JudikaturJustiz8ObS18/06i

8ObS18/06i – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Robert H*****, vertreten durch Mag. Gernot Schaar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen EUR 72.040,29 sA, Insolvenz-Ausfallgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 16. August 2006, GZ 7 Rs 93/06g-11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28. November 2005, GZ 32 Cgs 198/05z-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind Kosten des weiteren Verfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger war seit August 1998 bei der Gemeinschuldnerin zuerst mit einem Monatsgehalt von S 40.000,-- zuzüglich S 12.000,-- Kilometergeldpauschale und S 4.000,-- Diätenpauschale, insgesamt also S 56.000,-- beschäftigt. Im darauf folgenden April 1999 teilte ihm der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin mit, dass das Unternehmen praktisch vor dem Konkurs stehe. Der Kläger erklärte sich daraufhin bereit, ein „Darlehen" zu gewähren, in dem er 10 % der Gesellschaftsanteile für S 1,5 Mio erwirbt. Weiters wurde vereinbart, dass sein Gehalt auf S 28.000 brutto Grundgehalt sowie weiterer S 15.000,-- als Budget für Dienstfahrzeug, Reisediäten und diverse Barauslagen reduziert werden sollte. Eine Gegenverrechnung von 20 % der KFZ-Betriebskosten war vorgesehen. Als es in weiterer Folge dann dem Unternehmen wieder schlechter ging, vereinbarte der Kläger mit der späteren Gemeinschuldnerin, dass er in etwa ein Drittel seines Gehaltes stunde, bis es dem Unternehmen wieder besser gehe. Er erhielt dann ab Jänner 2000 ein monatliches Bruttogehalt von EUR 3.141,13 was ungefähr zwei Drittel des zuvor bezahlten Gehaltes entsprach. Mit dem verbleibenden Drittel sollten weiter 20 % der KFZ-Betriebskosten gegenverrechnet werden. Auch war vorgesehen, dass dann, wenn es dem Unternehmen wieder besser gehen sollte, eine Nachzahlung der gestundeten Gehaltsbestandteile abzüglich der gegenverrechneten KFZ-Betriebskosten erfolgen sollte. Mit diesem gestundeten Drittel des Gehaltes wurden auch private Rechnungen des Klägers in Höhe von EUR 2.326,69 gegenverrechnet.

Auch danach verschlechterte sich wieder die finanzielle Situation der Gemeinschuldnerin und es kam zu verspäteten Gehaltszahlungen auch des reduzierten Gehaltes. Letztlich wurde in den Monaten Oktober 2002, Februar 2003 sowie April bis August 2003 überhaupt kein Gehalt mehr gezahlt und der Kläger am 26. August 2003 entlassen. Der Kläger hat diese Entlassung angefochten und auch eine Klage am 25. 9. 2003 betreffend die aushaftenden Gehälter eingebracht. Bereits vor seiner Entlassung am 26. 8. 2003 hatte er die spätere Gemeinschuldnerin zur Leistung der fälligen Entgelte unter Setzung einer Nachfrist aufgefordert.

Über das Unternehmen wurde schließlich am 19. 1. 2004 der Ausgleich und am 1. 4. 2004 der Anschlusskonkurs eröffnet. Im Anfechtungsverfahren schloss der Kläger am 21. 1. 2005 einen Vergleich, in dem er mit dem Masseverwalter die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses zur Gemeinschuldnerin mit 31. 3. 2004 vereinbarte und der Masseverwalter einen Betrag von EUR 33.932,24 brutto als Konkursforderung anerkannte und auch die Verpflichtung der Masse zur Leistung der Pauschalgebühren. In dem Leistungsverfahren wurden Konkursforderungen in Höhe von EUR 31.346,11 brutto samt Zinsen und Kosten zugunsten des Klägers festgestellt.

Mit seinem Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von EUR 85.293,29 macht der Kläger im Wesentlichen die offenen Gehaltsforderungen, die Beendigungsansprüche sowie die Kosten geltend.

Die Beklagte hat diesen Antrag zur Gänze im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass eine sittenwidrige Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds vorliege, habe der Kläger doch 51 Monate sein Gehalt nicht zur Gänze erhalten und dem Dienstgeber selbst erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt. Mit seiner Klage begehrt der Kläger zuletzt EUR 72.040,29 sA an Insolvenz-Ausfallgeld im Wesentlichen für die Ansprüche aus der Beendigung und seine offenen Entgeltansprüche. Er sei für die Gemeinschuldnerin weder vertretungsbefugt gewesen noch deren leitender Angestellter und habe auch als Gesellschafter keinen maßgeblichen Einfluss gehabt. Er habe in keiner Weise versucht das Finanzierungsrisiko zu überwälzen, sondern vielmehr zur Deckung kurzfristiger Finanzierungsengpässe beigetragen. Auch andere Gläubiger hätten an die Sanierbarkeit des Unternehmens geglaubt. Als schließlich die Gehaltszahlungen eingestellt worden seien, habe er seine Ansprüche auch geltend gemacht. Noch im Jahr 2002 sei es zum Ankauf des Kundenstockes eines anderen Unternehmens gekommen, um den Fortbestand der späteren Gemeinschuldnerin zu sichern. Selbst im Zeitpunkt der unberechtigten Entlassung des Klägers sei es dem Unternehmen dadurch noch besser gegangen und habe auch der Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin noch an den Fortbestand des Unternehmens geglaubt. Dass der fast 50-jährige Kläger, dem die Arbeitslosigkeit gedroht habe, mit der Einklagung seiner Ansprüche etwa vier Monate gewartet habe, sei ihm keinesfalls vorzuwerfen. Im Übrigen erstattete der Kläger noch Ausführungen zur Höhe der von der Beklagten teilweise auch insoweit bestrittenen Ansprüche.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass unter Anwendung des sogenannten „Fremdvergleiches" davon auszugehen sei, dass ein durchschnittlicher unbeteiligter Arbeitnehmer sich hier anders verhalten hätte als der Kläger. Habe dieser doch nicht nur ein Darlehen gegeben und zweimal einer Reduktion seines Gehaltes zugestimmt, sondern auch noch die verspätete Gehaltszahlung toleriert. Daraus sei zumindest der bedingte Vorsatz abzuleiten, den Insolvenz-Ausfallgeldfond sittenwidrig zu schmälern. Bei Kenntnis der prekären Lage des Unternehmens und bei Vorliegen besonderer Umstände könne auch schon bei einem geringeren Rückstand als 6 Monate von einem solchen Vorsatz ausgegangen werden. Weiters erstattete die Beklagte noch ein umfangreiches Vorbringen zur Höhe der Ansprüche.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging davon aus, dass der Kläger doch bereits 1999 um die prekäre finanzielle Situation des Unternehmens gewusst und unter anderem einer Stundung eines Drittels seines Gehaltes zugestimmt habe. Dies sei schon im Hinblick auf § 15 iVm § 40 AngG ausgeschlossen. Trotzdem sei der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten ab Beginn der nicht mehr vollständigen Bezahlung seines Gehaltes ausgetreten. Es liege sohin seit Mitte 2000 ein atypisches Arbeitsverhältnis vor, das nicht in den Schutzbereich des IESG falle.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Der Kläger sei, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ab 2003 noch schlechter war als zuvor und sein Gehalt nicht bezahlt wurde, nicht vorzeitig ausgetreten. Der Kläger als Prokurist habe auch eine besondere Nahebeziehung zum Arbeitgeber gehabt. Auch eine Teilung zwischen den hier gestundeten Beträgen und den ausbezahlten Beträgen könne nicht vorgenommen werden.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO als nicht zulässig, da nur die Durchführung des „Fremdvergleichs" im Einzelfall zu beurteilen sei.

Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend macht der Kläger geltend, dass sich das Berufungsgericht mit der Frage, ob allein durch das „Stehenlassen" der Gehälter ein Ausschluss von Ansprüchen gegen den Insolvenz-Ausfallgeldfond bewirkt werden kann bzw inwieweit es hier einer „besonderen Nahebeziehung" bedarf nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Dazu ist insbesondere auf die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nach dem Inkrafttreten der IESG-Novelle BGBl I 142/2000 zu verweisen. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass nach dieser - hier nunmehr anzuwendenden Rechtslage - die Sicherung ohnehin auf die in den letzten 6 Monaten vor dem Stichtag oder dem Ende des Arbeitsverhältnisses fälligen bzw entsprechend berechtigt geltend gemachten Ansprüchen beschränkt ist (vgl auch § 3a IESG). Insoweit wurde das Problem des „Stehenlassens" des laufenden Entgeltes durch den Gesetzgeber ausdrücklich geregelt und erfasst. Im Hinblick darauf kann aber allein aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens" von Entgeltansprüchen grundsätzlich nicht darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds überwälzen wollte (OGH 8 ObS 14/06a, 8 ObS 195/02p, 8 ObS 22/04z und 8 ObS 20/04f ua). Nur dann, wenn zu dem „Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret den Vorsatz des Arbeitnehmers erschließen lassen, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, kann die Geltendmachung des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld missbräuchlich sein (OGH 8 ObS 14/06a oder OGH 8 ObS 3/05g uva).

Solche konkreten anderen Umstände sind hier aber nicht ersichtlich. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer hier selbst der Gesellschaft noch Kapital zugeführt hat, spricht gerade nicht dafür, dass er im Ergebnis nur deshalb weiter gearbeitet hat, weil er davon ausgegangen ist, sein Geld nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeldfond zu erhalten. Auch die Vereinbarung betreffend die Entgeltreduktion lässt gerade auf die gegenteilige Absicht schließen, nämlich hier durch eine den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen angepasstere Entgeltregelung den Weiterbestand des Unternehmens und damit auch die Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber zu sichern. Was nun die Vereinbarung anlangt, ein Drittel seines Gehaltes zu stunden, bis es dem „Unternehmen wieder besser gehe", ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof grundsätzlich dann, wenn eine klare Trennung der verschiedenen Gehaltsbestandteile möglich war, auch eine getrennte Beurteilung für möglich erachtet hat (RIS-Justiz RS00115455 mwN zuletzt etwa OGH 8 ObS 202/02t). Die Beurteilung, inwieweit hier von einer missbräuchlichen Geltendmachung hinsichtlich dieser Entgeltteile ausgegangen werden kann, ist im Sinne einer möglichst richtlinienkonformen Interpretation auch unter Beachtung der sogenannten Insolvenz-Richtlinie 80/987/EWG (geändert durch die Richtlinie 2002/74/EG) vorzunehmen. Der Art 10 dieser Richtlinie legt in seinen lit a und b unter anderem fest, dass die Richtlinie nicht notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Missbräuchen entgegensteht oder der Ablehnung der Zahlung, wenn sich herausstellt, dass die Erfüllung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und den Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist (vgl allgemein zum Grundsatz der engen Auslegung dieser Ausnahmebestimmungen EuGH 11. 9. 2003 Rs C-201/01 Walcher Slg 2003 S I-08827 Rz 38). Es bedarf aber ohnehin keines näheren Eingehens auf die Frage, ob die „gestundeten" Entgeltteile dem Insolvenzentgeltfonds gegenüber überhaupt wirksam geltend gemacht werden könnten, da dies ohnehin nicht erfolgt ist, sondern der Kläger bei seiner Klage ohnehin von dem zuletzt aktuell zu leistenden Entgelt von EUR 3.141,13 ausgegangen ist (vgl 23 Cga 238/03t). Jedenfalls hat die Beklagte insoweit keine konkreten Einwendungen erhoben.

Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass die Beklagte hier besondere Umstände, die einer Geltendmachung der Ansprüche nach dem IESG entgegen stehen würden, nicht nachweisen konnte. Da jedoch die Ansprüche der Höhe nach strittig sind und entsprechende Feststellungen und Erörterungen nicht vorgenommen wurden, war die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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