JudikaturJustiz7Ob109/98z

7Ob109/98z – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. August 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler, Rechtsanwalt in Zwettl, wider die beklagten Parteien 1.) Nikolaus B*****, und 2.) Sonja B*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Clemens Schnelzer und Mag. Johann Juster, Rechtsanwälte in Zwettl, wegen Räumung (Streitwert RAT S 24.000,--), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems als Berufungsgericht vom 13. Februar 1998, GZ 2 R 219/97m-11, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Zwettl vom 28. Juli 1997, GZ 1 C 96/97h-6, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, die angefochtenen Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Die Klägerin, eine niederösterreichische Stadtgemeinde (ohne eigenes Statut) ist Eigentümerin der Liegenschaft S*****straße ***** in A***** samt der darauf befindlichen Anlage. Diese besteht aus einem einstöckigen Haus, in dem sich Wohnräume, eine Werkstatt, eine Sattelkammer, ein Stüberl als Aufenthaltsraum für Reitgäste sowie sieben Boxen für je ein Pferd befinden; weiters sind dort eine Reithalle, ein Schuppen, in dem sich neben einem Abstellraum zwei Boxen für je ein bis zwei Pferde befinden, eine Mistgrube, sowie eine Reitbahn. Diese Anlage wurde Mitte der Sechzigerjahre von der klagenden Partei errichtet und in der Folge unentgeltlich vom Sportverein A***** benützt. Ab Ende der Siebzigerjahre wurde die Liegenschaft samt den aufgezählten Objekten wechselnden Personen in Bestand gegeben.

Der zwischen den Streitparteien abgeschlossene Bestandvertrag trägt den Titel "Mietvertrag". Nach dem Text des Vertrages handelt es sich um die Inbestandnahme verschiedener Objekte zwecks Führung eines Fahr- und Reitbetriebes. Im Vertrag findet sich die Vereinbarung einer Betriebspflicht, welche in zeitlicher Hinsicht detailliert geregelt ist und auch die Vereinbarung enthält, daß jeweils mindestens drei Reitpferde zur Verfügung stehen müssen. Dieser Vertrag wurde zwischen den Streitparteien auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Den monatlichen Bestandzins in der Höhe von S 1.500 setzte die klagende Partei bewußt günstig an, um den Betrieb des Reitstalles zu unterstützen. Aus dem Mietvertrag mit dem Vorbestandnehmer Rudolf K***** wurde der Satz übernommen, daß die Parteien ausdrücklich die Bestimmungen des § 9 MRG zur Kenntnis nehmen; besprochen wurde dieser Punkt des Vertragstextes nicht.

Außer Streit steht, daß die Beklagten von der klagenden Partei die genannte Liegenschaft samt den darauf befindlichen Objekten in Bestand genommen haben sowie, daß die klagende Partei das Bestandverhältnis mit Schreiben vom 18. 7. 1996 zum 31. 12. 1996 (außergerichtlich) aufgekündigt hat und dieses Schreiben den Beklagten fristgerecht zugegangen ist.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei von beiden Beklagten die Räumung dieser Liegenschaft samt den darauf befindlichen Objekten und bringt hiezu im wesentlichen vor, daß es sich beim konkreten Bestandverhältnis um einen Pachtvertrag handle. Der für die Klägerin einschreitende Rechtsanwalt berief sich ohne weiteren Hinweis nur auf die erteilte Vollmacht. Das Erstgericht erachtete damit die Bevollmächtigung des Klagevertreters für ausgewiesen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, es liege kein Pachtvertrag vor, vielmehr seien nur Objekte und kein Unternehmen in Bestand gegeben worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es liege ein dem MRG unterliegender Miet- und kein Pachtvertrag vor. Eine außerordentliche Kündigung sei daher unwirksam.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit dem angefochtenen Urteil. Es sprach aus, daß die Erhebung der ordentlichen Revision unzulässig sei. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes.

Die von der klagenden Partei gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluß dieses Senates vom 9. 6. 1998 den beklagten Parteien zur allfälligen Erhebung einer Revisionsbeantwortung zugestellt.

Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Erstmals in der fristgerecht erhobenen Revisionsbeantwortung behaupten die Beklagten, daß die Fortsetzung (wohl auch Einleitung) des gegenständlichen Verfahrens gemäß § 35 Abs 2 Z 10 bzw überhaupt die Aufkündigung des vorliegenden Bestandvertrages gemäß § 35 Abs 2 Z 18 lit h der Niederösterreichischen Gemeindeordnung (NÖ GO 1973) mangels erteilter Zustimmung des Gemeinderates der klagenden Partei unwirksam sei.

Dazu war zu erwägen:

Gemäß § 6 Abs 1 ZPO ist der Mangel der Prozeßfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung sowie der etwa erforderlichen besonderen Ermächtigung zur Prozeßführung in jeder Lage des Rechtsstreites von Amts wegen zu berücksichtigen. Kann dieser Mangel beseitigt werden, so hat das Gericht die hiezu erforderlichen Aufträge zu erteilen und zu ihrer Erfüllung von Amts wegen eine angemessene Frist zu bestimmen, bis zu deren fruchtlosem Ablauf der Ausspruch über die Rechtsfolgen des Mangels aufgeschoben bleibt.

Die Prüfung der Prozeßvoraussetzungen von Amts wegen hat auch noch in Rechtsmittelverfahren zu erfolgen, nur unbehebbare Mängel führen zur sofortigen Zurückweisung der Klage und Nichtigerklärung aller nicht rechtskräftigen bisher gesetzten Verfahrensschritte (vgl Fucik in Rechberger § 6 ZPO Rz 1 und 2 mwN). Der Einwand der Beklagten, der erstmals in der Revisionsbeantwortung erhoben worden ist, ist daher nicht als Neuerung zu werten.

Nach § 35 Abs 2 Z 10 NÖ GO 1973, LGBl 1000-3, ist unter anderem die Einleitung oder Fortsetzung eines Rechtsstreites sowie der Abschluß aller Arten von Vergleichen, Verzichten und Anerkenntnissen dem Gemeinderat vorbehalten ebenso auch nach § 35 Abs 2 Z 10 lit h leg cit der Abschluß oder die Auflösung von Bestandverträgen. Dem Bürgermeister allein obliegt im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, soweit durch Gesetz nicht anderes bestimmt wird, gemäß § 38 Abs 1 Z 3 NÖ GO 1973 die laufende Verwaltung, insbesondere hinsichtlich des Gemeindevermögens. Gemäß § 38 Abs 3 NÖ GO 1973 ist der Bürgermeister berechtigt, an Stelle des sonst zuständigen Organes tätig zu werden, wenn bei Gefahr im Verzug der Beschluß des zuständigen Kollegialorganes nicht ohne Gefahr eines Schadens für die Gemeinde abgewartet werden könnte. Der Bürgermeister hat in solchen Fällen gemäß § 38 Abs 4 NÖ GO 1973 über die getroffenen Maßnahmen dem zuständigen Organ in der nächsten Sitzung zu berichten. § 55 Abs 1 und 2 NÖ GO 1973 lauten:

"Urkunden über Rechtsgeschäfte, bei denen eine schriftliche Ausfertigung von den Vertragsteilen unterschrieben wird, sind, soweit es sich nicht um Angelegenheiten gemäß § 38 Abs 1 Z 3 handelt, zu ihrer Rechtsverbindlichkeit vom Bürgermeister und einem Mitglied des Gemeindevorstandes (Stadtrates) zu fertigen und mit dem Gemeindesiegel zu versehen.

Betrifft die Urkunde eine Angelegenheit, zu welcher der Beschluß des Gemeinderates oder die Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich ist, so ist in der Urkunde überdies diese Genehmigung ersichtlich zu machen, und zwar im ersten Falle durch Mitfertigung zweier Mitglieder des Gemeinderates, im zweiten Falle auch durch amtliche Fertigung der Aufsichtsbehörde."

Die Klägerin unterliegt als niederösterreichische Stadtgemeinde ohne eigenes Statut den Organisationsvorschriften der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973. Ist eine Beschlußfassung des Gemeinderates erforderlich, hätte die Klagsschrift oder eine sie ergänzende Urkunde den Gemeinderatsbeschluß, gegebenenfalls Umstände im Sinn des § 38 Abs 3 NÖ GO 1973 darzutun. Bei richtigem Verständnis des Zweckes der Regelung nach § 35 Abs 2 Z 10 sowie Z 18 lit h NÖ GO 1973 muß sich die Beschlußfassung des Gemeinderates jeweils auf einen bestimmten Rechtsstreit beziehen, eine allgemeine Prozeßvollmacht, die nicht auf den einzelnen Rechtsstreit beschränkt ist, wäre zum Nachweis der Beschlußfassung nach § 35 Abs 2 Z 10 NÖ GO 1973 unzureichend, eine vom Gemeinderat beschlossene Erteilung einer Generalvollmacht unwirksam, weil der Gemeinderat nicht vorweg die Entscheidung über Einleitung und Fortsetzung eines Rechtsstreites einem anderen Gemeindeorgan und noch weniger einer vertraglich verpflichteten dritten Person überlassen darf.

Der entsprechende Gemeinderatsbeschluß kann im Fall der Klagserhebung entweder in der Klagsschrift selbst, in einer auf den Rechtsstreit eingeschränkten Prozeßvollmacht oder in einer sonstigen, sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehenden Urkunde in der nach § 55 Abs 2 NÖ GO 1973 vorgesehenen Form ersichtlich gemacht werden (vgl 6 Ob 569/82 = JBl 1983, 210 [Böhm] 5 Ob 711/83 und 2 Ob 505/85 sowie NÖ Gemeindeordnung herausgegeben von der NÖ Studiengesellschaft, 117).

Eine derartige Ersichtlichmachung fehlt im vorliegenden Fall.

Die Berufung auf die einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht ersetzt nur den Nachweis, daß der die Gemeinde nach außenhin vertretende Bürgermeister auch tatsächlich die Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes vorgenommen hat (vgl Fucik in Rechberger § 30 ZPO Rz 2 mwN), kann aber nicht den Nachweis der in den vorzitierten Normen festgestellten Beschlußfassung des Gemeinderates ersetzen. Ob ein derartiger wie von den Beklagten behaupteter Mangel vorliegt und inwieweit er verbesserbar ist, kann aber derzeit nicht beurteilt werden. Der Klägerin ist daher Gelegenheit einzuräumen, den behaupteten Mangel ihrer gesetzlichen Vertretung (vgl Fasching LB2 Rz 422) im vorliegenden Rechtsstreit durch Vorlage der Beurkundung des entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses zu beheben. Eine allfällige Untätigkeit der zuständigen Gemeindeorgane rechtfertigt keinesfalls eine Verschiebung ihrer verfassungsrechtlich abgegrenzten Kompetenzen. Sollte der Mangel vorliegen, könnte trotzdem eine Billigung des Vorgehens des Bürgermeisters innerhalb der Verbesserungsfrist vorgenommen werden, sodaß auch in diesem Fall ein verbesserungsfähiger Mangel vorliegt. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren gemäß § 6 Abs 2 ZPO der klagenden Partei Gelegenheit zu einer Sanierung unter Fristsetzung zu geben haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.