JudikaturJustiz7Ob186/10v

7Ob186/10v – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. November 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei R***** R***** KG, *****, vertreten durch Mag. Gregor Rathkolb, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin H***** W***** GmbH, *****, vertreten durch Walch Zehetbauer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei und widerklagende Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, wegen 6.182,02 EUR sA und 12.137,66 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 30. April 2010, GZ 18 R 14/10b 71, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 20. Oktober 2009, GZ 3 C 1523/05z, 3 C 42/06g 65, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und der Nebenintervenientin die jeweils mit 1.119,24 EUR (darin enthalten 186,54 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision deshalb zulässig sei, weil der vom Obersten Gerichtshof für den südlichen Bereich Italiens aufgestellte Grundsatz, wonach Diebstähle und Raubüberfälle geradezu täglich passierten und deshalb keine außergewöhnlichen Ereignisse darstellten, nach Ansicht des Berufungssenats nicht auf Frankreich übertragen werden könnten.

Die den vorliegenden Rechtsfall betreffenden Rechtsfragen sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht als erheblich nach § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen. Die Entscheidung kann sich auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS Justiz RS0043150, RS0043371). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat nicht vor.

Die Entlastungsobliegenheit für mangelndes Verschulden trifft gemäß dem hier noch anzuwendenden § 429 Abs 1 HGB den Frachtführer. Diese Regelung über die Umkehr der Beweislast erfasst jedoch nur das leichte Verschulden. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müssen auch hier grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden. Die besondere frachtrechtliche Situation kann jedoch dazu führen, dass der Geschädigte mit dem Beweis von Umständen belastet wird, die in der Sphäre des Frachtführers liegen und die er ohne ausreichende Aufklärung nicht kennen kann. Den Frachtführer trifft in diesen Fällen nach Treu und Glauben eine Darlegungsobliegenheit über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Guts und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen (RIS Justiz RS0062591). Die Revision verkennt die Unterscheidung zwischen Beweislastumkehr und Darlegungsobliegenheit des Frachtführers. Eine Verschiebung der Beweislast ist nach ständiger Rechtsprechung auf Ausnahmefälle beschränkt (10 Ob 21/08y, 9 Ob 91/09m je mwN). Eine Umkehr der Behauptungs und Beweislast soll nach der Judikatur für das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nicht eintreten (vgl 9 Ob 12/05p mwN). Vielmehr wird von der Judikatur das Vorliegen einer Aufklärungsobliegenheit des Frachtführers gegenüber dem Geschädigten über die Umstände, die in seiner Sphäre liegen, bejaht, die aus § 184 ZPO abgeleitet wird. Ob eine Partei durch ihre Antwort auf eine gemäß § 184 Abs 1 ZPO gestellte Frage ihrer Aufklärungsobliegenheit nachgekommen ist, ist von der jeweiligen Konstellation abhängig und kann allgemein nicht beantwortet werden. Eine aus § 184 ZPO abgeleitete Verletzung der prozessualen Aufklärungsobliegenheit kann sich daher nur im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung auswirken. Ein anderes Ergebnis käme einer Umkehr der Behauptungs und Beweislast gleich. Die Verletzung der prozessualen Aufklärungsobliegenheit kann Anlass für den Tatrichter sein, bestimmte Prozessbehauptungen des Gegners für wahr zu halten (RIS Justiz RS0119925). Da die Darlegungsobliegenheit auf § 184 ZPO gründet, lassen sich die Revisionsausführungen, die eine „vorprozessuale“ Auskunftspflicht statuieren, mit der Judikatur nicht vereinbaren.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang 7 Ob 118/08s die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen die Haftung des Frachtführers bei gänzlichem oder teilweisem Verlust des Guts zu beurteilen ist und darauf hingewiesen, dass die Frage des Verschuldens eine solche des Einzelfalls ist. Ausgehend von der ergänzten Sachverhaltsgrundlage kommen Diebstähle im Bereich der Nationalstraße 4 (in der Nähe von Paris) nur selten vor. Der Fahrer stellte sein Fahrzeug auf einem großen, beleuchteten und „bereits mit anderen LKWs vollgeparkten“ Parkplatz ab, wobei keine gesichertere Abstellmöglichkeit in diesem Bereich gegeben war, und schlief im Fahrzeug, um die vorgeschriebenen Ruhepausen einzuhalten. Der Diebstahl erfolgte durch Aufbrechen des Schlosses der Ladetüren. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem widerbeklagten Frachtführer kein Verschulden anzulasten ist, hält sich im Einzelfall im Rahmen der Judikatur. Da es am Verschulden der Klägerin mangelt, stellt sich die Frage der Höhe des zu ersetzenden Schadens nicht.

Die Beklagte nahm das Vergleichsanbot des Transportversicherers nicht an. Damit hat sie auch keinen Anspruch auf den angebotenen Betrag erlangt, schon gar nicht gegenüber der Klägerin.

Abgesehen davon, dass der Einwand der Sittenwidrigkeit hinsichtlich eines beidseitigen (damals) Handelsgeschäfts zur Höhe des Zinsenbegehrens im erstinstanzlichen Verfahren nicht erhoben wurde, übergeht die Beklagte die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass sich die Höhe der Verzugszinsen aus der Vereinbarung der AÖSp und des Speditionstarifs für Kaufmannsgüter ergibt. Der Speditionstarif für Kaufmannsgüter wurde auf Basis des § 29 AÖSp entwickelt und setzt in unmittelbarer Bezugnahme auf primäre Ansprüche des Spediteurs einen Zinssatz von 1,5 % pro Monat für den Verzugsfall fest (RIS Justiz RS0119585). Die Zinsen werden damit als ortsüblich qualifiziert. Dagegen wendet die Revision nichts ein.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht, weshalb die Revision zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Revisionsbeantwortungen wiesen auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

Rechtssätze
4