JudikaturJustiz8Ob161/22t

8Ob161/22t – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj H* T*, geboren am * 2020, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Eltern J* T* und C* T*, beide *, beide vertreten durch Dr. Michael Hasenöhrl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Oktober 2022, GZ 43 R 260/22m 128, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist der Antrag der Eltern im – mittlerweile in der Hauptsache rechtskräftig entschiedenen – Obsorgeverfahren, ihnen Akteneinsicht in die Dokumentation des Jugendhilfeträgers zu gewähren.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die Akteneinsicht ist die Informationsaufnahme aus dem Gerichtsakt (5 Ob 53/14a; vgl Danzl , Geo 9 § 170 Anm 7, § 371 Anm 8). Das Recht der Parteien eines Verfahrens, in den Gerichtsakt Einsicht zu nehmen, soll die effektive Ausübung des rechtlichen Gehörs sowie die Waffengleichheit garantieren (6 Ob 162/21y; Rassi in Fasching/Konecny ³ II/3 § 219 ZPO Rz 9).

[3] Die Akteneinsicht nach § 219 ZPO (auf den § 22 AußStrG verweist) umfasst sämtliche die Rechtssache der Parteien betreffenden, bei Gericht befindlichen Prozessakten. Der Prozessakt besteht hier aus allen bei Gericht bleibenden schriftlichen Unterlagen über den Rechtsstreit (§ 81 Abs 2 GOG; vgl nunmehr auch § 81a GOG). Er umfasst die Urschriften der Eingaben der Parteien und der anderen im Wesentlichen Verfahrensbeteiligten, die gerichtlichen Protokolle und Aktenvermerke, die Beweisaufnahmeprotokolle eines beauftragten oder ersuchten Richters und die Beilagen (Urkunden, Beweisstücke, Niederschriften, allenfalls Vollmachten) sowie die Urschriften der Entscheidungen und Verfügungen des Gerichts und auch den allein das Verfahren betreffenden Schriftwechsel mit anderen Behörden, soweit darüber nicht eigene Akten zu bilden sind (6 Ob 162/21y mwN).

[4] Der behördliche Akt ist die eine bestimmte Rechtssache betreffende Sammlung von Aufzeichnungen behördeninterner und -externer Vorgänge einschließlich der diese Vorgänge belegenden körperlichen Sachen („materieller Aktenbegriff“; zB auch Bild- und Ton- sowie elektronische Datenträger; Danzl , Geo 9 § 170 Anm 7 mwN).

[5] Neben den in § 219 ZPO ausdrücklich angeführten Ausnahmen bezieht sich die Akteneinsicht daher nur auf Unterlagen, die zum Bestandteil der Prozessakten gemacht wurden (daher zB nicht auch auf Unterlagen, deren Verlesung bzw Verwertung das Gericht abgelehnt hat: 6 Ob 162/21y mwN).

[6] Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich auf den tatsächlich vorhandenen Gerichtsakt. Die nicht bei Gericht erliegende, sondern behördeninterne Dokumentation des Jugendhilfeträgers erfüllt den Begriff des Prozessakts iSd § 219 ZPO (§ 22 AußStrG) und § 170 Geo nicht. Schon aus diesem Grund ist er vom Recht der Parteien auf gerichtliche Akteneinsicht nicht umfasst (6 Ob 162/21y).

[7] Ob das Gericht, wie die Revisionsrekurswerber meinen, im Rahmen seiner Verfahrensbefugnisse dem Jugendhilfeträger die Vorlage seiner internen Akten auftragen könnte, kann dahingestellt bleiben. Es ist unstrittig, dass der Gerichtsakt in seinem gegenwärtigen Umfang die gewünschten Unterlagen nicht enthält. Da selbst Unterlagen, die zwar im Akt erliegen, aber nicht im Verfahren verwertet wurden, nicht der Akteneinsicht unterliegen, gilt dies umso mehr für Dokumente, die gar nicht bei Gericht erliegen und dort auch nicht vorgesehen sind (6 Ob 162/21y; s auch Rassi in Fasching/Konecny ³ § 219 ZPO Rz 60).

[8] Selbst wenn die von den Eltern gewünschte Einsichtnahme in die interne Dokumentation des Jugendhilfeträgers auch im Verwaltungsweg auf rechtliche Hindernisse stößt, wie der Revisionrekurs ausführt, ändert dies nichts daran, dass das Akteneinsichtsrecht nach § 219 ZPO (§ 22 AußStrG) jedenfalls kein geeignetes Mittel ist, dem abzuhelfen.

[9] Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit der dargestellten Rechtslage im Einklang. Mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.