JudikaturJustiz8Ob112/19g

8Ob112/19g – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** L*****, vertreten durch Blum, Hagen Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. B***** Ü*****, 2. Y***** H*****, beide vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, 3. H***** K*****, 4. M***** A*****, beide vertreten durch Dr. Johann Meier, Rechtsanwalt in Bludenz, 5. M***** S*****, vertreten durch Mag. Claudia Scheier, Rechtsanwältin in Bludenz, wegen 29.134,34 EUR sA und Feststellung (Interesse 7.500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. August 2019, GZ 10 R 28/19x 73, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. Oktober 2018, GZ 9 Cg 57/16s 61, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich der dritt- bis fünftbeklagten Partei aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Folgen einer Verletzung, die er als Unbeteiligter im Zuge von gewalttätigen nächtlichen Auseinandersetzungen zweier rivalisierender Tätergruppen erlitten hat.

Die Tätlichkeiten hatten zunächst in einem Lokal begonnen und sich in den folgenden Stunden unter Beteiligung mehrerer wechselnder Personen an verschiedenen Orten in Bludenz fortgesetzt.

Eine acht oder mehr Personen umfassende Gruppe, die sich um den Erst- und Zweitbeklagten gesammelt und mit Holzlatten sowie einem Schistock bewaffnet hatte, folgte dem Rädelsführer der Gegner zum Bahnhof Bludenz. Sechs oder acht Personen der Beklagtengruppe rannten ihm in das dem Bahnhof gegenüberliegende Lokal „A*****“ nach, in das er flüchten wollte. Beim Eingang wurde er von den Verfolgern eingeholt und gemeinsam mit dem zufällig gerade aus dem Lokal heraustretenden Kläger, der sich dort als Gast aufgehalten hatte, niedergeschlagen und verletzt.

Der Erst- und Zweitbeklagte waren bei diesem Angriff vor dem Lokal „A*****“ anwesend und haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf den Kläger eingeschlagen. Beide wurden wegen Raufhandels nach § 91 Abs 2 zweiter Fall StGB rechtskräftig verurteilt.

Es ist nicht erwiesen, ob auch die Dritt- bis Fünftbeklagten während dieser Ereignisse vor dem Lokal „A*****“ waren und sich ebenfalls an dem Angriff gegen den Kläger beteiligt haben. Das gegen sie gerichtete Strafverfahren wurde nach § 190 Z 2 StPO eingestellt.

Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil fest, dass das Zahlungsbegehren gegen den Erst- und Zweitbeklagten dem Grunde nach zu Recht bestehe und behielt die Entscheidung über die Höhe des Anspruchs und über das Feststellungsbegehren dem Endurteil vor.

Hinsichtlich des Dritt- bis Fünftbeklagten wies das Erstgericht das Klagebegehren mit Endurteil ab.

Die Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen nach § 1302 ABGB erfordere zumindest eine Anwesenheit am konkreten Tatort und das Setzen gefährlicher Handlungen. Eine solche Beteiligung der Dritt- bis Fünftbeklagten habe nicht nachgewiesen werden können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Mit seiner gegen das Endurteil gerichteten Revision strebt der Kläger ein klagsstattgebendes Zwischenurteil auch gegen die Dritt- bis Fünftbeklagten an, hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Revisionsgegner haben die ihnen gemäß § 508a Abs 2 ZPO freigestellten Rechtsmittelbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen in ihrer Begründung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweichen.

Die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die Revision rügt, das Erstgericht habe ungeachtet vorhandener Beweisergebnisse keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich die Dritt- bis Fünftbeklagten während der gegen den Kläger gerichteten Tätlichkeiten als Teil der Gruppe im Bereich des gegenüberliegenden, nur wenige Meter entfernten Bahnhof aufgehalten haben. Der Kläger habe das Fehlen dieser Feststellungen in seiner Berufung als sekundären Feststellungsmangel gerügt. Das Berufungsgericht habe die angestrebte Feststellung aber rechtsirrig für unwesentlich erachtet und die Rüge deshalb nicht behandelt.

2. Ein rechtlicher Feststellungsmangel, der durch die unrichtige Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen hervorgerufen wurde (RIS Justiz RS0122475; RS0043304 [T6]), liegt vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren.

3. Im vorliegenden Fall sind die Regeln der §§ 1301, 1302 ABGB maßgeblich. Mehrere Täter haften nach § 1301 ABGB für einen widerrechtlich zugefügten Schaden gemeinsam, „indem sie gemeinschaftlich, unmittelbarer oder mittelbarer Weise, durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen udgl oder auch nur durch Unterlassen der besonderen Verbindlichkeit das Übel zu verhindern, dazu beigetragen haben“.

Nach § 1302 ABGB verantwortet jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden, wenn die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist und die Anteile sich bestimmen lassen. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist oder wenn die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, so haften alle für einen und einer für alle (9 Ob 52/18i).

Diese Bestimmungen regeln die Haftung von Mittätern und diesen gleichzustellenden Teilnehmern (Anstiftern, Beihelfern etc) sowie Nebentätern. Während Nebentäter voneinander unabhängig handeln, agieren Mittäter gemeinschaftlich und vorsätzlich (2 Ob 97/16b mwN). Mittäter haften unabhängig davon, ob sich die von ihnen verursachten Anteile bestimmen lassen oder nicht, solidarisch.

Die Solidarhaftung nach § 1302 ABGB tritt bei vorsätzlicher Mittäterschaft auch unabhängig davon ein, ob sich die Anteile an der Schädigung bestimmen lassen (9 Ob 52/18i).

4. Die Solidarhaftung ist nach der Rechtsprechung auch schon dann gerechtfertigt, wenn zwar kein gemeinschaftlicher Schädigungsvorsatz bestand, zwischen den mehreren Personen aber Einvernehmen über die Begehung einer rechtswidrigen Handlung herrschte und diese Handlung für den eingetretenen Schaden konkret gefährlich war (RS0109825; RS0131595 = 5 Ob 34/17m). Der Vorsatz im Sinne des § 1302 Satz 2 ABGB braucht sich nicht auf den vollen Schadenserfolg zu erstrecken, sondern muss nur auf eine Rechtsverletzung oder Schädigung gerichtet sein, um die Haftung auch für weitere, daraus entspringende Schäden zu begründen. Der Vorwurf, vorsätzlich gemeinsam ein unerlaubtes Ziel verfolgt zu haben, rechtfertigt es, alle Beteiligten zunächst ohne weitere Prüfung ihrer Kausalität für den entstandenen Schaden verantwortlich zu machen (RS0112574 [T1, T2]; 8 Ob 55/19z).

Gemeinschaftlichkeit im Sinne des § 1301 ABGB kann also auch dann vorliegen, wenn zwischen den Tätern zwar kein Einvernehmen über die Schädigung gegeben ist, wohl aber über die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens, bei dessen Verwirklichung eine nicht beabsichtigte Schädigung erfolgt (RS0109824).

Nur in den Fällen, in denen sich die mangelnde Kausalität des Verhaltens des in Anspruch genommenen „Mittäters“ ausdrücklich nachweisen lässt, wird die Haftung nach §§ 1301, 1302 ABGB ausgeschlossen (2 Ob 97/16b; 5 Ob 34/17m).

5. In diesem Sinn wäre es aber für den Dritt- bis Fünftbeklagten bereits haftungsbegründend, wenn sie zu der mit Holzlatten und einem Schistock bewaffneten Gruppe gehört haben, die ihre Rivalen mit dem offenkundigen Ziel eines weiteren Raufhandels zum Bahnhof verfolgt hat. Ob dies bei einem oder mehreren von ihnen der Fall war, ist aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht eindeutig zu entnehmen. Allein der Umstand, dass ihre Anwesenheit vor dem Lokal „A*****“ nicht festgestellt werden konnte, genügt nicht, um die Frage der Haftung der Dritt- bis Fünftbeklagten abschließend beurteilen zu können.

6. Im fortgesetzten Verfahren wird es daher erforderlich sein, auf Grundlage der Beweisergebnisse die fehlenden Feststellungen nachzuholen. Es bleibt der Beurteilung des Erstgerichts überlassen, ob es dazu auch eine Ergänzung des Beweisverfahrens für erforderlich erachtet.

Sollten sich die Dritt- bis Fünftbeklagten zwar nicht unmittelbar an der Schlägerei vor dem Lokal „A*****“ beteiligt haben, wohl aber Beteiligte der bewaffneten Gruppe gewesen sein, der die rivalisierende Gruppe zum gegenüberliegenden Bahnhof hin verfolgt hat, wäre auch ihre Haftung dem Grunde nach zu bejahen.

7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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