JudikaturJustiz8ObA32/23y

8ObA32/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Forsthuber Partner, Rechtsanwälte in Baden, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, Bildungsdirektion Burgenland, 7001 Eisenstadt, Kernausteig 3, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 32 Cga 25/21h des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. April 2023, GZ 8 Ra 13/23z 6, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Im Vorverfahren wurde die von der Klägerin mit einer Diskriminierung aufgrund ihres Alters und ihrer Weltanschauung begründete Klage mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Erstgerichts vom 25. 1. 2022 abgewiesen. Wesentliche Begründung hierfür war, dass nach den damals getroffenen Feststellungen bei keiner der Bewerbungen der Klägerin bei der Beklagten als Lehrerin das Alter oder die Weltanschauung für den Umstand von Bedeutung waren, dass die Klägerin in keinen Reihungsvorschlag aufgenommen wurde und folglich nicht zum Zug kam.

[2] Im Vorverfahren hatte die Klägerin im Rahmen ihrer Vernehmung als Partei angegeben, parallel zur (damaligen) Klage eine Beschwerde bei der Bundes-Gleichbehandlungskommission eingebracht zu haben. Deren „Gutachten“ hatte im Vorprozess aber noch nicht vorgelegen.

[3] In der auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützten nunmehrigen Wiederaufnahmeklage behauptet die Klägerin , dass seit 28. 11. 2022 das Gutachten der Bundes-Gleichbehandlungskommission vorliege und dass sie zufolge desselben sehr wohl aufgrund ihres Alters diskriminiert worden sei.

[4] Mit der angefochtenen Entscheidung bestätigte das Rekursgericht die Zurückweisung der Wiederaufnahmeklage durch das Erstgericht im Vorprüfungsverfahren (§ 538 ZPO). Trotz der gesetzlichen Bezeichnung handle es sich um kein „Gutachten“ im Sinne eines Sachverständigengutachtens, sondern um die in dem im B GlBG vorgesehenen Verfahren ergehende Entscheidung. Die Entscheidungen der Bundes-Gleichbehandlungskommission seien unverbindlich. Das Arbeitsgericht könne über die Frage einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebots ohne Rücksicht darauf entscheiden, ob die Gleichbehandlungskommission mit dieser Frage bereits befasst wurde. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung könne der Umstand, dass in einem anderen Verfahren die Beweise anders gewürdigt und deshalb vom wiederaufzunehmenden Verfahren abweichende Feststellungen getroffen wurden, den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO von vornherein nicht verwirklichen.

[5] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung nicht zu, seine Entscheidung halte sich an die dargestellte höchstgerichtliche Rechtsprechung.

[6] Die Klägerin führt für die Zulässigkeit des außerordentlichen Revisionsrekurses ins Treffen, es sei zwar richtig, dass Gutachten der Bundes-Gleichbehandlungskommission keine Bindungswirkung in gerichtlichen Verfahren zukomme, es sei aber verfehlt, diesen jegliche Beweiskraft abzusprechen. Wenn die Behörde zu einem anderen Ergebnis gelange, dränge sich die Frage auf, wieso der Sachverhalt unterschiedlich bewertet worden sei. Da es hier um den Schutzbereich des Art 14 MRK und des Art 7 B VG – konkretisiert durch §§ 13 und 18 B GlBG – gehe, sei es angebracht, zumindest in diesem Bereich neuerlich zu prüfen. Immerhin habe der Gesetzgeber eine Behörde geschaffen, die Fälle der Altersdiskriminierung bewerten könne. Es frage sich, welche Existenzberechtigung ansonsten diese Behörde hätte. Sie wäre eine „Schönwetterbehörde“, deren Empfehlungen nicht einmal mehr informativen Charakter hätten. Diese könne kaum im Sinne des Gesetzgebers gelegen sein.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Klägerin zeigt damit keine Rechtsfrage von der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

[8] Die Rechtslage wurde bereits vom Rekursgericht zutreffend dargestellt, weshalb, um Wiederholungen zu vermeiden, darauf zu verweisen ist. Ergänzend ist auszuführen:

[9] Nach dem Gesetz hat sich in einem gerichtlichen Verfahren wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots das Gericht mit einem „Gutachten“ der (Bundes-)Gleichbehandlungskommission im Einzelfall zu befassen und ein davon abweichendes Ergebnis zu begründen (§ 61 GlBG und § 20 Abs 5a B GlBG). Dies setzt nach Rechtsprechung und Literatur voraus, dass das Gutachten der Gleichbehandlungskommission bereits existiert und es dem Gericht vorgelegt wurde (9 ObA 183/07p; Heidinger/Frank-Thomasser/Schmid , Antidiskriminierung [2004] 198; Hopf , Begründungspflicht des Gerichtes nach § 61 GlBG: Eine Schnittstelle zur Gleichbehandlungskommission, DRdA 2007, 3 [8]; Hopf/Mayr/Eichinger/Erler , GlBG 2 [2021] § 61 Rz 3; Kletečka/Köck in Windisch-Graetz , GlBG 2 [2022] § 61 Rz 1).

[10] Dass bei Erstellung des „Gutachtens“ erst nach Beendigung des Gerichtsverfahrens dieses über Klage wiederaufzunehmen wäre, bedeutete, dass es in der Gestaltungshoheit der Gleichbehandlungskommission läge, die Voraussetzung zur Beseitigung eines Gerichtsurteils zu schaffen. Dass – abseits der besonders gesetzlich geregelten Fälle gerichtlicher Entscheidungen (§ 530 Abs 1 Z 1 bis 5 iVm § 534 Abs 2 Z 3 ZPO) – einer Verfahrenspartei der in einem Zivilprozess rechtskräftig erstrittene Erfolg durch eine Entscheidung einer anderen staatlichen Institution weggenommen werden könnte, verletzte Art 6 MRK, konkret den aus dem Recht auf ein faires Verfahren abzuleitenden Grundsatz der Rechtssicherheit (EGMR Bsw 28342/95, Rs Brumarescu ; Kodek/Mayr , Zivilprozessrecht 5 [2021] Rz 929; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer Ladewig/Nettesheim/von Raumer , Europäische Menschenrechtskonvention 4 [2017] Art 6 EMRK Rz 163; Meyer in Karpenstein/Mayer , Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten 3 [2022] Art 6 EMRK Rz 109 ua; vgl auch 6 Ob 3/19p [Pkt 3.1.]). Im Ergebnis stellte die wegen Erwirkung einer der Gerichtsentscheidung nachfolgenden, von ihr abweichenden Entscheidung („Gutachten“) der (Bundes-)Gleichbehandlungskommission zustehende Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens eine verdeckte Rechtsmittelmöglichkeit dar; dies ließe sich mit Art 6 MRK nicht vereinbaren (vgl Thienel , Rechtsprechung des EGMR 2014 [Teil I], ÖJZ 2015, 1020 [1025]; weiterführend Schmollmüller , Die bedingte Rechtskraft einer Entscheidung im Lichte des Art 6 Abs 1 EMRK und Art 4 7. ZPEMRK, NLMR 2022, 317 ff).

[11] Auch das Gebot der verfassungskonformen Interpretation schließt es somit aus, § 530 Abs 1 Z 7 ZPO dahin auszulegen, dass es sich bei einem der Gerichtsentscheidung nachfolgenden, von ihr abweichenden „Gutachten“ der (Bundes-)Gleichbehandlungskommission um ein „Beweismittel“ im Sinne der Vorschrift handelt.