JudikaturJustiz7Ob25/95

7Ob25/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Mai 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Karl G*****, vertreten durch Dr.Christian Függer und Dr.Joachim Brait, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagte Partei E***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Johann Angermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 198.000,--, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 16.Jänner 1995, GZ 4 R 256/94-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 27.Juli 1994, GZ 1 Cg 331/93t-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger S 198.000,-- sA zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 27.475,20 (darin S 4.579,20 USt) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, die mit S 26.140,80 (darin S 2.749,80 USt und S 9.642,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und die mit S 21.900,-- (darin S 1.650,-- USt und S 12.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat seinen PKW Marke Ford Kombi 2,0 GLX mit dem Kennzeichen ***** bei der beklagten Partei aufgrund der AFIB 1986 kaskoversichert. (Der von den Vorinstanzen nicht festgestellte, jedoch der Entscheidung zugrundegelegte Art.5 Z 3.1 dieser Bedingungen lautet: Als Obliegenheit, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherer von den Verpflichtung zur Leistung befreit (§ 6 Abs.3 VersVG), wird bestimmt ... 3.1 Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen...)

Der Kläger fuhr am 20.7.1993 um etwa 21,30 Uhr mit seinem Fahrzeug auf der Landesstraße von H***** nach P*****. Bei Straßenkilometer 5,670 kam er zufolge überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab und stieß gegen einen Alleebaum, wodurch das Fahrzeug einen Totalschaden erlitt. Zum Unfallszeitpunkt lag beim Kläger keine Alkoholbeeinträchtigung vor. Nachdem er die zur Abschleppung des Fahrzeuges notwendigen Maßnahmen ergriffen hatte, begab sich der Kläger zum rund 500 m weit entfernten Gendarmerieposten P*****, um den Unfall zu melden, dieser Posten war aber nicht besetzt. Daraufhin ging er nach Hause. Dort erzählte ihm seine Gattin, daß die von einer anonymen Anruferin verständigte Gendarmerie bereits da gewesen sei und ihm ausrichten lasse, daß er am nächsten Tag zum Posten kommen solle.

Am nächsten Morgen war der Posten in P***** immer noch unbesetzt, es gelang dem Kläger erst im Verlauf des Vormittags, mit einem Beamten dieses Postens Kontakt aufzunehmen.

Der Baum, gegen den der PKW des Klägers prallte, hatte bereits Vorschäden durch andere Verkehrsunfälle, durch den Aufprall des klägerischen Fahrzeuges entstand kein weiterer Sachschaden. Aufgrund dieses Umstandes wurde das gegen den Kläger § 4 Abs.5 StVO eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren nach eingestellt.

Nach Einlangen der Schadensmeldung des Klägers übermittelte ihm die Beklagte einen Fragebogen. Der Kläger beantwortete die dort gestellte Frage nach Alkoholgenuß innerhalb von 8 Stunden vor dem Unfall mit nein, weil er meinte, es sehe besser aus. "Möglicherweise" hatte allerdings der Kläger, ohne ein Abendessen zu sich genommen zu haben, zwischen 17 Uhr und 21,30 Uhr zwei Bier getrunken.

Der Kläger begehrt von der beklagten Versicherung die Bezahlung seines PKW-Totalschadens von S 198.000,--.

Die beklagte Versicherung beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, der Kläger habe nach dem Unfall nicht an der Aufklärung des Sachverhaltes mitgewirkt. Es sei der Verdacht der Alkoholisierung gegeben. Der Kläger habe den nächstgelegenen Gendarmerieposten nicht vom Unfall verständigt und habe in einem ihm von der beklagten Versicherung ausgehändigten Fragebogen die Frage nach einem Alkoholkonsum innerhalb von acht Stunden vor dem Unfall unrichtig mit nein beantwortet. Die beklagte Partei sei daher leistungsfrei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte in seiner Beweiswürdigung aus, daß es zwar möglich sei, daß der Kläger vor dem Unfall mehr als die von ihm bei seiner Vernehmung als Partei zugestandenen Alkoholmengen (zwei Bier) zu sich genommen habe und vielleicht auch in einem relevanten Ausmaß im Unfallszeitpunkt alkoholisiert gewesen sei, nachweisbar sei ihm derartiges aber nicht; nur auf diese Nachweisbarkeit aber komme es an. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß bei einem Verkehrsunfall, bei dem nur ein Sachschaden des Versicherungsnehmers am eigenen Fahrzeug entstanden seien, keine sofortige Verständigung des nächsten Gendarmeriepostens geboten sei. Ein Verstoß des Klägers nach § 4 Abs 5 StVO liege daher nicht vor und ebenso auch nicht eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach Art 5 Z 3.1 AFIB 1986. Die beklagte Partei habe den Verdacht der Alkoholisierung des Klägers und der deswegen unterlassenen Anzeige des Unfalls bei der Gendarmerie nicht konkret unter Beweis stellen können. Hinweise einer anonymen Anzeigerin bei der Gendarmerie darauf, daß der Kläger betrunken gewesen sei, hätten sich nicht verifiziert.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Revision für unzulässig. Der Vorwurf, der Kläger habe über seinen Alkoholkonsum wahrheitswidrige Angaben gemacht, sei der Rechtsrüge zuzuordnen. Die Beweisrüge sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, weil darin nicht ausgeführt werde, welche Feststellungen anstelle der bekämpften Feststellungen getroffen hätten werden müssen. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und verneinte das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers. Zum Unterschied zur Haftpflichtversicherung beziehe sich die Aufklärungsverpflichtung des Versicherungsnehmers in der Kaskoversicherung nicht in vollem Umfang auf die Deckungsfrage, sondern nur auf das Schadensereignis. Im vorliegenden Fall habe der beklagte Versicherer dem Kläger keine Obliegenheitsverletzung nachweisen können.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Die Feststellung, daß der Baum, an den der Kläger angefahren ist, keinen (weiteren) Schaden erlitten hat, ist von der beklagten Partei in ihrer Berufung nicht bekämpft worden. Eine Feststellung, daß dem Kläger nicht klar war, daß er tatsächlich keinen Fremdschaden verursacht hat, wurde von ihr nicht vermißt. Dementsprechend bestand nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes keine Verpflichtung des Versicherungsnehmers, den Unfall bei der Gendarmerie anzuzeigen (vgl 7 Ob 33/91 = ZVR 1992/104 = VR 1992, 259 = VersR 1993, 127 sowie 7 Ob 19/92). Das (nicht festgestellte) Entfernen des Klägers aus seinem Wohnhaus bei Ansichtigwerden der darauf zufahrenden Gendarmerie käme im Zusammenhang mit der festgestellten Information durch die Gattin des Klägers einer Verweigerung des Alkotests gleich, hätte die beklagte Revisionswerberin einen derartigen Sachverhalt unter Beweis stellen können. Tatsächlich ist die Berufung der Beklagten auch zu diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt worden.

Die Feststellung des Erstgerichtes, daß beim Kläger im Unfallszeitpunkt keine Beeinträchtigung durch vorangegangenen Alkoholkonsum vorlag und auch von mangelnder Fahrtüchtigkeit keine Rede sein kann, kann aufgrund der Ausführungen in der Beweiswürdigung des Erstgerichtes, die dem Tatsachenbereich zuzuordnen sind, nur so verstanden werden, daß eine Alkoholisierung des Klägers bzw. eine hiedurch bestehende Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit mangels anderer Beweismittel als der Aussage des Klägers nicht feststellbar war. Der Kläger kann sich aber nicht auf diese Feststellungslage zu seinen Gunsten berufen, weil er, in der Absicht, die beklagte Versicherung zu täuschen (arg: "weil es besser ausschaut"), um (überhaupt oder leichter?) in den Genuß der Kaskoentschädigung zu kommen, die Frage nach dem Genuß von alkoholischen Getränken innerhalb von acht Stunden vor dem Unfall bewußt wahrheitswidrig mit nein beantwortet hat. Eine nicht der Wahrheit entsprechende Darstellung des Schadensereignisses gegenüber dem Versicherer stellt dann eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar, wenn sie einen wesentlichen Punkt betrifft; hiezu gehört zweifellos die unrichtige Beantwortung der Frage nach Alkoholkonsum innerhalb der unmittelbar vor dem Unfall liegenden Zeit (vgl. ZVR 1984/190 sowie Prölss-Martin VVG25, 268 mwN). Eine vorsätzliche Täuschung im Sinne des § 6 Abs.3 VersVG idF des BGBl 1994/509 ist durch jede objektiv falsche Angabe verwirklicht, sofern dadurch die Feststellung des Schadens oder die Entschließung des Versicherers über die Auszahlung der Entschädigung in irgendeiner Weise beeinflußt werden kann; dazu ist es nicht erforderlich, daß der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Täuschung einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil anstrebt (vgl. VR 1990, 350 = SZ 63/54). Arglistige Täuschung kann auch durch das Verschweigen offenlegungspflichtiger Tatsachen bewirkt werden, sofern sie die oben genannte Eignung für die Feststellung des Schadens oder die Entschließung des Versicherers haben können (vgl.Prölss-Martin aaO, 269). Ist die Täuschung vorsätzlich begangen worden, dann tritt die Leistungsfreiheit des Versicherers wie bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen regelmäßig bedingungslos ein, der Kausalitätsgegenbeweis ist ausgeschlossen, als einzige Einschränkung wird anerkannt, daß vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen, die nach menschlichem Ermessen die Interessen des Versicherers schon abstrakt in keiner Weise gefährden können, außer Betracht bleiben (vgl VR 1990, 350, VR 1988/107, zuletzt 7 Ob 14/94). Die in Deutschland entwickelte Relevanzrechtsprechung wurde von der österreichischen Rechtsprechung nicht übernommen. Auch im absichtlichen Verschweigen von Alkoholkonsum während eines relevanten Zeitraumes vor dem Unfall kann eine arglistige Täuschung vorliegen, weil dem Versicherer die bei richtiger Beantwortung im Anfragezeitraum möglicherweise noch zur Verfügung stehenden Beweismittel später nicht mehr greifbar sind und daher die Aussage des Versicherungsnehmers im Deckungsprozeß nicht mehr entkräftet werden kann. Mit der Feststellung, daß der Kläger die Frage nach Alkoholkonsum vor dem Unfallszeitpunkt in einem ihm von der beklagten Versicherung zugesandten Fragebogen vorsätzlich wahrheitswidrig mit nein beantwortet hat ("weil es besser ausschaut"), ist der beklagten Versicherung der Nachweis einer vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in Täuschungsabsicht gelungen. Für einen objektiven Verstoß gegen diese Aufklärungsverpflichtung ist es ohne Bedeutung, daß ihre Erfüllung eigenen Interessen des Vesicherungsnehmers entgegengestanden ist bzw. daß der Versicherer in der Lage gewesen wäre, die Unrichtigkeit oder die Unvollständigkeit der Angaben zu durchschauen (vgl.Prölss-Martin aaO 269).

Es war daher der Revision der beklagten Partei Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Rechtssätze
4