JudikaturJustiz8Ob109/14h

8Ob109/14h – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** S*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 10.500,62 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 29. August 2014, GZ 15 R 91/14h 32, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10. Jänner 2014, GZ 56 Cg 54/13d-27, ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt den Ersatz seines Vermögensschadens aus einem Wertpapierkauf, zu dem ihn die Beklagte unter Verwendung unwahrer und irreführender Werbeaussagen arglistig bewogen habe.

Die Klage wurde zunächst in der Geschäftsabteilung 47 des Erstgerichts in das Verfahrensregister eingetragen und das Verfahren vom Leiter der Gerichtsabteilung 47 geführt.

Am 6. 9. 2013 fasste der Personalsenat des Erstgerichts zu Jv 3957/13z-7 den Beschluss:

„Unter Bezugnahme auf den Grundsatzbeschluss vom 28. 1. 2009 gemäß § 48 Abs 3 RStDG wird stimmeneinhellig beschlossen: (...)

II.) Nachstehende Verfahren werden in die Gerichtsabteilung 49.2 (Geschäftsabteilung 56) übertragen: (…) 47 Cg 335/10g (...)“

Diese Änderung der Geschäftsverteilung wurde mit der Notwendigkeit eines Belastungsausgleichs zwischen den für Anlegerprozesse zuständigen Fachabteilungen des Erstgerichts begründet.

Der Leiter der Gerichtsabteilung 47 trat das gegenständliche Verfahren im Sinne des Beschlusses des Personalsenats an die Gerichtsabteilung 49.2 (Geschäftsabteilung 56) ab. Mit Schriftsatz vom 23. 12. 2013 brachte die Beklagte vor, der Beschluss des erstgerichtlichen Personalsenats sei fehlerhaft, seine Ausführung verletze ihr durch die Verfassung geschütztes Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Übertragung des Akts sei nichtig.

Das Erstgericht (die Leiterin der Gerichtsabteilung 49.2) schränkte die mündliche Streitverhandlung auf die Frage der „Zuständigkeit der Gerichtsabteilung 49.2“ ein und verwarf mit abgesondertem Beschluss die Einwände der Beklagten. Der nach der Geschäftsverteilung zuständige Richter könne eine Rechtswidrigkeit des Personalsenatsbeschlusses nicht selbst aufgreifen, jedoch sei es im Interesse der Verfahrensökonomie zweckmäßig, die Frage der Zuständigkeit noch vor Durchführung eines aufwändigen Beweisverfahrens zu klären.

Aus Anlass des gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurses der beklagten Partei behob das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos.

Die Fehlerhaftigkeit einer Geschäftsverteilung bilde nach Auffassung des Rekursgerichts einen relativen Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 477 Abs 1 Z 2 ZPO, der aber unter der Voraussetzung einer rechtzeitigen Rüge ausschließlich vom Rechtsmittelgericht zu prüfen sei. Dem Erstgericht stehe zu dieser Frage keine Entscheidungskompetenz zu.

Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung darüber fehle, ob über den Einwand der Unzuständigkeit einer Gerichtsabteilung oder eines Verstoßes gegen den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung gemäß § 260 Abs 4 ZPO mit abgesondertem Beschluss zu entscheiden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von der klagenden Partei gegen diese Entscheidung erhobene, von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht dargelegten Gründen zulässig und berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof hat zu 3 Ob 188/14i erst vor kurzem klargestellt, dass zur Durchsetzung des Rechts auf den geschäftsverteilungsmäßigen Richter durch die Parteien zwar im Gesetz kein expliziter Rechtsbehelf vorgesehen ist, dass aber die mangelnde Grundrechtskonformität einer Entscheidung ordentlicher Gerichte im gerichtlichen Instanzenzug geltend zu machen ist. Daraus hat er abgeleitet, dass ein Verstoß gegen die Geschäftsverteilung Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 2 ZPO begründet, wobei dieser Nichtigkeitsgrund nicht nur dann vorliegt, wenn ein anderer als der nach der Geschäftsverteilung zuständige Richter entschieden hat, sondern auch dann, wenn die generelle Norm der Geschäftsverteilung (oder ihre Änderung) gegen eine Verfassungsnorm verstößt.

2. Die Problematik der Verletzung der Geschäftsverteilung weist eine systematische Nähe zu den ebenfalls einen Nichtigkeitsgrund bildenden - Prozessvoraussetzungsmängeln auf ( Kodek in Fasching/Konecny ² III § 260 ZPO Rz 47; s auch Rz 78).

3. Nach § 260 Abs 4 ZPO kann die Beteiligung eines nach der Geschäftsverteilung nicht dazu berufenen Richters am Verfahren auch von Amts wegen nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sich beide Parteien in die Verhandlung eingelassen haben ( Kodek Rz 10 und 57).

Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 260 Abs 4 ZPO nur auf den Fall, dass an der Entscheidung ein nach der Geschäftsverteilung nicht berufener Richter mitwirkt. Lehre und Rechtsprechung beziehen § 260 Abs 4 ZPO aber auch auf den Fall, dass die generelle Norm der Geschäftsverteilung selbst gegen eine Verfassungsnorm verstößt (3 Ob 188/14i; 1 Ob 46/89 = SZ 63/24). Der Verstoß ist im jeweiligen Verfahren zu rügen und wahrzunehmen (RIS Justiz RS0039915; RS0042036; 3 Ob 534/91; 3 Ob 188/14i; siehe dazu auch ErläutRV 1597 BlgNR 18. GP 31).

4. Nach § 260 Abs 4 ZPO kann der an sich Nichtigkeit begründende Mangel nicht mehr berücksichtigt werden, wenn keine Partei den Fehler (rechtzeitig) geltend gemacht, also eine Einrede erhoben hat. Daraus folgt aber, dass die rechtzeitig erhobene Einrede zu berücksichtigen ist, woraus weiter zu schließen ist, dass das Erstgericht die rechtzeitige Einrede (und den damit allenfalls zu Recht aufgezeigten Fehler) nicht nur einfach zur Kenntnis zu nehmen, sondern ihn zu „berücksichtigen“ hat. Es hat daher eine Entscheidung zu treffen.

Daraus folgt im Ergebnis, dass Verstöße gegen die Geschäftsverteilung, aber auch Fehler der Geschäftsverteilung, so wie Prozessvoraussetzungsmängel nach §§ 260 und 261 ZPO zu behandeln sind.

Wurde über eine rechtzeitig erhobene Einrede wie hier abgesondert verhandelt und die (abweisende) Entscheidung über die Einrede nicht in die Entscheidung in der Hauptsache aufgenommen, ist dieser Beschluss abgesondert anfechtbar (sofern das Gericht nicht sofort das Verfahren in der Hauptsache aufgenommen hat).

Das Rekursgericht wird im fortgesetzten Verfahren daher über das Rechtsmittel der beklagten Partei meritorisch zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO. Das Rekursverfahren betrifft keinen abgesondert zu honorierenden Zwischenstreit, da das Erstgericht amtswegig vorgegangen ist und die Streitteile das gemeinsame Interesse an der alsbaldigen Klärung der Frage des gesetzlichen Richters verfolgt haben (vgl RIS Justiz RW0000288).