JudikaturJustiz7Ob131/23z

7Ob131/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* G*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. Mai 2023, GZ 1 R 97/23w 25, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 5. März 2023, GZ 14 C 376/21b 21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2001) zu Grunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Im Schadenersatz-Recht sschutz (Artikel 17.2.1, Artikel 18.2.1, Artikel 19.2.1 und Artikel 24.2.3) gilt als Versicherungsfall, das dem Anspruch zugrundeliegende Schadensereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses.

[...]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

Art ikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Soferne nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen.

[...]

1.6 aus dem Bereich des Kartell- oder sonstigen Wettbewerbsrechts

[...]

Art ikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruchs zu beachten? (Obli egenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet

1.1 den Versiche rer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[...]

Art ikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht ausreichend, dh, ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist, als ein Obsiegen, ist er berechtigt die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen. [...]

Art ikel 19

Schadenersatz und Straf Rechtsschutz für den Privat , Berufs und Betriebsbereich

[...]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen , Sach oder Vermögensschadens.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage, kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[3] 1. Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor: Richtig ist zwar, dass die Beklagte ausführte, dass sich dem Vorbringen des Klägers lediglich entnehmen lasse, dass er sein Fahrzeug beim Autohaus T * GmbH und nicht von der V* AG erworben habe. Letztere sei am Kaufvertragsabschluss nicht beteiligt gewesen, habe deshalb auch keine Broschüren oder Prospekte übergeben oder Angaben zum Schadstoffausstoß gemacht und daher die Kaufentscheidung des Klägers nicht herbeigeführt. Damit wandte die Beklagte aber lediglich ein, die V* AG sei (unstrittig) nicht Verkäuferin gewesen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Ansicht des Berufungsgerichts, die Ausführungen der Beklagten in ihrer Berufung, die V* AG sei nicht Herstellerin des Fahrzeugs gewesen, würden gegen das Neuerungsverbot verstoßen, als nicht korrekturbedürftig. Diesen Einwand hat die Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren tatsächlich nicht erhoben (zur Auslegung vom Vorbringen als Frage des Einzelfalls siehe RS0042828).

[4] 2. Auch wenn man mit der Beklagten aufgrund der konkret vorliegenden Bedingungslage (Art 2.1 ARB iVm Art 19.2.1 ARB) für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.1 ARB als maßgeblich erachtet, ist für sie nichts gewonnen. Nach dieser Bestimmung gilt als Versicherungsfall der Eintritt des dem Anspruch zugrundeliegenden Schadensereignisses. Der Versicherungsfall ist regelmäßig das Ereignis, das den Anspruch begründet hat (RS0114209). Dabei handelt es sich nicht um den Verstoß, sondern um das Folgeereignis, das mit dem Eintritt des realen Verletzungszustands gleichgesetzt wird (RS0081307). Beim Kauf eines behauptetermaßen wertgeminderten Fahrzeugs tritt der Schaden im Vermögen des Versicherungsnehmers gleichfalls mit dessen Erwerb ein.

[5] 2.1 Hier hat der Versicherungsnehmer während des Versicherungszeitraums einen gebrauchten Diesel Pkw erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die (behauptete) Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.

[6] 2.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass der damit geltend gemachte deliktische Anspruch gegen die (behauptete) Herstellerin eines Kraftfahrzeugs von Art 19.1.2 ARB umfasst ist (7 Ob 130/22a mwN).

[7] 3. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[8] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das Vorbringen des Klägers nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass die von der Beklagten erhobenen Einwände, ob und in welchem Umfang der Kläger überhaupt einen Schaden und wenn ja, in welcher Höhe erlitten habe, als Tat und Rechtsfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und daher für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d; 7 Ob 130/22a).

[9] 4. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 95/21b ausgesprochen, dass der Ausschluss nach Art 7.1.6 ARB 2009 (hier Art 7.1.6 ARB 2001) für einen durchschnittlich verständigen Verbraucher dahin zu verstehen ist, dass der Rechtsschutzversicherer für die Verfolgung von nach Kartell oder sonstigem Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüche keine Deckung übernimmt (vgl RS0109433 [T4]). Anders als in der zitierten Entscheidung stützt der Kläger seinen Anspruch im vorliegenden Fall aber nicht auf Kartell oder sonstiges Wettbewerbsrecht. Entgegen der Ansicht der Beklagten beurteilte der EuGH in seiner Entscheidung C 100/21 Art 5 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) nicht dahingehend, dass diese Bestimmung den fairen Wettbewerb regle (7 Ob 86/23g). Der Versicherer hat auch keinen Anspruch darauf, dass nicht behauptete und daher bloß hypothetische Anspruchsgrundlagen explizit vom Feststellungsbegehren (7 Ob 86/23g) oder vom Feststellungsurteil (7 Ob 89/23y) ausgenommen werden.

[10] 5.1 Die Auskunftsobliegenheit (§ 34 Abs 1 VersVG; Art 8.1.1 ARB 2001) endet mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lässt. Mit anderen Worten bringt der Versicherer mit der Deckungsablehnung zum Ausdruck, dass er weiterer Auskünfte zur Beurteilung seiner Leistungspflicht nicht mehr bedarf (7 Ob 190/22z mwN). Dies gilt freilich nicht, wenn der Versicherer nach der Ablehnung zu erkennen gibt, er lege gleichwohl noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und diese zumutbar erscheint (7 Ob 60/86; 7 Ob 319/01i; 7 Ob 153/20f). Letzteres setzt aber jedenfalls voraus, dass der Versicherer klarmacht, inwieweit er noch ein Aufklärungsbedürfnis hat (7 Ob 190/22z mwN).

[11] 5.2 Im vorliegenden Fall lehnte die Beklagte die Versicherungsdeckung mit Schreiben vom 22. Jänner 2021 definitiv ab, worauf der Kläger am 6. August 2021 die Deckungsklage einbrachte. Erst kurz vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 auf, ihr Informationen und Unterlagen über den Besitzstatus, den Kilometerstand, die Ausstattung des Fahrzeugs, den Kenntnisstand des Klägers betreffend den Dieselskandal und die vom Kläger wahrgenommenen Täuschungshandlungen der Fahrzeugherstellerin zu erteilen. Ganz abgesehen davon, dass die verlangten Informationen entweder nicht „erforderlich“ (vgl RS0080185) sind oder vom Kläger ohnehin im Rahmen dieses Verfahrens erteilt wurden, ist auch das Aufklärungsbedürfnis der Beklagten nicht erkennbar, hat sie es doch über einen Zeitraum von fast zwei Jahren nach Ablehnung der Deckung und von nahezu einem Jahr nach Beginn dieses Verfahrens nicht für notwendig erachtet, die nunmehr verlangten Informationen zu fordern, obwohl sich die Sachlage seither nicht geändert hat. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es liege keine Verletzung des Art 8.1.1 ARB 2001 vor, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[12] 6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[13] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.