JudikaturJustiz7Ob118/21k

7Ob118/21k – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bachner B***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Edwin Kerschbaummayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hansjörg Reiner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 220.391,95 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. April 2021, GZ 1 R 172/20z 57, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1 Für die Haftung nach Art 17 CMR kommt es darauf an, ob die Beschädigung der Ware zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme und ihrer Ablieferung eingetreten ist (RS0073771). Das Verladen der Güter auf das Transportfahrzeug fällt dabei nicht notwendig in den Haftungszeitraum. Übernahme des Guts nach Art 17 Abs 1 CMR bedeutet vielmehr, dass der Frachtführer das Gut zur Erfüllung des Beförderungsvertrags entgegen nimmt. Nur wenn der Frachtführer – wie hier – gemäß dem Frachtvertrag auch zum Verladen verpflichtet ist, ist diese Voraussetzung schon mit der Annahme des Guts zur Verladung erfüllt (RS0073822).

[2] 1.2 Gemäß Art 29 Abs 1 CMR kann sich „der Frachtführer auf die Bestimmungen dieses Kapitels, die seine Haftung ausschließen oder begrenzen oder die Beweislast umkehren, nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht“. Das gilt nach Abs 2 leg cit auch, wenn nicht dem Frachtführer selbst, sondern seinen Bediensteten oder sonstigen Beförderungsgehilfen ein solches grobes Verschulden zur Last liegt. Dem Vorsatz gleichstehende Fahrlässigkeit bedeutet in Österreich grobe Fahrlässigkeit; die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers trifft den Geschädigten (RS0073961, vgl RS0062591). Wenn die Voraussetzungen des Art 29 CMR vorliegen, entfällt nach einhelliger Meinung jedenfalls das Recht des Frachtführers auf Haftungsbegrenzung nach Art 17 Abs 2 und 4 CMR, nach Art 18 CMR, aber auch nach Art 23 und 25 CMR (7 Ob 160/17f).

[3] 1.3 Die Beurteilung, ob ein Verhalten zum groben Verschulden zu rechnen ist, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0062591 [T5]). Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt, und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar ist, wenn ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, oder unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedermann hätte einleuchten müssen. Grobe Fahrlässigkeit ist ein objektiv besonders schwerwiegender Sorgfaltsverstoß, der bei Bedachtnahme auf alle Umstände auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030644, RS0085373, RS0030272).

[4] 1.4 Dass die Vorinstanzen bei der Anwendung der zum groben Verschulden entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall den von der Judikatur gezogenen Ermessensspielraum überschritten hätten, vermag die Beklagte nicht darzustellen:

[5] 1.4.1 Die klagende Absenderin und die beklagte Frachtführerin vereinbarten die Verladung der zu transportierenden Drehbohranlage durch die Beklagte. Die Klägerin sagte unter Hinweis darauf, dass beim Abholen keiner ihrer Mitarbeiter mehr auf der Baustelle sein werde, die transportbereite Abstellung der Drehbohranlage zu. Tatsächlich unterblieb die Absenkung des Mäkler Kopfes, wodurch die Gesamthöhe 4,7 m statt 4,02 m – wie bei den schon mehrmals vom Fahrer der Beklagten durchgeführten Normaltransporte – betrug.

[6] 1.4.2 Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass den Fahrer aufgrund der Übernahme der Verladung durch die Beklagte – trotz Zusicherung der transportbereiten Abstellung durch die Klägerin – die Verpflichtung getroffen habe, die Verladung selbst ordnungsgemäß durchzuführen. Dennoch habe er keine Kontrolle der Gesamthöhe vorgenommen, obwohl er die Höhenüberschreitung von annähernd einem 3/4 m aufgrund des etwa 4 m hohen fixen Bezugspunkts des Fahrerhauses und seiner Kenntnis der gesamten Transporthöhe bei den bereits durchgeführten Normaltransporten bereits mit bloßen Augen hätte erkennen können. Der Schadenseintritt – Kollision mit einem Brückenübergang – sei auf der gewählten Strecke, die Autobahnbrücken mit einer Durchschnittshöhe von lediglich 4,30 m bis 4,40 m aufgewiesen habe, geradezu vorhersehbar gewesen. Vor diesem Hintergrund hätte der Fahrer der Beklagten die Höhenüberschreitung erkennen und die Klägerin zumindest telefonisch auf den offenkundigen Mangel hinweisen und sich Weisungen einholen müssen. Die Beurteilung des Verhaltens des Fahrers der Beklagten als grobes Verschulden durch die Vorinstanzen hält sich im Rahmen der Judikatur.

[7] 1.4.3 Die Sachverhalte, die den von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen 7 Ob 230/12t und 7 Ob 5/13f zugrunde lagen, sind mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar.

[8] 2.1 Bloßen Ermessensentscheidungen – wie über die Teilung oder Schwere des Verschuldens – kommt im allgemeinen keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung zu (RS0087606 [T3, T4]).

[9] 2.2 Die Vorinstanzen berücksichtigten das Verhalten der Klägerin, die Drehbohranlage entgegen der Zusicherung nicht transportbereit abgestellt zu haben, (rechtskräftig) als Mitverschulden im Ausmaß von 50 %.

[10] 2.3 Umstände, aus denen sich ein überwiegendes Verschulden der Klägerin ergeben könnte, zeigt die Beklagte nicht auf. Hinweise darauf, dass die Klägerin ihre Pflicht zur transportbereiten Abstellung absichtlich nicht erfüllt habe, ergeben sich aus den Feststellungen nicht.

[11] 3. Die Beklagte macht demnach keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher nicht zulässig und zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
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