JudikaturJustiz7Ob31/95

7Ob31/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** VaG, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Hirsch, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei mj.Hansjörg K*****, vertreten durch seinen Vater Johann K*****, dieser vertreten durch Dr.Eugen Amann, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen S 165.302,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 30.März 1995, GZ 4 R 88/95-21, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19.Dezember 1994, GZ 9 Cg 89/94-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.605,-- (darin enthalten S 1.267,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 2.1.1993 wurde ein Stall, der im Eigentum des D*****klosters S***** stand, teilweise durch Brand zerstört. Der Stall war zusammen mit anderen zum Kloster gehörenden Gebäuden bei der klagenden Partei gegen Feuer versichert. Von der gesamten Feuerversicherungssumme entfiel eine Teilsumme von S 1,060.000,-- auf jenes Gebäude, das aus einem Wohntrakt und dem beschädigten Stall bestand. Die klagende Partei hatte aus Anlaß des Schadensfalles Versicherungsleistungen von S 330.604,-- zu erbringen.

Der Brand wurde von dem am 25.4.1979 geborenen Beklagten mit fünf weiteren Burschen gemeinsam verursacht. Zugunsten des Beklagten bestand eine von seinem Vater abgeschlossene Haftpflichtversicherung mit einer Haftungssumme von 5 Mill.S für Personen- und Sachschäden. Der Beklagte besuchte damals die 4.Klasse der Hauptschule. Er ist heute Keramikerlehrling und im ersten Lehrjahr mit einem Einkommen von monatlich S 4.000,-- bis S 5.000,-- netto beschäftigt. Er lebt bei seinen Eltern und verfügt über kein nennenswertes Vermögen. Mit ihm gemeinsam waren folgende Personen am Brandort anwesend:

der am 22.3.1978 geborene Alexander B*****, der damals Schüler einer Sonderschule war und seit einem Jahr als Arbeiter bei einer Stahlbaufirma monatlich etwa S 11.000,-- bis S 12.000,-- verdient und neben einem gebrauchten Kleinmotorrad und einem teilweise angesparten Bausparvertrag über kein nennenswertes Vermögen verfügt. Alexander B***** wohnte und wohnt in dem an den beschädigten Stall angrenzenden Wohngebäude;

der am 23.3.1980 geborene Milan S*****, der damals Schüler der

3. Klasse Hauptschule war, nunmehr den Polytechnischen Lehrgang besucht und ebenfalls über kein wesentliches Vermögen verfügt;

der am 24.4.1978 geborene Berno W*****, der damals Schüler einer Sprachheilschule war und seit kurzem als Fliesenlegerlehrling mit einem monatlichen Einkommen von ca. S 5.000,-- netto arbeitet, bei seinen Eltern wohnt und über kein wesentliches Vermögen verfügt;

der am 15.12.1978 geborene Thomas P*****, der damals Schüler der

4. Klasse Hauptschule war, nunmehr Handelsschüler ist und über Ersparnisse von nicht mehr als S 50.000,-- verfügt;

der am 7.11.1978 geborene Michael M*****, der damals ebenfalls Schüler der 4.Klasse Hauptschule war und über dessen Einkommen oder Vermögen nichts bekannt ist.

Für den mj. Alexander B***** bestand zum Zeitpunkt des Schadensereignisses ebenfalls eine aufrechte Haftpflichtversicherung mit voller Deckung hinsichtlich des Schadensbetrages. Ob weitere Haftpflichtversicherungen zugunsten der anderen beteiligten Minderjährigen bestanden, kann nicht festgestellt werden.

Die genannten Burschen stiegen mit einer Kiste Bier über eine Leiter durch ein Fenster in den Stall ein, um dort zu feiern. Sie tranken Bier und rauchten Zigaretten. Da ihnen kalt wurde, schlug einer von ihnen vor, ein Feuer zu machen. Die vom Beklagten dagegen geäußerten Bedenken wurden von den anderen Burschen zerstreut. Die Feuerstelle wurde nicht direkt auf dem Holzboden des Stalles, sondern auf einer im Stall gelagerten Rigipsplatte errichtet. Eine solche Platte besteht aus einem Gipskern mit beiderseitiger, gegen Feuer begrenzt beständiger Kartonbeschichtung. Alle Anwesenden beteiligten sich an der Suche nach Brennmaterial. Es wurde im Stall vorgefundenes Holz und Papier verwendet. Der Beklagte stellte zum Anzünden Papiertaschentücher zur Verfügung. Das Feuer wurde von Alexander B***** und Berno W***** mit deren Feuerzeugen entfacht. Das angehäufte Material brannte schließlich mit offener Flamme, wobei die Flammen zeitweise bis zu einem halben Meter hoch schlugen. Es wurden Funken und brennende Papierstücke hochgewirbelt. Die Burschen entschlossen sich schließlich, das Feuer zu löschen, weil ihnen Bedenken kamen. Zwei glühende Bretter wurden durch einen Spalt des Stalles ins Freie geworfen und dort ausgetreten. Um das Feuer im Stall zu löschen, urinierten die Burschen auf die Feuerstelle, schütteten Bier darauf und trampelten darauf herum. Als kein offenes Feuer mehr sichtbar war, verließ ein Teil der Burschen den Stall. Der Beklagte blieb mit Alexander B***** und Milan S***** noch eine knappe halbe Stunde länger im Stall. Es wurde eine weitere Rigipsplatte auf die Feuerstelle gelegt und erneut darauf herumgetrampelt. Die Burschen sahen schließlich keine Glut mehr. Sie waren der Auffassung, daß das Feuer vollständig gelöscht sei und verließen gemeinsam das Stallgebäude. Der Ausbruch des Brandes wurde gegen 20,30 Uhr bemerkt. Der Brand ist auf das von den Burschen entzündete Feuer zurückzuführen.

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten unter Berufung auf § 67 VersVG die Hälfte der von ihr erbrachten Versicherungsleistungen, somit S 165.302,-- sA. Der Beklagte sei zur Haftung nach § 1310 ABGB heranzuziehen, weil ihn einerseits ein Verschulden treffe und weil andererseits auch ein Vermögen im Sinn des § 1310 dritter Fall ABGB vorliege, das in der schadensdeckenden Haftpflichtversicherungssumme bestehe. Der Beklagte hafte solidarisch mit den anderen Jugendlichen.

Der Beklagte bestritt das Vorliegen eines Verschuldens und wendete weiters ein, daß er nach Billigkeit jedenfalls nur zum Ersatz der Kopfquote verpflichtet werden könnte. Da die Forderung der klagenden Partei infolge der bestehenden Feuerversicherung auf die Hälfte zu reduzieren sei, ergebe sich unter Berücksichtigung der Kopfquote höchstens eine Haftung des Beklagten für 1/12 der Versicherungssumme, somit für S 27.550,33.

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei S 110.201,33 sA zu und wies das Mehrbegehren ab. Dem Beklagten sei ein Verschulden am Brand anzulasten, auch wenn er noch nicht 14 Jahre alt gewesen sei. Insbesondere sei die vorhandene Versicherungsdeckung zu berücksichtigen. Daß auch andere, zum Teil schon mündige Minderjährige beteiligt gewesen seien, mindere die Haftung des Beklagten nicht auf die Kopfquote. In die Billigkeitserwägung sei jedoch neben der weiteren Schadensdeckung durch die seitens des Geschädigten bestehende Feuerversicherung auch die Tatsache der Versicherungsdeckung beim weiteren Schädiger Alexander B***** einzubeziehen. Die Haftung des Beklagten sei daher nach Billigkeit mit einem Drittel anzunehmen.

Das Gericht zweiter Instanz änderte das Urteil im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Da die klagende Partei ohnehin nur 50 % der auf sie gemäß § 67 VersVG übergegangenen Forderung geltend mache, könne dahingestellt bleiben, ob die Schadensteilung aus dem Grund der vollen Schadensdeckung sowohl durch die Feuerversicherung des Geschädigten als auch durch die Haftpflichtversicherung des Schädigers nur auf den dritten Fall oder auf alle Fälle des § 1310 ABGB Anwendung finde. Es bestehe kein Anlaß, vom Grundsatz der Solidarhaftung der Schädiger nach § 1302 ABGB abzuweichen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob im Rahmen der Billigkeitserwägungen nach § 1310 ABGB trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 1302 ABGB unter Umständen nur auf eine Kopfteilshaftung mehrerer Mittäter erkannt werden könne, keine klare Position des Obersten Gerichtshofes zu ersehen sei (einerseits JBl 1982, 375, andererseits VersE 1157 = VersR 1984, 1181).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten, die den Teilzuspruch von S 27.550,33 sA unbekämpft läßt, ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß das Bestehen einer Haftpflichtversicherung auf seiten des Schädigers als Vermögen im Sinn des § 1310 dritter Fall ABGB gilt (JBl 1982, 149; VR 1988/122 ua), daß die Billigkeitserwägung des § 1310 letzter Halbsatz ABGB für alle drei Fälle des § 1310 ABGB gilt (VR 1991/254) und daß - zumindest bei Vorliegen des § 1310 dritter Fall ABGB - eine eigene Versicherung des Geschädigten, die dessen Schäden deckt, zu berücksichtigen ist (RZ 1982/67; VR 1991/254 ua). Die Ansicht der Revision, daß der Vermögenswert einer Feuerversicherung höher anzusetzen sei als jener einer Haftpflichtversicherung, sodaß schon aus diesem Grund die Ersatzpflicht des Beklagten mit erheblich weniger als der Hälfte zu bemessen sei, widerspricht der ständigen Rechtsprechung. Danach ist die private Haftpflichtversicherung des unmündigen Schädigers entweder im Verhältnis des Deckungsfonds zum eingetretenen Schaden (vgl. VR 1991/254; VR 1988/122; JBl 1982, 149) oder, insbesondere wenn der Schaden durch die Versicherung des Geschädigten voll gedeckt wurde und eine Schadenersatzleistung in voller Höhe dieses Betrages auch in der Haftpflichtversicherungssumme Deckung findet, zur Hälfte heranzuziehen (SZ 52/168 = VersR 1980, 881; RZ 1982/67). Da der Schaden im vorliegenden Fall durch beide Versicherungen voll gedeckt ist und daher sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte in gleicher Weise durch die Kosten der Schadensbehebung wirtschaftlich nicht belastet sind, sind Erwägungen darüber müßig, welche Art der Versicherung generell als effektiverer Schutz anzusehen sei. Der vorliegende Fall bietet somit überhaupt keinen Anlaß, den Regreßanspruch der klagenden Partei wegen der beiderseitigen Versicherungsdeckung um mehr als die Hälfte zu kürzen, zumal auch der Deckungsfonds der Haftpflichtversicherung der wesentlich höhere ist. Da die klagende Partei ohnehin nur die Hälfte des von ihr zu ersetzenden Schadensbetrages fordert, muß hier nicht abschließend beurteilt werden, ob eine solche Kürzung nur im dritten Fall des § 1310 ABGB oder auch in den anderen Fällen vorzunehmen ist.

Zur Brandentstehung hat das Zusammenwirken aller im Stall anwesender Burschen durch gemeinsames Vorgehen beigetragen, ohne daß sich ihre Anteile bestimmen ließen. Von einem gänzlich untergeordneten Tun des Beklagten, der ebenfalls Brennmaterial herbeischaffte, mit seinen Taschentüchern zum Entfachen des Feuers beitrug und sich nach Erlöschen der Flammen nur unzulänglich um die Feuerstelle kümmerte, kann keine Rede sein. In allen Fällen, in denen der Schaden durch mehrere Personen verursacht wurde, in denen also jeder einzelne zum ganzen Schaden in irgendeiner Verhaltensform beigetragen hat, besteht eine solidarische Haftung (VersR 1984, 1181 mwN). Es ist zwar richtig, daß der Oberste Gerichtshof in der in JBl 1982, 375 veröffentlichten (aufhebenden) Entscheidung die Frage in den Raum gestellt hat, ob ein Minderjähriger ungeachtet der Voraussetzungen des § 1302 Satz 2, zweiter Halbsatz ABGB bei Vorliegen besonderer Umstände nicht doch nur zum Ersatz der Kopfquote zu verpflichten sei. In diesem Verfahrensstadium war allerdings insbesondere auch die Frage noch ungeklärt, ob ein Haftpflichtversicherungsschutz zugunsten des minderjährigen Schädigers bestand. Da die Rechtsprechung die Haftung eines Minderjährigen nach § 1310 ABGB gerade unter dem Gesichtspunkt bejaht, daß ein solcher Haftpflichtversicherungsschutz den minderjährigen Schädiger selbst vor wirtschaftlichen Folgen seiner zum Schaden führenden Handlungsweise bewahrt, besteht jedenfalls dann kein Anlaß, von dem im § 1302 ABGB verankerten Grundsatz der solidarischen Haftung mehrerer zusammenwirkender Schädiger abzuweichen, wenn eine solche Haftpflichtversicherung zugunsten des in Anspruch genommenen Minderjährigen besteht.

Die in der Revision angestellte Erwägung, daß der Minderjährige seinerseits nach § 896 ABGB bloß nach Kopfteilen und allenfalls bloß gegen die bereits mündigen Minderjährigen Regreß nehmen könne, sodaß er insoweit mit einem entsprechenden Risiko belastet sei, läßt den oben aufgezeigten Aspekt außer Betracht, daß der Beklagte hier ja nicht persönlich belastet wird. Es geht auch nicht an, das Risiko der Durchsetzbarkeit der Schadenersatzansprüche des Geschädigten von der zufälligen Konstellation abhängig zu machen, ob der minderjährige Schädiger (zu dessen Gunsten eine Haftpflichtversicherung besteht) allein am Werk war oder ob er mit weiteren Unmündigen oder über 14jährigen zusammenwirkte und ob für andere mitwirkende Unmündige ebenfalls eine Haftpflichtversicherung bestand. Dies widerspräche dem Grundgedanken des § 1302 ABGB.

Es wäre hier auch deshalb nicht billig, ausnahmsweise eine Haftung des minderjährigen Beklagten nach seiner Kopfquote zu bejahen, weil (auch) bereits mündige Minderjährige an der Schadensentstehung beteiligt waren. Sämtliche Beteiligte gehörten ja etwa derselben Altersgruppe und Bildungsstufe an. Das ihnen jeweils zuzuordnende Ausmaß der Verantwortlichkeit kann nicht davon abhängen, ob sie nun ein paar Monate älter oder jünger sind. Es besteht daher im vorliegenden Fall insgesamt kein Anlaß, die im § 1310 letzter Halbsatz ABGB angeordnete Billigkeitserwägung über den Grundsatz der Solidarhaftung des § 1302 ABGB zu stellen und die klagende Partei auf den Kopfteil bzw. den halben Kopfteil des Beklagten zu beschränken.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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