JudikaturJustiz9Ob2/21s

9Ob2/21s – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Erlagssache der Erlegerin W***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH, gegen die Erlagsgegnerin C*****, wegen Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB, über den Revisionsrekurs der Erlegerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. September 2020, GZ 42 R 274/20k 14, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 18. Juni 2020, GZ 16 Nc 42/20h 4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Erlegerin begehrte die Annahme des gerichtlichen Erlags der im Enteignungsbescheid festgesetzten Entschädigungssumme nach § 35 Abs 2 EisbEG. Im Beschluss über die Annahme des Erlags sei auszusprechen, dass die Ausfolgung nur über gemeinsamen Antrag der Erlegerin und der Erlagsgegnerin oder auf Grundlage einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung erfolgen dürfe.

[2] Das Erstgericht nahm den Erlag an und sprach aus, dass die Ausfolgung über Antrag der Erlagsgegnerin oder aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung erfolge. Die Bedingung, eine Ausfolgung an den Antrag des Erlegers zu binden, sei unwirksam.

[3] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Erlegerin Folge und wies den Erlagsantrag ab. Ausfolgungsbedingungen könnten nur zur Gänze angenommen oder abgelehnt werden, die Bewilligung anderer Ausfolgungsbedingungen sei die Bewilligung eines wesensmäßig anderen Erlags. Daher könne auch keine Teilrechtskraft eintreten, die Berechtigung des Erlags sei aufgrund des Rekurses insgesamt zu überprüfen.

[4] Ein Erlag nach § 35 Abs 2 EisbEG in Verbindung mit § 1425 ABGB komme nicht in Betracht, weil die von der Erlegerin gewünschte Ausfolgungsbedingung der nach § 1425 ABGB notwendigen Tilgungswirkung eines Erlags entgegenstehe. Der Erlagsantrag sei daher abzuweisen.

[5] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob es sich bei einer Hinterlegung nach § 35 Abs 2 EisbEG in Verbindung mit dem Enteignungsbescheid um einen eigenständigen anderen wichtigen Erlagsgrund nach § 1425 ABGB handle. Auch die Frage der schuldbefreienden Wirkung des gerichtlichen Erlags als Voraussetzung in einem Enteignungsverfahren sei höchstgerichtlich nicht geklärt.

[6] Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Erlegerin die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses dahingehend, dass ihrem Erlagsantrag vollinhaltlich entsprochen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Nach § 35 Abs 2 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (EisbEG) ist der Vollzug (der Enteignung) auf Antrag des Eisenbahnunternehmens zu bewilligen, wenn es die im rechtskräftigen Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung geleistet oder gerichtlich hinterlegt und die in diesem Bescheid festgesetzte Sicherheit geleistet hat.

[9] Durch diese Bestimmung wird die Leistung des Entschädigungsbetrags und dessen Erlag hinsichtlich ihrer Rechtsfolge gleichgestellt, aber keine Aussage über die Berechtigung der Hinterlegung getroffen. Damit kann aus ihr auch kein Wahlrecht des Erlegenden, wie er die Entschädigung zu leisten habe, abgeleitet werden.

[10] 2. Der von der Erlegerin zitierte Erwägungsgrund in den Materialien (RV 225 BlgNR 22. GP 22), dass „der Vollzug bewilligt wird, wenn die Entschädigung gezahlt oder hinterlegt ist (sei es nach § 34 EisbEG, sei es auch nach § 1425 ABGB)“ , belegt, dass § 35 EisbEG nur die Rechtsfolge des Erlags regelt, für die Frage, ob der Erlag überhaupt zulässig ist, aber auf andere Bestimmungen zurückzugreifen ist. Mangels sonstiger Erlagstatbestände ist im konkreten Fall die allgemeine Norm des § 1425 ABGB anzuwenden.

[11] 3. Nach dem Wortlaut des § 1425 ABGB befreit eine gerichtliche Hinterlegung, wenn sie rechtmäßig geschehen und dem Gläubiger bekannt gemacht worden ist, den Schuldner von seiner Verbindlichkeit. Demnach ist die Hinterlegung nach § 1425 ABGB auf die Schuldbefreiung des Erlegers gerichtet (RS0033640 [T3]; 8 Ob 31/11h). Der gerichtliche Erlag nach § 1425 ABGB soll dem leistungsbereiten Schuldner, der sich aus wichtigen Gründen nicht von seiner Schuld befreien kann, als Erfüllungssurrogat dienen (RS0033636 [T6]).

[12] 4. Eine Bindung der Ausfolgung an die Zustimmung des Erlegers führt dazu, dass dem Erlag keine schuldbefreiende Wirkung zukommt (4 Ob 170/12x; 8 Ob 31/11h). Die Hinterlegung ist aber unzulässig, wenn sie von vornherein nicht geeignet ist, die Tilgung einer Schuld herbeizuführen (8 Ob 117/18s mwN).

[13] 5. Anders als die vorbehaltlose und rechtmäßige Hinterlegung hat auch die Hinterlegung unter Widerrufsvorbehalt keine Erfüllungs- und damit keine Befreiungswirkung (8 Ob 31/11h; 4 Ob 170/12x). Die Tilgungswirkung tritt in diesem Fall erst ein, wenn ein Widerruf nicht mehr möglich ist, etwa weil die vom Schuldner selbst bestimmte Widerrufsfrist abgelaufen ist oder der Ausfolgungsbeschluss Rechtskraft erlangt hat (vgl 8 Ob 117/18s).

[14] 6. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Rechtsprechung beim gerichtlichen Erlag in einem Enteignungsentschädigungsverfahren nicht gelten sollte. Weder ein öffentliches Interesse an einer raschen Umsetzung der Enteignung noch eine mögliche Herabsetzung der Entschädigungssumme im gerichtlichen Verfahren bieten dafür eine Grundlage.

[15] Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 1 Ob 263/03p im Anschluss an Rummel (Zur Hinterlegung der Entschädigung bei Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz, JBl 1994, 390) darauf hingewiesen, dass die verzögerte Ausfolgung des Entschädigungsbetrags – erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens – für einen Enteigneten allenfalls ruinös sein könne und der wirtschaftliche Druck, der beim Enteigneten bewirkt werde, mit der Zielsetzung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG) unvereinbar sei. Werde der Erlagsbetrag vorläufig „eingefroren“, könne er also weder an den Erlagsgegner noch an den Erleger ausgefolgt werden, so widerspräche dies dem einem Enteignungsverfahren immanenten generellen Prinzip, dass die Zahlung der Entschädigungssumme und der Vollzug der Enteignung Zug um Zug zu erfolgen hätten. Lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung sei offen, wenn die gerichtliche Entscheidung begehrt werde. Es stehe aber fest, dass eine Entschädigung zu leisten sei, die dem Enteigneten, der aufgrund des massiven Eingriffs in seine Rechte besonders schützenswert ist, raschest möglich zukommen solle. Müsse in der Folge, wenn die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werde, der Enteignete einen Teil des ihm ausgefolgten Betrags zurückzahlen, so rechtfertige es ein solcher (eher seltener) Verfahrensgang noch nicht, dem Enteigneten die Auszahlung einer wenn auch nur vorläufig behördlich festgelegt gewesenen Entschädigungssumme unter Umständen langfristig zu verwehren und ihn so gegebenenfalls großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen (vgl auch RS0118518).

[16] Durch die Möglichkeit, die Enteignung vor einer rechtskräftigen gerichtlichen Festsetzung der Entschädigungssumme zu vollziehen, trägt der Gesetzgeber dem allenfalls bestehenden öffentlichen Bedürfnis nach einer raschen Umsetzung Rechnung. Indem er diese aber von der Leistung der Entschädigung, allenfalls auch im Wege der gerichtlichen Hinterlegung abhängig macht, berücksichtigt er zugleich die Interessen des Enteigneten an einem wirtschaftlichen Ausgleich zum Zeitpunkt der Enteignung.

[17] 7. Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit der zitierten Judikatur im Einklang. Die Ausfolgung wurde zu Unrecht an die Zustimmung der Erlegerin geknüpft. Damit kann der Erlag keine schuldbefreiende Wirkung haben und somit sein Ziel nicht erreichen.

[18] 8. Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurs keine Rechtsfrage der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass er zurückzuweisen war. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.