JudikaturJustiz7Ob39/00m

7Ob39/00m – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Roxanna R*****, geboren am *****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den 6. und 7. Bezirk, 1060 Wien, Amalienstraße 11, über den Revisionsrekurs des Vaters Michael M*****, Notstandshilfebezieher, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Klasnig, Rechtsanwalt in Judendorf-Straßengel, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. September 1999, GZ 43 R 698/99m-68, womit dem Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 4. Juni 1999, GZ 7 P 2878/95b-60, teilweise Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich der Festsetzung der Unterhaltsbeiträge für die Zeit vom 23. 2. 1992 bis 22. 2. 1995 aufgehoben. In diesem Umfang wird dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit Klage vom 22. 2. 1995 begehrte die am 10. 7. 1988 geborene Minderjährige die Feststellung der Vaterschaft des Michael M*****, die dann in diesem Verfahren zu 7 C 25/95x des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien durch Anerkenntnis vom 15. 11. 1995 festgestellt wurde. Die Minderjährige verband mit dem Vaterschaftsfeststellungsbegehren auch ein Unterhaltsbegehren über monatlich S 5.400,- ab 10. 7. 1988. Insoweit erfolgte eine Überweisung in das Außerstreitverfahren. Am 16. 11. 1995 stellte dann die Minderjährige vorweg den Antrag auf Festsetzung eines vorläufigen Unterhalts, der mit Beschluss des Erstgerichtes vom 22. 1. 1996 mit S 1.300,- monatlich bestimmt wurde. Mit 22. 4. 1996 hielt die Minderjährige ihr Unterhaltsfestsetzungsbegehren aufrecht (ON 15).

Die Minderjährige ist einkommens- und vermögenslos und befindet sich in Pflege und Erziehung der Mutter. Der Vater ist für ein weiteres, am 19. 4. 1994 geborenes Kind sorgepflichtig. Er, der nach seinen Angaben Baustellentechniker ist, war seit 1988 nur kurzfristig bei diversen Firmen beschäftigt. Dazwischen bezog er Arbeitslosenunterstützung bzw Notstandshilfe. Bei entsprechendem Bemühen könnte er die am Arbeitsmarkt angebotenen Arbeitsplätze als Wagenwäscher, Lagerarbeiter, Regalbetreuer oder Botenfahrer ausführen oder auch versuchen, als Außendienstmitarbeiter von Versicherungen, Bausparkassen bzw bei der Kundenbetreuung tätig zu werden. Die Anfangsentlohnung bei letzterer Tätigkeit beträgt monatlich S 12.000,-, bei den zuvor genannten Tätigkeiten zwischen S 10.000,- und S 12.000,- netto.

Die Minderjährige stützte ihren Antrag auf Unterhaltsfestsetzung auch darauf, dass dem Vater bei Anwendung der Anspannungstheorie zumindest die Leistung des monatlichen Unterhalts von S 1.800,- möglich sein müsse. Eine Verjährung der Unterhaltsansprüche sei nicht eingetreten, da der Vater einen Verjährungseinwand nicht erhoben habe.

Der Vater wandte gegen den Antrag ein, dass er seit mehreren Jahren arbeitslos sei und nur die Arbeitslosenunterstützung bzw Notstandshilfe von zuletzt S 4.500,- beziehe. Er sei nur zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.300,- bereit. Es sei ihm trotz verschiedener Aktivitäten nicht möglich gewesen, einen seiner Ausbildung entsprechenden dauerhaften Arbeitsplatz zu erlangen.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater für die Zeit vom 10. 7. 1988 bis 30. 4. 1994 zu einer Unterhaltsleistung von monatlich S 1.900,-, dann ab 1. 5. 1994 bis 31. 7. 1994 von S 1.800,-, in weiterer Folge von 1. 8. 1994 bis 31. 7. 1998 von S 2.000,- und ab 1. 8. 1998 längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit von S 2.300,-. Es wies - mangels Anfechtung rechtskräftig - ein darüber hinausgehendes Mehrbegehren für die Zeit vom 10. 7. 1988 bis 30. 4. 1994 hinsichtlich eines monatlichen Teilbetrags von S 3.500,-, dann für die Zeit vom 1. 5. 1994 bis 31. 7. 1994 S 3.600,- und von 1. 8. 1994 bis 31. 7. 1998 über S 3.400,- und ab 1. 8. 1998 hinsichtlich eines monatlichen Teilbetrags von S 3.100,- ab.

Das Erstgericht folgerte rechtlich ausgehend von dem einleitend dargestellten Sachverhalt, dass unter Anwendung der Anspannungstheorie beim Vater zumindest von einem möglichen Einkommen von S 12.000,- netto auszugehen sei. Der Unterhaltsanspruch der Minderjährigen errechne sich dann für die Zeit von 10. 7. 1988 bis 30. 4. 1994 unter Anwendung eines Prozentsatzes von 16 %, dann ab 1. 5. 1994 bis 31. 7. 1994 infolge des Hinzutretens einer weiteren Unterhaltspflicht von 15 %, sowie ab 1. 8. 1994 bis 31. 7. 1998 mit 18 % und dann mit 19 %.

Das Rekursgericht bestätigte über Rekurs des Vaters die erstgerichtliche Unterhaltsfestsetzung für die Zeit vom 23. 2. 1992 bis 31. 7. 1998 und hob in teilweiser Stattgebung des Rechtsmittels die Unterhaltsfestsetzung für die Zeit vom 10. 7. 1988 bis 22. 2. 1992 zur Verfahrensergänzung auf und trug dem Erstgericht in diesem Umfang eine neue Entscheidung auf. Hinsichtlich des bestätigenden Beschlusses für den Zeitraum vom 23. 2. 1992 bis 31. 7. 1998 folgerte das Rekursgericht, dass entgegen der Ansicht des Rekurswerbers die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes nicht von der Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von seiner Verpflichtung abhänge. Den ordentlichen Revisionsgericht ließ das Rekursgericht in einem ergänzenden Beschluss im Sinne des § 14a AußStrG zu, da die Ansicht des Rekursgerichtes, die sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 9. 4. 1996 zu 10 Ob 2032/96p stütze, von jener des Obersten Gerichtshofes in der Entscheidung 7 Ob 61/97i abweiche.

Der gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der sogenannten Anspannungstheorie trifft den Unterhaltspflichtigen - ausgehend von seiner zu § 140 Abs 1 ABGB verankerten Pflicht, zur Deckung der Unterhaltsbedürfnisse "nach seinen Kräften" beizutragen - die Obliegenheit, im Interesse der Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Tut er das nicht, so wird er so behandelt, als bezöge er die Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte beziehen können (vgl OGH EvBl 1990/128 = SZ 63/74 = MGA ABGB35 § 140 E 909 uva; Schwimann in Schwimann ABGB2 § 140 Rz 60, Pichler in Rummel ABGB2 § 140 Rz 6, Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 245 f, Schwimann, Unterhaltsrecht, 61; Gitschthaler, Die Anspannungstheorie im Unterhaltsrecht 20 Jahre später, ÖJZ 1996, 553 ff). Um aber dem Unterhaltspflichtigen die Verletzung der Obliegenheit zur Anspannung seiner Fähigkeiten vorwerfen und das fiktive Einkommen aus einer solchen Tätigkeit der Unterhaltsbemessung zugrunde legen zu können, ist es auch erforderlich, dass der Unterhaltsverpflichtete überhaupt Kenntnis von der Vaterschaft zum unterhaltsberechtigten Kind erlangt (vgl OGH 7 Ob 61/97i = ÖA 1998, 27 = EFSlg 83.410 ebenso Schwimann, Unterhaltsrecht, aaO 62: im Ergebnis auch Pichler aaO Rz 6, aber auch allgemein SZ 63/40 = RZ 1993, 100, ÖA 1992, 125, RZ 1992/48 = RZ 1993/76 uva). Davon zu unterscheiden ist jedoch, dass der auf dem Gesetz (§§ 140, 166 ABGB) beruhende Unterhaltsanspruch eines außerehelichen Kindes bereits mit der Geburt entsteht, also nicht von der Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltspflicht abhängt (10 Ob 2032/96p; RIS-Justiz RS0102045), woraus ua ja auch die Möglichkeit rückwirkender Unterhaltsgeltendmachung folgt (Schwimann in Schwimann, ABGB**2 Rz 10 zu § 140 mwN). Dies kann aber im Sinne der oben dargestellten Judikatur und Lehre nicht auch auf die Obliegenheit zur Anspannung der eigenen Kräfte im Interesse des Kindes übertragen werden, da diese Obliegenheit doch zumindest die Kenntnis vom Vorhandensein seines Kindes voraussetzt (7 Ob 61/97i).

Die Unterhaltsfestsetzung für den Zeitraum vor Kenntnis der Unterhaltspflicht hat sich daher am tatsächlich bezogenen und nicht am möglicherweise erzielbaren Einkommen zu orientieren.

Wann nun der Rechtsmittelwerber konkret Kenntnis davon erlangte, dass er als Vater der Minderjährigen in Betracht kommt, und wieviel er damals verdiente, wurde nicht festgestellt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher, soweit sie den Zeitraum vor Erhebung der Vaterschaftsklage betreffen, aufzuheben.