JudikaturJustiz9ObA115/02f

9ObA115/02f – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juli 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Ladislav und Peter Scherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Petra Z*****, Arzthelferin, ***** vertreten durch Mag. Andreas Wimmer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei Dr. Gerhard W*****, praktischer Arzt, ***** vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 6.347,83 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Jänner 2002, GZ 12 Ra 398/01p-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. August 2001, GZ 11 Cga 106/01a-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 (darin enthalten EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO); es sei nur darauf hingewiesen, dass eine absichtliche Entgeltschmälerung ohnehin nicht angenommen wurde. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Frage, ob der vorzeitige Austritt der Klägerin berechtigt war, zutreffend bejaht (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend und zur Vermeidung allfälliger Missverständnisse ist den Ausführungen des Revisionswerbers verdeutlichend Folgendes entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen gingen in den Tatsachenfeststellungen davon aus, dass der Beklagte, ein praktischer Arzt, seit Oktober 1998 regelmäßig mit den Gehaltszahlungen der bei ihm als Ordinationshilfe beschäftigten Klägerin - teilweise um einige Tage, teilweise aber auch um mehrere Monate - in Verzug war; so bezahlte er beispielsweise ihr Gehalt für August 1999 erst am 29. 2. 2000. Die Klägerin fragte den Beklagten auf Grund dieser Verspätungen immer wieder, wie es mit den Gehaltszahlungen aussehe; sie bat ihn sogar, sie doch zu "entlassen", weil es mit den Gehaltszahlungen so nicht weitergehen könne. Der Beklagte vertröstete sie hierauf immer wieder. Auf das dem Austritt der Klägerin vorhergehende Jännergehalt 2001 leistete der Beklagte erst am 15. 2. 2001 eine Teilzahlung und blieb den Rest von ATS 2.000 netto schuldig. Die Kammer für Arbeiter und Angestellte Salzburg forderte ihn hierauf mit Schreiben vom 19. 2. 2001 zur ehesten Korrektur und Überweisung der fehlenden Differenz auf das Konto der Klägerin bis 27. 2. 2001, 12.00 Uhr, auf; sollte die Klägerin zu diesem Termin nicht über ihren offenen Entgeltanspruch verfügen können, behalte sie sich den vorzeitigen Austritt vor (Beil ./2). Als der fehlende Betrag der Klägerin bis zum 27. 2. 2001 nicht auf dem Konto zur Verfügung stand, erklärte sie schließlich am 28. 2. 2001 schriftlich ihren vorzeitigen Austritt.

Nach § 15 AngG hat die Zahlung des dem Angestellten zukommenden fortlaufenden Gehalts spätestens am Fünfzehnten und am Letzten eines jeden Monats in zwei annähernd gleichen Beträgen zu erfolgen; die Zahlung für den Schluss eines jeden Kalendermonats kann vereinbart werden. Eine derartige Vereinbarung wurde vom Beklagten nicht behauptet; ungeachtet dessen stand der Klägerin das Gehalt bei den letzten 28 Gehaltszahlungen nie am jeweiligen Schluss des Kalendermonats zur Verfügung.

Gemäß § 26 Z 2 AngG ist es unter anderem als wichtiger Grund anzusehen, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt, wenn der Arbeitgeber das dem Angestellten zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder vorenthält. Von einem "ungebührlichen Vorenthalten" spricht man dann, wenn der Anspruch dem Umfang nach zwar weder bestritten noch bezweifelt, das Entgelt jedoch bei Eintritt des Fälligkeitstermins nicht oder nicht zur Gänze geleistet wird. Für die Verwirklichung dieses Tatbestandes ist es - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - gleichgültig, ob das fällige Entgelt in Benachteiligungsabsicht, aus Nachlässigkeit oder aus Unvermögen vorenthalten wird (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht9 696 f; Arb 10.147; Arb 10.471; wbl 1993, 325 ua).

Der Arbeitgeber hat - entgegen der jahrelangen Praxis des Beklagten - dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer bei Fälligkeit über das Entgelt verfügen kann; bei bargeldloser Lohnzahlung ist dafür die Gutschrift auf dem dem Arbeitgeber bekanntgegebenen Konto des Arbeitnehmers maßgeblich. Der Arbeitgeber hat seine Dispositionen so rechtzeitig zu treffen, dass unter Berücksichtigung der üblichen Bearbeitungsdauer die Gutschrift auf dem Konto zum Zeitpunkt der Fälligkeit verbucht ist (RdW 1985, 150; wbl 1993, 325; infas 1994, A 64; RIS-Justiz RS0028904 ua). Dies hat auch im Falle der Einräumung einer Nachfrist zu gelten, zumal die Klägerin den Beklagten ausdrücklich darauf hinwies, dass sie bis 27. 2. 2001, 12.00 Uhr, über den Rest "verfügen können" muss (Reischauer in Rummel, ABGB³ § 905 Rz 22; RIS-Justiz RS0060153). Den Überlegungen des Revisionswerbers, es wäre auf den Zeitpunkt der Erteilung des Überweisungsauftrages, der ohnehin noch vor Fristablauf erteilt wurde, abzustellen gewesen, fehlt daher jegliche Grundlage. Soweit sich der Revisionswerber bei seiner Argumentation auf den Wortlaut des Schreibens der Arbeiterkammer Salzburg beruft, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich der Wortlaut des Schreibens an den Rechtssätzen der ständigen Rechtsprechung zu diesem Thema orientiert. Es konnte daher für den Beklagten nicht der geringste Zweifel bestehen, dass das Geld der Klägerin bis spätestens 27. 2. 2001 "zur Verfügung stehen" musste (Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG7 301; Schwarz/Löschnigg aaO 389; DRdA 1979, 342; Arb 10.726; RdW 1998, 365 ua); dies war allerdings bei Ablauf der Nachfrist nicht der Fall. Verstößt ein Arbeitgeber - wie der Beklagte - konsequent und hartnäckig gegen die Fälligkeitsbestimmung des § 15 AngG, dann berechtigt dies den Angestellten in der Regel zum Austritt aus dem Grund des § 26 Z 2 AngG (Martinek/Schwarz/Schwarz aaO 573; Arb 10.605; DRdA 1990/12 [Eypeltauer]; RdW 1995, 484 ua). Wird durch das Vorenthalten des Entgelts ein rechtswidriger Dauerzustand geschaffen und damit der Austrittsgrund nach § 26 Z 2 AngG immer wieder von Neuem verwirklicht, so muss der Arbeitgeber jederzeit mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechnen (wbl 1993, 325). Fordert ein Angestellter, der zunächst Zahlungsrückstände durch längere Zeit - zwar immer wieder nachfragend - hingenommen hat, den Arbeitgeber unter Fristsetzung zur Zahlung auf, dann muss sich dieser darüber im Klaren sein, dass eine weitere Stundung der fälligen Bezüge nicht mehr in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0028939). Wenn auch in derartigen Fällen regelmäßig eine nur kurze Nachfrist genügt, muss deren Dauer doch den Arbeitgeber in die Lage versetzen, die erforderlichen Dispositionen zu treffen (Arb 10.605; RIS-Justiz RS0028939). Reicht die gesetzte Nachfrist auf Grund der in der Sphäre des Arbeitgebers gelegenen organisatorischen Schwierigkeiten nicht aus, hat der Arbeitgeber unter gleichzeitigem In-Aussicht-Stellen einer positiven Erledigung um eine entsprechende Erstreckung der Nachfrist zu ersuchen (RIS-Justiz RS0028939/T4); ein derartiges Ersuchen wurde vom Beklagten allerdings nicht gestellt. Wurde dem Arbeitgeber ohnehin der Umstand, dass das Arbeitsentgelt nicht vollständig eingelangt ist, angezeigt, so trifft ihn in der Folge eine erhöhte Sorgfaltspflicht und wird man ihm zumuten müssen, die rechtzeitige Erfüllung der offenen Forderung genau zu überwachen. Ist er neuerlich säumig, kann aus Sicht des Arbeitnehmers nicht mehr angenommen werden, dass der Arbeitgeber tatsächlich noch seinen Zahlungspflichten nachkommen kann oder will (vgl DRdA 1992/19 [Oberhofer/Grömmer]).

Bei der Lagerung des gegenständlichen Falles ist aus dem Umstand, dass dem Beklagten die schriftliche Austrittserklärung erst zu einem Zeitpunkt (1. 3. 2001) zuging, zu dem schließlich auch die Valutastellung des Fehlbetrages von ATS 2.000 erfolgte, nichts zu gewinnen. Der Revisionswerber möchte zwar aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu RdW 1998, 421 ableiten, dass der Austritt der Klägerin unwirksam sei, weil der "unverschuldete" Dauertatbestand bei Zugang der Austrittserklärung nicht mehr vorhanden gewesen sei; dem kann aber nicht beigetreten werden.

Von einer unverschuldeten Säumnis des Beklagten kann hier keine Rede sein; es kann hiezu auf die Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Im Übrigen missdeutet der Revisionswerber die Entscheidung RdW 1998, 421 (vgl auch Kallab, DRdA 1998, 221) zu Unrecht zu seinen Gunsten, die sich auch im Sachverhalt grundlegend vom vorliegenden Fall unterscheidet. Dort wurde nämlich - abweichend - davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerin in ihrem Mahnschreiben vom Arbeitgeber nicht gefordert hat, dass die Verfügungsmöglichkeit innerhalb der Nachfrist einzuräumen ist. Im Übrigen ist zunächst zu beachten, dass die Klägerin dem Beklagten Gelegenheit gegeben hat, den Grund zur vorzeitigen Auflösung binnen einer bestimmten Frist zu beseitigen; eine umgehend nach Scheitern dieser Möglichkeit ausgesprochene Erklärung kann daher in der Regel nicht verspätet sein; eine solche Sicht muss nämlich nicht nur für den Ausspruch der Entlassung, sondern auch für den des Austritts gelten (Martinek/Schwarz/Schwarz aaO 550 f).

Wie der Senat unter Berufung auf Kuderna (Entlassungsrecht² 18 f) zur unterlassenen Dienstleistung ausgesprochen hat, rechtfertigt diese die Entlassung unter Bedachtnahme auf die Obliegenheit der Unverzüglichkeit während des gesamten Zeitraumes, während dessen das pflichtwidrige Verhalten besteht, aber auch noch nach dessen Beendigung; eine Verfristung des Entlassungsgrundes tritt nur dann ein, wenn die Entlassung nach Beendigung des pflichtwidrigen Verhaltens nicht unverzüglich ausgesprochen wird (RdW 1995, 110). Dieser Gedanke kann auch auf ständig wiederkehrende Verspätungen des Arbeitgebers bei der Entgeltleistung übertragen werden. Auch bei der Unterlassung der vollständigen Entgeltleistung handelt es sich um einen Dauertatbestand. Solange die vollständige Entgeltleistung pflichtwidrig unterlassen wird, ist der Austritt jederzeit möglich. Eine Verfristung des Austrittsgrundes tritt nur dann ein, wenn der Austritt nach Beendigung des pflichtwidrigen Verhaltens nicht unverzüglich ausgesprochen wird. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof zu RdW 1998, 421 unter Bezugnahme darauf, dass der Austritt eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, ausgeführt hat, dass der Austrittsgrund im Zeitpunkt des Austritts (Zugehen der Austrittserklärung in den Machtbereich des Arbeitgebers) gegeben sein muss. Es kommt darauf an, dass im Zeitpunkt des Austritts die Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist. Austrittsgrund kann - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - nicht bloß eine (noch) offene Entgeltforderung, sondern auch der Umgang des Arbeitgebers mit einer infolge seiner Säumnis eingeräumten Nachfrist sein. Da der Beklagte, der über 2 Jahre lang kein Monatsentgelt pünktlich bezahlt hatte, nicht einmal der Nachzahlung trotz Nachfristsetzung und ausdrücklich vorbehaltenem Austritt rechtzeitig nachgekommen ist, war der Klägerin eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar. Aus ihrer Sicht konnte nämlich, wie schon vorstehend ausgeführt, nicht mehr angenommen werden, dass der Beklagte in Zukunft das Entgelt pünktlich zahlen werde; ihr vorzeitiger Austritt war daher, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, berechtigt (vgl Arb 10.726).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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