JudikaturJustiz8ObS77/99b

8ObS77/99b – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. April 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter o Univ. Prof. Dr. Theodor Tomandl und Mag. Kurt Retzer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Leopold G*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Bundessozialamt Steiermark, Graz, Babenbergerstraße 35, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 5.893,89 netto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 1998, GZ 8 Rs 197/98x-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. April 1998, GZ 37 Cgs 120/98t-5, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war vom 20. 2. 1984 bis 8. 3. 1996 im Tischlereibetrieb des Helmut W***** als Arbeiter beschäftigt und verdiente zuletzt monatlich S 17.000,-- brutto (14 x jährlich). Das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung. Mit Urteil des Erstgerichtes vom 23. 4. 1997, AZ 33 Cga 97/96, das dem Klagevertreter am 27. 6. 1997 zugestellt wurde, wurde das Begehren des Klägers auf Bezahlung einer gesetzlichen Abfertigung von S 78.469,52 brutto samt 4, 5 % Zinsen seit 9. 3. 1996 abgewiesen. Das Unternehmen seines ehemaligen Dienstgebers sei im zeitlichen Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgelöst worden und dessen persönliche Wirtschaftslage habe sich derart verschlechtert, daß ihm die Erfüllung der genannten Verpflichtung zur Gänze billigerweise nicht zugemutet werden könne (§ 23 Abs 2 AngG iVm § 2 Abs 1 ArbAbfG). Der Kläger beantragte am 6. 8. 1997 Insolvenz-Ausfallgeld für seine Abfertigung von S 73.761,34 netto gemäß § 1a IESG sowie S 5.893,89 netto an Zinsen für die Zeit vom 9. 3. 1996 (Tag nach der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses) bis 26. 12. 1997 (6 Monate ab Eintritt der Rechtskraft). Die beklagte Partei gewährte dem Kläger Insolvenz-Ausfallgeld für die Abfertigung (einschließlich eines Kostenbetrages von S 2.910,--) von S 76.671,-- und lehnte mit gesonderten Bescheid vom 29. 1. 1998 den geforderten Zinsenbetrag ab, weil ein solches Begehren im Gesetz und insbesondere im § 3 Abs 2 Z 2 IESG nicht gedeckt sei.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger einen Zinsenbetrag von S 5.893,89.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ungeachtet der Tatsache, daß § 3 Abs 2 Z 2 IESG nur Insolvenz-Ausfallgeld für Zinsen aus Ansprüchen vorsehe, die gemäß § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG, nicht dagegen für solche, die nach § 1a IESG gesichert seien, sei auch Insolvenz-Ausfallgeld für Zinsen aus nach § 1a IESG gesicherte Ansprüche zu gewähren. Dies gebiete die anzustrebende Gleichstellung von Arbeitnehmern, über deren Arbeitgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet oder abgelehnt worden sei, mit den Arbeitnehmern anderer zahlungsunfähiger Arbeitgeber.

Infolge Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung im Sinn der Klagsabweisung ab und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu. Nach dem Wortlaut des Gesetzes stünden Zinsen nach § 3 Abs 2 Z 2 IESG (seit der Novelle 1997 § 3 Abs 2 IESG) zwar für jene Ansprüche zu, die gemäß § 1 Abs 2 Z 1 bis 3 IESG gesichert seien, nicht aber für solche, die - wie der vorliegende Abfertigungsersatz - nach § 1a IESG eine Sicherung erführen. Zwar seien Verzugs- und Prozeßzinsen bereits zu einer Zeit gewährt worden, als Zinsen im IESG überhaupt noch nicht erwähnt worden waren; Ziel der Einführung des § 3 Abs 2 Z 2 IESG sei es daher lediglich gewesen, den Insolvenz-Ausfallgeldanspruch für Zinsen auf die Zeit bis zum Ablauf der Frist des § 6 Abs 1 IESG zu begrenzen. Es bestehe jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen der Sicherung der im § 1 Abs 2 IESG genannten Ansprüche und jener Sicherung, der eine entfallende Abfertigung teilhaftig werde. Die nach § 1 Abs 2 IESG genannten Ansprüche würden gegenüber dem Arbeitgeber existent. Sie blieben auch nach Anmeldung im Konkurs oder Antragstellung beim Bundessozialamt insofern, als sie auf den Insolvenz-Ausfallgeldfond übergingen, bestehen. Wollte man dagegen dem Arbeitnehmer in einem Fall wie dem vorliegenden eine Sicherung für Zinsen zuzuerkennen, dann wäre dies eine Zuerkennung für Zinsen aus einem niemals existent gewordenen Anspruch. Es wäre ausschließlich Sache des Gesetzgebers, einen derartigen Anspruch zu sichern. Im übrigen sei § 3 Abs 2 Z 2 IESG auch nicht auf den Ersatz nicht existenter Zinsenansprüche konzipiert und es wären die gegenständlichen Abfertigungsansprüche, selbst wenn sie als existenter Anspruch gesichert wären, nicht zur Gänze am Tag nach Beendigung des Dienstverhältnisses fällig geworden.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob ein Arbeitnehmer, der gemäß § 1a IESG Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld hat, auch einen Anspruch auf Verzinsung iSd § 3 Abs 2 Z 2 (nunmehr § 3 Abs 2) IESG hat, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehlt und diese Frage auch von der Lehre nicht behandelt wird. Die Entscheidung vom 11. 2. 1999, 8 ObS 11/99x, die eine gleichartige Forderung aus einem Arbeitsverhältnis gegenüber demselben Arbeitgeber betraf, konnte im Berufungsverfahren (Urteil vom 17. 12. 1998) noch nicht berücksichtigt werden. Es ist daher zu dieser erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG Stellung zu nehmen.

Die Revision ist im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt.

In den Erläuterungen (RV 738 BlgNR 18. GP, 5) wird lediglich angeführt, bei den Ansprüchen nach § 1a Abs 1 IESG handle es sich um eine Erweiterung der gesicherten Ansprüche zur Vermeidung sozialer Härten; zu dem hier strittigen Problem ist aus ihnen jedoch nichts zu entnehmen. Schon gar nichts ist aus der Insolvenz-Richtlinie zu gewinnen; es ist zweifellos richtig, daß nach dieser keine Verpflichtung zur Sicherung derartiger Abfertigungsansprüche bestehe; die Richtlinie verlangt nur eine gewisse Mindestsicherung, verbietet aber keineswegs eine darüberhinausgehende Sicherung.

Der Anspruch nach § 1a IESG wurde offenbar aus Übersichtsgründen nicht in den Katalog nach § 1 Abs 2 IESG aufgenommen, sondern in einem eigenen Paragraphen geregelt und dort auch gewisse Sonderbestimmungen, die sich aus der von den sonstigen gesicherten Ansprüchen abweichenden Konstruktion ergeben, getroffen. Zuzugeben ist, daß Zinsen im § 1a Abs 2 IESG nicht ausdrücklich genannt sind, obwohl der Anspruch auf Kosten und Barauslagen ausdrücklich erwähnt ist. Die gesonderte Nennung der dem Arbeitnehmer im - verlorenen - Prozeß gegen den Arbeitgeber erwachsenen Kosten und Barauslagen sowie der von ihm zu ersetzenden Kosten ist aber daraus zu erklären, daß nach § 1 Abs 2 Z 4 IESG die dem Arbeitnehmer durch den Verlust eines Prozesses gegen den Arbeitgeber erwachsenen Kosten nicht gesichert sind. Für den Anspruch auf Zinsen genügt hingegen der in § 1a Abs 3 IESG enthaltene Hinweis, daß im übrigen die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten, da der Zinsenanspruch nach § 3 Abs 2 IESG nur das Bestehen eines fälligen gesicherten Anspruches voraussetzt. Im übrigen werden für den Anspruch nach § 1a IESG nicht passende Bestimmungen durch Abs 3 dieser Norm modifiziert: So ist ua ausdrücklich vorgesehen, daß ein Insolvenztatbestand iSd § 1 Abs 1 IESG nicht erforderlich ist; dieses Erfordernis wird gemäß Abs 1 durch ein Urteil ersetzt, in dem die Prüfung ergab, daß sich die persönliche Wirtschaftslage des ehemaligen Arbeitgebers derart verschlechtert hat, daß ihm die Erfüllung der Zahlung der Abfertigung zum Teil oder zur Gänze billigerweise nicht zugemutet werden kann, und dieser deshalb von der Zahlung der Abfertigung gegenüber seinem ehemaligen Dienstnehmer ganz oder teilweise befreit wurde. Das zeigt deutlich, daß der Arbeitnehmer, der aus diesem Grund von seinem Arbeitgeber keine (oder keine volle) Abfertigung erhalten kann, nicht schlechter als andere Arbeitnehmer gestellt werden sollte; es wurden nur - der besonderen Sachlage entsprechend - andere Anforderungen an den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld gestellt. Daraus kann - entgegen der Auffassung der beklagten Partei - nicht geschlossen werden, daß dieser Abfertigungsanspruch "weniger dringlich" sei, weshalb es der Gesetzgeber bewußt unterlassen habe, auch Zinsen hiefür vorzusehen.

§ 1a IESG stellt auch keine völlig systemwidrige Ausnahmebestimmung dar; der Gesetzgeber hat auch in anderen Fällen zur Vermeidung sozialer Härten Ansprüche gesichert, die im Insolvenzverfahren nicht bestehen. So gebühren Arbeitnehmern entgegen § 58 Z 1 KO Zinsen auch für die Zeit nach der Konkurseröffnung (§ 3 Abs 2 Z 2, nunmehr § 3 Abs 2 IESG).

Handelt es sich schon bei dem Grundanspruch nach § 1a Abs 1 IESG um einen von einem Anspruch gegen den Arbeitgeber losgelösten insolvenzentgeltgesicherten Anspruch des Arbeitnehmers, so ist nicht recht erkennbar, warum dies gerade für die Zinsen nicht gelten sollte.

Aufgrund des Umstandes, daß der Grundanspruch von einem rechtskräftigen Urteil bestimmter Art abhängt, ist es auch durchaus sachgemäß, daß die Antragsfrist des § 6 Abs 1 IESG mit der Zustellung des rechtskräftig gewordenen Urteils zu laufen beginnt und Zinsen bis zum Ablauf dieser Frist (§ 3 Abs 2 Z 2 IESG, nunmehr § 3 Abs 2 IESG) gebühren. Eine Einschränkung dahingehend, daß der Anspruch auf Zinsen nicht mit dem Zeitpunkt, in dem der Abfertigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen ehemaligen Arbeitnehmer grundsätzlich fällig wurde, zu laufen beginnen sollte, ist nicht ersichtlich: Dem Kläger, dessen Abfertigungsanspruch gegen den ehemaligen Arbeitgeber nur wegen der unbilligen Härte, die mit der Zahlung für diesen verbunden wäre, gestrichen oder gekürzt wurde, der ihn aber im übrigen zur Gänze aus öffentlichen Mitteln ersetzt bekommt, sollen Zinsen ab Fälligkeit und nicht erst ab einem späteren Zeitpunkt (welchem?) und daher in einem geringeren Ausmaß zustehen.

Der Anspruch auf Zinsen für nach § 1a IESG gesicherte Abfertigungsansprüche besteht daher dem Grunde nach zu Recht.

Es ist aber darauf hinzuweisen, daß mangels eines entsprechenden originären Anspruches gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis der Zuspruch höherer als der gesetzlichen Zinsen von 4 % pa gemäß § 1333 ABGB iVm § 2 des Gesetzes RGBl 62/1868 jedenfalls nicht gerechtfertigt ist. Der nur in Arbeitsrechtssachen anzuwendende, durch die ASGG-Nov BGBl 624/1994 eingefügte § 49a ASGG soll nach den EB zur RV 1654 BlgNR 18. GP 34 durch sachgerechte Anhebung des gesetzlichen Jahreszinssatzes einen zusätzliche Anreiz zur pünktlichen Zahlung arbeitsrechtlicher Forderungen schaffen. Dieser Gesetzeszweck wurde in den Materialien zur WGN 1997, mit der § 49a ASGG durch eine wesentliche Erhöhung des Zinssatzes abgeändert wurde, noch mehr betont; der derzeitige Gesamtzinssatz von 4,5 % (Diskontsatz von 2,5 % zuzüglich 2 %) reiche nicht aus, um einzelne "schwarze Schafe" davon abzuhalten, sich durch rechtlich völlig unbegründete Leistungsverweigerungen auf Kosten von Anspruchsberechtigten und Mitbewerbern Vorteile zu verschaffen, die insbesondere in der Ersparnis der üblichen bankmäßigen Kreditzinsen lägen (EB zu RV 898 BlgNR 20. GP 55 f). Darüber hinaus ist § 49a Satz 2 ASGG allenfalls dann anwendbar, wenn es sich um den Verzug des Arbeitgebers handelt, nicht aber dann, wenn ein Verzug des Arbeitgebers und damit ein originärer Zinsenanspruch gegen diesen als Grundlage für den gesicherten Anspruch ausscheidet (vgl 8 ObS 2314/96v = SSV-NF 11/28).

Allerdings hat das Erstgericht übersehen, daß nicht der gesamte Abfertigungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wurde, sondern nur soweit die Abfertigung den Betrag des dreifachen Monatsbezugs nicht übersteigt (§ 2 Abs 1 ArbAbfG iVm § 23 Abs 4 AngG). Der darüber hinausgehende Abfertigungsanspruch wird erst später fällig, woraus sich zusätzlich (neben der Reduktion der Verzinsung von 4,5 % auf 4 %) ergibt, daß der dem Kläger zustehende Zinsenanspruch geringer als der eingeklagte Betrag ist. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden gemäß § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur abschließenden Beurteilung der Höhe des Klagsanspruchs wegen der sich ergebenden Notwendigkeit eingehender Berechnungen (gestaffelte Fälligkeit) zurückverwiesen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 77 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.