu berücksichtigen war, weil dies eines entsprechenden Vorbringens des Beklagten in erster Instanz bedurft hätte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 2, 50 Abs 1 ZPO. Der geringfügige Prozeßerfolg wirkt sich auf die Kostenentscheidung nicht aus.