JudikaturJustiz9Ob6/99v

9Ob6/99v – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. März 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Familienrechtssache der Erstantragstellerin Manuela W*****, Angestellte, ***** , vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in Retz, und des Zweitantragstellers Erich W*****, Kaufmann, ***** , vertreten durch Dr. Hans Kaska und Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Zweitantragstellers gegen den Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 24. September 1998, GZ 20 R 171/98g-28, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Stockerau vom 25. Mai 1998, GZ 1 C 44/98z-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Familienrechtssache wird an das Erstgericht zur Durchführung von Erhebungen über die Rechtzeitigkeit des Rekurses zurückverwiesen.

Der Rekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Retz vom 18. 1. 1995 wurde die Ehe der Streitteile nach § 55a EheG geschieden. Die Antragsteller erklärten, auf Rechtsmittel gegen den (mündlich verkündeten) Beschluß zu verzichten. Der Beschluß wurde dem zu diesem Zeitpunkt noch unvertretenen Zweitantragsteller am 6. 2. 1995 zugestellt.

Mit einem am 18. 6. 1997 beim Bezirksgericht Retz eingelangten Schriftsatz beantragte der nunmehr anwaltlich vertretene Zweitantragsteller, ihm "die Scheidungsklage, die Ladung zur Tagsatzung vom 18. 1. 1995 sowie eine Originalvergleichsausfertigung" zuzustellen. Unter Hinweis auf eine gleichzeitig vorgelegte ärztliche Bestätigung brachte er vor, er sei in der Zeit des Scheidungsverfahrens geschäftsunfähig gewesen und in diesem Zustand veranlaßt worden, einen Scheidungsvergleich abzuschließen, der ihm "angeblich" vor Ende Oktober 1995 zugestellt worden sei. Mangels rechtswirksamer Zustellung des Scheidungsvergleiches sei ihm die Möglichkeit eines Rechtsmittels abgeschnitten worden. Das Bezirksgericht Retz ordnete daraufhin die (in der Folge am 23. 7. 1997 erfolgte) Zustellung der Scheidungsklage, der Ladung zur Tagsatzung am 18. 1. 1995 und einer Vergleichsausfertigung an; ob auch der Scheidungsbeschluß zugestellt wurde, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Mit Schriftsatz vom 6. 8. 1997 erhob der Zweitantragsteller daraufhin gegen den Scheidungsbeschluß Rekurs und zog gleichzeitig den Antrag auf Ehescheidung gemäß § 55a EheG zurück.

Mit Beschluß vom 25. 5. 1998 wies das infolge Befangenheit der Vorsteherin des Bezirksgerichtes Retz nunmehr zuständige Bezirksgericht Stockerau diesen Rekurs unter Hinweis auf die bereits am 6. 2. 1995 mit der Zustellung eingetretene Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Selbst wenn der Rekurswerber - wie behauptet - zum Zeitpunkt des Scheidungsverfahrens und auch der Zustellung des Scheidungsbeschlusses geschäfts- und prozeßunfähig gewesen sei, sei die unter dieser Voraussetzung unwirksame Zustellung des Scheidungsbeschlusses nachträglich saniert worden. Mit dem Wegfall der Prozeßunfähigkeit bestehe beim Empfänger der Sendung wiederum die Möglichkeit, von ihr Kenntnis zu nehmen. Voraussetzung dafür sei jedoch das Bewußtsein des Empfängers, daß ihm die betreffende Sendung bereits zugekommen sei. Der Zweitantragsteller habe bereits in einem beim Bezirksgericht Eggenburg zu Nc 8/96g gestellten Protokollarantrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vorgebracht, die Erhebung einer Nichtigkeitsklage zur Beseitigung des Scheidungsbeschlusses zu beabsichtigen. Auch aus einer im Verfahren 2 C 679/95k des BG Stockerau abgelegten Aussage des Zweitantragstellers gehe hervor, daß ihm der Scheidungsvergleich bekannt und daher offenbar infolge Zustellung bereits im Februar 1995 zugekommen sei. Damit sei die Rekursfrist nach Abklingen der Geschäftsfähigkeit spätestens mit 31. 10. 1995 in Lauf gesetzt worden, sodaß der viel später erhobene Rekurs verspätet sei. Daß dem Rekurswerber der angefochtene Beschluß neuerlich zugestellt worden sei, habe keine neue Rechtsmittelfrist ausgelöst.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Zweitantragstellers wegen Aktenwidrigkeit mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben "und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung der Scheidungssache aufzutragen".

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch berechtigt.

Ob der Rekurswerber - wie er behauptet - im Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsbeschlusses prozeßunfähig war, wurde bislang nicht überprüft. Das Rekursgericht erachtete eine derartige Überprüfung im Hinblick auf die von ihm angenommene Sanierung der allenfalls unwirksamen Zustellung als entbehrlich.

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine unwirksame Zustellung an einen Prozeßunfähigen nach Wegfall der Prozeßunfähigkeit saniert wird, hat sich der Oberste Gerichtshof in der ohnedies vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 4 Ob 543/92 = EFSlg 70.549 auseinandergesetzt. Nach dieser Entscheidung, der sich der erkennende Senat anschließt, ist von folgender Rechtslage auszugehen:

Gemäß § 7 ZustG gilt eine mangelhafte Zustellung als in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist. Im Fall der Zustellung an einen Prozeßunfähigen ist diesem zwar das Schriftstück "tatsächlich zugekommen", die Zustellung aber deshalb unwirksam, weil sie vom Prozeßunfähigen wegen seines Geisteszustandes nicht zur Kenntnis genommen werden kann. Mit dem Wegfall der Prozeßunfähigkeit besteht beim Empfänger der Sendung wieder die Möglichkeit der Kenntnisnahme; sie setzt jedoch das Bewußtsein voraus, daß ihm die betreffende Sendung bereits zugekommen ist. An das Wiedererlangen der Prozeßfähigkeit wird daher nicht ohne weiteres die Rechtsfolge des Beginns des Laufes der Rechtsmittelfrist zu knüpfen sein. Vielmehr ist zu prüfen, ob der im Zustellzeitpunkt prozeßunfähige Empfänger zum Zeitpunkt des Wegfalles der Prozeßunfähigkeit das Bewußtsein hatte, daß ihm die Sendung bereits zugekommen ist.

Das Erstgericht hat zu dieser Frage weder Erhebungen durchgeführt noch Feststellungen getroffen. Der Versuch des Rekursgerichtes, die somit fehlende Klarstellung des Sachverhaltes durch Zitate aus einer Eingabe und aus einer Aussage des Zweitantragstellers in anderen Verfahren zu ersetzen, ist aber - wie der Rekurswerber zurecht geltend macht - verfehlt. Die in diesem Zusammenhang vom Rekursgericht hervorgehobene Aussage des Zweitantragstellers im Verfahren 2 C 679/95k ist in keiner Weise geeignet, die fehlenden Feststellungen zu ersetzen. Aus ihr ist in Wahrheit nur seine Äußerung zu entnehmen, ihm sei nunmehr - obwohl er den Beschluß der Scheidung und den Abschluß des Vergleiches nicht so richtig registriert habe - Punkt 9 des Scheidungsvergleiches klar. Dies ist aber - wenngleich es ein Indiz dafür sein mag - mit dem Bewußtsein, ihm sei der Scheidungsbeschluß zugekommen, nicht gleichzusetzen. Gleiches gilt für die Angaben des Zweitantragstellers im Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 23. 1. 1996 zu Nc 8/96. Zwar ist richtig, daß daraus seine Absicht, im Ehescheidungsverfahren eine Nichtigkeitsklage zu erheben, ersichtlich ist; der Scheidungsbeschluß wird aber in diesem Antrag - entgegen den Ausführungen des Rekursgerichtes - mit keinem Wort erwähnt. Damit ist zwar klar, daß der Zweitantragsteller von der Ehescheidung wußte. Seine Absicht, sie rückgängig zu machen, kann aber - wenngleich auch darin ein Indiz dafür liegen mag - mit dem hier maßgebenden Bewußtsein, ihm sei der Scheidungsbeschluß zugekommen, nicht zwingend gleichgesetzt werden, sodaß auch dieser Hinweis die notwendigen Tatsachenfeststellungen nicht ersetzt. Auch in diesem Zusammenhang kann auf die Entscheidung 4 Ob 543/92 verwiesen werden, in der hervorgehoben wurde, daß die Tatsache der Ehescheidung der vormals prozeßunfähigen Empfängerin bewußt gewesen sein dürfte, die sogar die Scheidungsurkunde ihrem Dienstgeber vorgelegt habe. Dessenungeachtet wurden auch in der genannten Entscheidung Feststellungen über das Bewußtsein, die Sendung sei ihr zugekommen, als erforderlich erachtet.

Da somit die Ausführungen des Rekursgerichtes die fehlenden Feststellungen über die Voraussetzungen der Sanierung einer allenfalls unwirksamen Zustellung nicht ersetzen können, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung des Revisionsrekurses aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen, das nach Durchführung geeigneter Erhebungen sämtliche Feststellungen zu treffen haben wird, die im Sinne der dargestellten Rechtslage zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Rekurses des Zweitantragstellers gegen den Scheidungsbeschluß erforderlich sind.

Trotz dieses Rekurserfolges hat der Rekurswerber die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen, weil im Ehescheidungsverfahren nach § 55a EheG kein Kostenersatz stattfindet (RIS-Justiz RS0008496).