JudikaturJustiz9Ob316/99g

9Ob316/99g – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Februar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Catharina F*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den 21. Bezirk, Am Spitz 1, 1210 Wien, dieser vertreten durch Schuppich, Sporn Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Markus L*****, Angestellter, *****, vertreten durch Wolf, Theiss Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung der Vaterschaft und Unterhalts, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. September 1999, GZ 45 R 624/99v-92, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 30. Juni 1999, GZ 24 C 1/97i-85, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin wurde am 26. 2. 1985 als uneheliches Kind der Gabriele M***** geboren. Sie befindet sich seit 1996 in der Obsorge ihres Großvaters, Stefan F*****, des Vaters der Mutter. Der Beklagte war vor mehr als 10 Jahren mit der Mutter für kurze Zeit befreundet. Ob diese Freundschaft auch oder teilweise innerhalb des Zeitraumes von nicht mehr als 302 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Entbindung bestanden hat, konnte ebensowenig wie die Dauer dieser Freundschaft festgestellt werden. Nicht festgestellt werden konnte weiters, ob es in dieser Zeit zwischen dem Beklagten und der Mutter zu einem Geschlechtsverkehr bzw ob es überhaupt jemals zu intimen Kontakten gekommen ist. Es steht jedoch fest, dass die Mutter sowohl ihrem Vater als auch der Klägerin wiederholt mitgeteilt hat, dass der Beklagte der Vater der Klägerin sei.

Die mj. Klägerin begehrt einerseits die Feststellung, dass der Beklagte ihr Vater sei und andererseits dessen Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt ab 1. 1. 1994. Die Mutter habe den Beklagten wiederholt gegenüber verschiedenen Personen als Vater der Klägerin bezeichnet.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Es sei nicht erwiesen, dass er der Mutter innerhalb der Vermutungsfrist des § 163 Abs 1 ABGB beigewohnt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, nachdem sowohl Ladung als auch zwangsweise Vorführung der Mutter gescheitert waren. Unter Zugrundelegung der eingangs wiedergegebenen, insbesondere negativen Feststellungen vertrat es die Rechtsauffassung, dass das Klagebegehren unbegründet sei, weil der Klägerin der Nachweis nicht gelungen sei, dass der Beklagte ihrer Mutter innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist des § 163 Abs 1 ABGB beigewohnt habe. Dass die Mutter gegenüber verschiedenen Personen den Beklagten als Vater der Klägerin bezeichnet habe, begründe noch keine Notwendigkeit, ein serologisches Gutachten einzuholen (EvBl 1978/166). Mangels Vaterschaft des Beklagten bestehe auch keine Unterhaltsverpflichtung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat die Rechtsauffassung, dass der Untersuchungsgrundsatz nicht so weit gehe, dass jeder erdenkliche Nachweis geführt werden müsse. Da kein Nachweis für einen Geschlechtsverkehr des Beklagten mit der Mutter habe erbracht werden können, bestehe auch kein Anlass, ein serologisches Gutachten einzuholen. Dieses sei im Übrigen auch nicht geeignet, die Vaterschaft mit 100 %iger Sicherheit festzustellen. Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung der Klagebegehren abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen das ihnen eingeräumte pflichtgemäße Ermessen nicht voll ausgeschöpft haben; sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Hat ein Mann der Mutter eines unehelichen Kindes innerhalb eines Zeitraumes von nicht mehr als 302 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Entbindung beigewohnt, so wird vermutet, dass er das Kind gezeugt hat (§ 163 Abs 1 Satz 1 ABGB). Die Beweislast für die fristgemäße Beiwohnung trifft das klagende Kind (EFSlg 43.304). Bei Misslingen dieses Beweises (sei es wegen Fehlens der Beiwohnung oder wegen "Fristverletzung") muss die tatsächliche Zeugung durch den in Betracht kommenden Mann mit den üblichen naturwissenschaftlichen Beweismitteln (serologische Untersuchung etc) bewiesen werden (Schwimann/Schwimann, ABGB2 I, § 163 Rz 1; SZ 24/10; EFSlg 6.477 ua).

Gemäß Artikel V Z 5 UeKindG hat das Gericht im Streit über die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für die Entscheidung wichtigen Umstände vollständig aufgeklärt werden (EFSlg 48.376). Streitigkeiten dieser Art werden, anders als im Zivilverfahren sonst, vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Fasching, Lehrbuch2 Rz 662, 2.379; Schwimann/Schwimann aaO Rz 18; EvBl 1994/85 mwN ua), bei dessen Wahrnehmung sich das Gericht ausschließlich von pflichtgemäßem, im Instanzenzug nachprüfbarem Ermessen leiten lassen darf und daher alle Beweise aufzunehmen hat, von welchen eine weitere Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes erwartet werden kann. Solche Beweisaufnahmen sind durchzuführen, wenn sie von keiner Partei beantragt wurden, ja selbst dann, wenn sich die Parteien dagegen ausgesprochen haben (Fasching aaO Rz 2.379; EvBl 1994/85; RZ 1996/34; 7 Ob 2408/96k ua). Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet das Gericht zwar nicht, aller nur erdenklichen, schon von vornherein als überflüssig erkannten Beweise aufzunehmen (EFSlg 59.750; RIS-Justiz RS0043368); doch ist es oberstes Ziel der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung, den wirklichen biologischen Vater zu ermitteln und festzustellen (EvBl 1995/4 ua; vgl auch Familienrechtsreform Kommentar/Wax, § 1600d [neu] BGB, RdNr 3;

Pallandt/Diederichsen, BGB59, § 1600d [neu] RdNr 2;

MünchKomm/Mutschler, BGB3 § 1600o [alt] RdNr 1 u. 2; Soergel/Gaul, BGB12, § 1600o [alt] RdNr 1, 2 u. 4). Es muss ein Maximum und Optimum an richterlicher Ermittlungstätigkeit gefordert werden (EvBl 1994/85;

RZ 1996/34 ua). Zur Erreichung dieses Zieles sind daher weitere Beweise zuzulassen, wenn durch sie eine genauere Aufklärung des Sachverhaltes erwartet werden kann (RZ 1991/11); dazu gehört auch die Einholung serologischer Gutachten (RZ 1996/34).

Ist es Ziel der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung, die größtmögliche Übereinstimmung mit den wahren Abstammungsverhältnissen zu erreichen, dann wird die Forderung nach einem Maximum und Optimum richterlicher Ermittlungstätigkeit im Regelfall nicht erfüllt, wenn sich das Verfahren auf die Vernehmung von Zeugen und Parteien beschränkt. Für die Feststellung der Vaterschaft stehen naturwissenschaftliche Methoden zur Verfügung; ihr Ergebnis kann schon seiner Objektivität wegen nicht durch Aussagen ersetzt werden, die naturgemäß von den Interessen und Empfindungen der Betroffenen geprägt sind. Auch wenn nämlich das Gericht durch den Untersuchungsgrundsatz weder in seiner freien Beweiswürdigung beschränkt noch verpflichtet ist, unnötige Beweise aufzunehmen, ist die Verpflichtung, alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände aufzuklären, regelmäßig nicht erfüllt, solange die durch die Wissenschaft gebotenen Möglichkeiten der Aufklärung der Abstammung nicht genützt sind (RZ 1996/34). Die Ermessensübung des Gerichtes ist daher in diesem Zusammenhang einer besonders strengen Prüfung zu unterziehen (EvBl 1995/4).

Richtig gingen die Vorinstanzen zwar davon aus, dass der Untersuchungsgrundsatz nicht so weit geht, dass jeder Mann ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Beiwohnung innerhalb der kritischen Zeit in die Untersuchung einbezogen wird, nur weil ihn eine Partei als möglichen Vater bezeichnet (EvBl 1978/166; EFSlg 59.751 ua). Eine derartige Verpflichtung besteht vielmehr zufolge § 7 FamRAnglV nur dann, wenn diese Untersuchung zur Feststellung der Abstammung "erforderlich", also im konkreten Fall geboten ist (EvBl 1978/166). Dies ist hier - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - der Fall.

Anders als in dem vom Erstgericht genannten Fall EvBl 1978/166, steht hier gerade nicht fest, dass der Beklagte der Mutter innerhalb der Vermutungsfrist des § 163 Abs 1 ABGB n i c h t beigewohnt hat. Auf Grund der bemerkenswerten Aussage des Beklagten, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob er mit der Mutter sexuelle Kontakte gehabt habe, er könne diese aber auch nicht ausschließen (ON 82, AS 231, 233), sah sich das Erstgericht nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass die Mutter weder freiwillig zu ihrer Vernehmung erschien, noch zwangsweise vorgeführt werden konnte, nicht in der Lage, zum obigen Thema eine positive oder negative Feststellung zu treffen. Auch zum Zeitraum der Bekanntschaft mit der Mutter befragt, hatte der Beklagte erhebliche Erinnerungslücken. Es könne sein, dass dies im Jahr 1984 gewesen sei, es könne aber auch 1983 oder 1985 gewesen sein, es könne in der Vermutungsfrist (30. 4. bis 30. 8. 1984) gewesen sein, es könne aber auch ein anderer Zeitraum gewesen sein (ON 82, AS 231 und 233). Der Beklagte konnte auch nicht sagen, ob er möglicherweise viele wechselnde kurze Bekanntschaften mit sexuellen Kontakten gehabt habe (und sich deshalb nicht mehr an die Mutter der Klägerin erinnern könne); hierauf meinte er nur, dass er neben einer fixen Beziehung keine anderen Bekanntschaften gehabt habe, wobei er sich allerdings nicht mehr erinnern könne, ob er zu dieser Zeit (neben oder nicht neben der Kindesmutter) eine fixe Beziehung gehabt habe (ON 82, AS 233).

Die besondere Konstellation des vorliegenden Falles - Mutter nicht greifbar; der als Vater in Anspruch genommene Beklagte gibt ausweichende Antworten - ändert grundsätzlich nichts an der Beweislast des klagenden Kindes. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Beweislastentscheidung erfolgte jedoch verfrüht; zu einer solchen darf es erst kommen, wenn das Gericht alle angebotenen und - im Falle des Untersuchungsgrundsatzes - alle von Amts wegen aufzunehmenden Beweise aufgenommen hat und dennoch die Vaterschaft des Beklagten zum unehelichen Kind nicht bewiesen werden kann. Ein "non liquet" setzt also das vollständige Ausschöpfen aller möglichen und prozessual zulässigen Beweismittel ohne Gewinnung einer bestimmten richterlichen Überzeugung voraus (Fucik in RZ 1990, 54 [55] mwN; vgl auch MünchKomm/Mutschler aaO RdNr 2). Dies war bisher nicht der Fall; das Erstgericht beschränkte sich auf die Aufnahme von Personalbeweisen. Es kann hier nicht gesagt werden, dass die serologische Untersuchung von vornherein als entbehrlich anzusehen ist, nachdem nicht einmal der Beklagte selbst die Beiwohnung innerhalb der relevanten Vermutungsfrist ausschließt. Der Beklagte wurde von der Mutter wiederholt als Vater der mj. Klägerin bezeichnet. Dass auch andere Männer von ihr als mögliche Väter bezeichnet worden wären, kam nicht hervor. Die bisher aufgenommenen Personalbeweise führten - nicht zuletzt auch bedingt durch das Fernbleiben der Mutter - zu einer Pattstellung zwischen den Parteien. Die Abwägung der für gegen und ein serologisches Gutachten (und allenfalls auch weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen) sprechenden Interessen, muss in Anbetracht des Prozesszieles, den wirklichen biologischen Vater zu ermitteln, zugunsten des klagenden Kindes ausschlagen. Ein Verzicht auf ein Abstammungsgutachten würde in der gegenständlichen Konstellation die legitimen Interessen des klagenden Kindes wesentlich empfindlicher berühren als jene des Beklagten im Falle der Einholung des genannten Gutachtens (vgl auch Staudinger/Rauscher, BGB13 § 1600 [alt] RdNr 9). Das Prozessziel, den wahren Vater zu finden, verbietet den Ausschluss eines Beweismittels, das klärend wirken könnte. Die Sachaufklärung ist zu betreiben, solange weitere Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts4 809 f).

Die Überlegungen des Berufungsgerichtes zur Vaterschaftswahrscheinlichkeit im Falle der Einholung eines serologischen Gutachtens sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht. Im gegenwärtigen Stadium hat im Mittelpunkt der Überlegungen zu stehen, dass alle jene Beweise zuzulassen sind, von denen eine genauere Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes erwartet werden kann (RZ 1991/11; RZ 1996/34; vgl auch Staudinger/Rauscher aaO RdNr 9). In einem Verfahren, in dem der Untersuchungsgrundsatz herrscht, ist die Unterlassung von gebotenen Beweisaufnahmen insoweit revisibel, als die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens zur amtswegigen Wahrheitsforschung verkannt wurden (SZ 49/34 ua; RIS-Justiz RS0043113). Dies ist hier der Fall; die Vorinstanzen haben das ihnen aufgetragene pflichtgemäße Ermessen nicht voll ausgeschöpft. Es bedarf daher einer Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens durch Einholung eines serologischen Gutachtens. Von dessen Ergebnis wird abhängen, welche allenfalls weiteren Beweise aufzunehmen sein werden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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