JudikaturJustiz7Ob91/98b

7Ob91/98b – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Huber und Dr.Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Michael F*****, geboren am 3.11.1983, ***** vertreten durch den ehelichen Vater Wolfgang F*****, dieser vertreten durch Dr.Engelbert Reis, Rechtsanwalt in Horn, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Vaters gegen den Beschluß des Landesgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 23.Dezember 1997, GZ 2 R 183/97t-64, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Langenlois vom 2.Mai 1997, GZ P 1074/95p-59, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Beschluß lautet:

"Der Antrag der Mutter, dem Vater aufzutragen, sie durch Übermittlung der Jahres- und Halbjahreszeugnisse oder deren Kopien von den schulischen Leistungen des mj. Michael zu verständigen, wird abgewiesen."

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des mj. Michael wurde am 2.2.1989 geschieden. Mit Beschluß vom 15.1.1996 wurde die Obsorge dem Vater übertragen. Der Mutter steht ein Besuchsrecht an jedem zweiten Wochenende sowie an jedem Dienstag und Donnerstag zu.

Anläßlich ihrer Vorsprache wegen der Modalitäten im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht am 17.2.1998 berichtete die Mutter, daß sie vom Vater über die schulischen Belange des Minderjährigen überhaupt nicht informiert werde und die letzten Zeugnisse nicht gesehen habe. Am 9.4.1997 stellte sie den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag.

Mit Beschluß vom 2.5.1997 änderte das Erstgericht die bisherige Besuchsrechtsregelung geringfügig ab und gab dem Antrag der Mutter auf Übersendung der Schulzeugnisse statt.

Das Rekursgericht bestätigte den letzteren (allein angefochtenen) Beschlußteil und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Nach der im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht entwickelten ständigen Rechtsprechung diene das Besuchsrecht auch dazu, dem nicht erziehungsberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung des Kindes und von seinem körperlichen und geistigen Befinden zu überzeugen. Das Recht des nicht erziehungsberechtigten Elternteiles, über den körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklungsstand des Kindes informiert zu bleiben, sei sowohl im Interesse des Kindeswohles gelegen, weil allfällige Mängel oder Fehlentwicklungen rechtzeitig erkannt und abgestellt werden könnten, aber auch im Interesse des Elternteiles, den vom Gesetz das Recht an der Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinem Kind zugebilligt werde. Mit der geistigen Entwicklung seien die schulischen Fortschritte untrennbar verbunden. Besondere Begabungen des Kindes könnten vom erziehungsberechtigten Elternteil vielleicht nicht erkannt oder nicht entsprechend gefördert werden; das Kind könnte eine seinen Fähigkeiten nicht entsprechende Schule besuchen oder zu einer ungeeigneten Ausbildung veranlaßt werden. In derartigen Fällen könne eine allfällige Fehlentwicklung allenfalls vom nicht obsorgeberechtigten Elternteil erkannt und ihr rechtzeitig entgegengesteuert werden. Nicht zuletzt hänge die im Unterhaltsrecht entscheidende Frage des Eintrittes der Selbsterhaltungsfähigkeit unter anderem davon ab, ob das Kind sein Ausbildungsziel zielstrebig verfolge und ob es für diese Ausbildung auch geeignet sei. Die dem anderen Elternteil vom Kind selbst gegebenen diesbezüglichen Informationen seien nicht immer ausreichend und den Tatsachen entsprechend. Die Übermittlung der Zeugnisse oder Ablichtungen davon sei dem obsorgeberechtigten Elternteil durchaus zumutbar. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht nicht der herrschenden Rechtsprechung folge.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der grundlegenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 53/157 zur auch hier vorliegenden Frage ist der sorgeberechtigte Elternteil ohne besonderen Grund nicht verpflichtet, den anderen Elternteil Informationen über einzelne Erziehungsmaßnahmen und deren Erfolg, wie im besonderen durch Übermittlung von Schulzeugnissen, zu erteilen. Wie der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung dargelegt hat, war es eines der erklärten Ziele der Neuregelung des Kindschaftsrechtes, die für das Kind meist abträgliche Zweiteilung der elterlichen Rechte bei der Scheidung der Ehe oder nicht bloß vorübergehender Trennung der Eltern zu beseitigen und einem Elternteil allein die Sorge und gesetzliche Vertretung zu überlassen. Der andere Elternteil ist auf die Mindestrechte des § 178 ABGB beschränkt. Auch aus dem Recht auf persönlichen Verkehr kann nicht abgeleitet werden, daß laufende, ins einzelne gehende, durch Anrufung des Gerichtes erzwingbare Informationspflichten des sorgeberechtigten Elternteiles bestünden, wenn der persönliche Verkehr mit dem Kind aus welchen Gründen immer nicht ausgeübt werden kann oder trotz Ausübung dieses Rechtes der nicht sorgeberechtigte Elternteil vom Kind die ihm wichtig erscheinenden Informationen nicht enthält. Insbesondere ist der sorgeberechtigte Elternteil ohne besonderen Grund zu Informationen über einzelne Erziehungsmaßnahmen und deren Erfolg und damit auch zur Übermittlung von Schulzeugnissen nicht verpflichtet. Es wäre mit der Wahrung des Wohles des Kindes nicht vereinbar, wenn der erziehungsberechigte Elternteil immer wieder damit belastet werden könnte, daß er vom anderen Elternteil - und bei Meinungsverschiedenheiten vom Gericht - ständig zu Einzelmaßnahmen und Auskünften verhalten wird. Nur dies entspricht der Regelung des § 178 ABGB. Der Elternteil, dem das Sorgerecht nicht zusteht, ist nur von wichtigen Maßnahmen (wesentlichen Änderungen im bisherigen Lebensbereich des Kindes) zu verständigen; und selbst das Unterlassen einer solchen Verständigung allein führt noch nicht zu Sanktionen gegen den anderen Elternteil. Dieser hat nur die Möglichkeit, das Gericht unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB anzurufen; diese wurden nicht einmal behauptet. Hat das Pflegschaftsgericht von sich aus Bedenken, steht es ihm frei, im Rahmen von Erhebungen, ob allenfalls das Wohl des Kindes im Sinn des § 176 Abs 1 ABGB gefährdet ist, die ihm erforderlich erscheinenden Auskünfte von Amts wegen einzuholen.

In 7 Ob 674/86 wurde wiederholt, daß aus dem Recht auf persönlichen Verkehr nicht abgeleitet werden kann, daß laufende, ins einzelne gehende und durch Anrufung des Gerichtes erzwingbare Informationspflichten des sorgeberechtigten Elternteiles bestünden.

In der Entscheidung SZ 69/20 wurde ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß der Obsorgeberechtigte allein über die Werterziehung des Kindes zu entscheiden habe. Auch die Auswahl der Schule ist dem obsorgeberechtigten Elternteil vorbehalten (RZ 1992/71), wenn auch der andere Elternteil bei einschneidenden Maßnahmen, wie etwa einem Schulwechsel ins Ausland, zu hören ist.

Eine unmittelbare Einflußnahme des nicht erziehungsberechtigten Elternteiles auf die Auswahl der Schule sowie überhaupt auf die schulischen Belange und die Ausbildung des Kindes ist nach der geltenden Gesetzeslage nicht möglich. Ein in einem gänzlichen oder teilweisen Obsorgeentzug mündendes gerichtliches Einschreiten setzt eine Gefährdung des Kindeswohles durch den erziehenden Elternteil voraus, wofür im vorliegenden Fall aber keinerlei Anhaltspunkte zu erkennen sind. Die Mutter hat selbst nicht einmal behauptet, daß der Minderjährige durch den derzeit aktuellen Schulbesuch in einer ihm abträglichen Weise über- oder unterfordert wäre, daß schulische Belange unzumutbar vernachlässigt würden oder daß besondere Talente vorhanden wären, die unterdrückt würden. Aufgrund der laufenden Kontakte der Mutter mit dem Minderjährigen im Rahmen ihres ausgiebigen Besuchsrechtes ist gerade im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, daß ihr krasse Fehlentwicklungen des Minderjährigen verborgen blieben. Dennoch hat sie in keiner Weise dargetan, daß aus diesem oder jenem Grund der Verdacht auf schulische Mißerfolge naheliege, denen entgegenzuwirken sei. Sie hat vielmehr ihren Antrag überhaupt nicht weiter begründet. Da der Minderjährige noch schulpflichtig ist, stellt sich derzeit auch nicht die Frage nach dessen Selbsterhaltungsfähigkeit.

Dem Rekursgericht ist zwar dahin beizupflichten, daß am Schicksal ihres Kindes interessierte Eltern und jedenfalls auch demjenigen Elternteil, dem die Obsorge nicht zusteht, ein intensives persönliches Interesse an der Kenntnis der Schulzeugnisse zuzubilligen ist. Richtig ist auch, daß die Weitergabe der entsprechenden Informationen vom einen zum anderen Elternteil nicht mit besonderen Umständen verbunden ist. Ein gerichtlich durchsetzbarer Zwang zu derartigen Informationen ohne besonderen Anlaß würde aber den nicht obsorgeberechtigten Elternteil in eine Kontrollposition über den obsorgeberechtigten Elternteil bringen, die nicht der Intention des die betreffenden Bestimmungen schaffenden Gesetzgebers entspricht. Der Auskunftspflicht des erziehenden Elternteils wäre kaum eine Grenze zu setzen, wollte man aus dem Recht auf persönlichen Verkehr und der hiezu entwickelten Rechtsprechung ein ohne weitere Begründung durchsetzbares Recht des anderen Elternteiles auf jeweils abrufbare Informationen durch den erziehenden Elternteil über den körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklungszustand ableiten.

Der erkennende Senat sieht somit auch bei Abwägung der Argumente des Rekursgerichtes keinen Anlaß, bei dem hier vorliegenden Sachverhalt von der aufgezeigten bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage derartiger Informationspflichten abzugehen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im Sinn einer Abweisung des Antrages auf Übermittlung der Schulzeugnisse abzuändern.

Rechtssätze
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